Tunnelbau zwischen Gaza und Ägypten:Stählerner Vorhang

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Wegen der israelischen Blockade sind die Bewohner des Gaza-Streifens auf Schmuggelware aus Ägypten angewiesen. Jetzt soll eine unterirdische Barriere den Bau von Tunneln verhindern.

Peter Münch

Abu Isa Khalil sitzt auf einem Erdhügel, verdreckt und verschwitzt, und erst einmal braucht er nun eine Zigarette. Mit der elektrischen Seilwinde hat ihn sein Sohn Mohammed gerade nach oben geholt, aus 18 Metern Tiefe, stickig ist es da unten und heiß - und gefährlich sowieso. "Sieben Verletzte gab es hier heute morgen", sagt er. "Die Idioten haben Motorräder durch einen Tunnel geschmuggelt und die Maschinen angemacht. Jetzt haben sie eine Vergiftung."

Überlebenswichtige Tunnel: Wegen der israelischen Blockade sind die Bewohner des Gaza-Streifens auf Schmuggelware aus Ägypten angewiesen. (Foto: Foto: AP)

Doch das ist längst nicht die einzige Sorge, die einen Tunnelbauer wie Khalil im Gaza-Streifen umtreibt. Neulich nachts hätten die Israelis wieder bombardiert, klagt er, überdies würden die Ägypter von Zeit zu Zeit einen Tunnelausgang in die Luft jagen. Und nun droht noch weit größeres Ungemach: Denn Ägypten plant, mit einem stählernen unterirdischen Wall den Tunneln in Rafah endgültig einen Riegel vorzuschieben.

Die israelische Zeitung Haaretz berichtet, dass dieser Wall neun bis zehn Kilometer lang sein und bis zu 30 Meter tief in die Erde gehen soll - nicht zu durchbrechen, nicht zu schmelzen, einfach undurchdringlich. Für Tausende, die in der geteilten Stadt Rafah vom Schmuggel und vom Tunnelbau leben, ist das eine schlechte Nachricht. Und für die 1,5 Millionen Bewohner des Gaza-Streifens wäre das Tunnel-Ende fast eine Katastrophe. Denn angesichts der israelischen Blockade, die nur wenige humanitäre Güter in den Küstenstreifen lässt, sind sie überlebenswichtig. Nahrungsmittel, Baumaterialien, Benzin - alles kommt durch diese Tunnel. "Die Nachfrage ist groß", sagt Abu Isa Khalil. Was er nicht erwähnt, sind die Waffen, von der Pistole bis hin zur Rakete, die auch über Rafah ihren Weg in die Hände der Extremisten finden.

Im Gaza-Krieg vor knapp einem Jahr hatte Israels Luftwaffe deshalb einen Großteil der Tunnel zerstört. Doch heute wird deren Zahl wieder auf 800 geschätzt. Manche sind 300 Meter lang, andere 1,5 Kilometer. Der Boden hier ist aufgewühlt wie von Maulwurfhorden, überall wird gegraben und die frische Erde aufgehäuft. "Wenn die Israelis einen Tunnel bombardieren, dann reparieren wir ihn eben wieder", sagt Khalil. So einfach will er seinen Tunnel nicht aufgeben, in dessen Bau er umgerechnet 40.000 Euro investiert hat. Knapp 2000 Euro davon, so heißt es, gingen an die Hamas, die dafür Strom liefert und Schutz. Wer Ärger vermeiden will, schmuggelt keinen Alkohol oder Drogen ins Reich der Radikalen. Auch die Lizenz für Waffen liegt exklusiv bei den Kämpfern. Ansonsten aber ist das Geschäft frei und ausgesprochen einträglich.

Bislang haben auch die Ägypter nie wirklich durchgegriffen gegen die Tunnelbauer. Ebenso wie die Israelis haben sie zwar überirdisch die Grenze weitgehend dichtgemacht, seitdem die Hamas im Gaza-Streifen regiert. Doch das unterirdische Geschäft wurde höchstens halbherzig bekämpft. Es gibt die Angst vor einem Aufruhr der Stammesmänner auf dem Sinai, die auf ägyptischer Seite vom Schmuggel profitieren. Und es gibt an der Grenze wohl genug Sicherheitskräfte, die gern ein Auge zudrücken, wenn der Preis stimmt.

Offenbar hat der Stahlwall gewonnen

Allerdings herrscht auch in Kairo die Angst, dass durch die Tunnel Terroristen ins Land kommen könnten. Zudem ist immer wieder starker internationaler Druck aus Israel und dem Westen zu spüren, den Waffenschmuggel an die Hamas endlich zu unterbinden. Am Ende des jüngsten Gaza-Kriegs schickte Deutschland Experten nach Ägypten, die bei der Grenzsicherung helfen sollten und ein Konzept im Gepäck hatten, das sogar Wirtschaftshilfen für die dann arbeitslosen Beduinen vorsah. In jüngster Zeit wurden gemeinsame ägyptisch-amerikanische Grenzpatrouillen gesichtet. Und an Ideen, wie der Tunnelbau bekämpft werden könne, hat es nie gemangelt. Die Israelis wollten einmal entlang der Grenze einen tiefen Wassergraben ziehen. Oder es sollten Sensoren in der Erde vergraben werden, um Bauaktivitäten zu orten. Auch die eiserne Mauer ist schon länger im Gespräch gewesen.

Nun hat offenbar der Stahlwall gewonnen, doch bis zur Fertigstellung dürfte Zeit vergehen. Die Schmuggler können sich darauf vorbereiten, dass sie nun noch tiefer graben müssen. Dabei gäbe es auch einen ganz einfachen Weg, die Tunnel zu schließen. Wenn Israel und Ägypten die Grenzen öffnen würden, wäre dem Schmuggel die Grundlage entzogen. Doch das ist angesichts der harten Fronten mit der Hamas derzeit kaum vorstellbar. Abu Isa Khalil zeigt sich deshalb trotz aller Sorgen zuversichtlich. "Es sieht so aus", sagt er, "als würde das Geschäft noch eine Zeit lang weitergehen."

© SZ vom 10.12.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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