Türkei: Verfassungsreform:Westerwelle stellt Türken EU in Aussicht

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Weltweit wird das Votum der Türken für eine neue Verfassung begrüßt. Außenminister Westerwelle stellt dem Land erneut die EU-Vollmitgliedschaft in Aussicht - und stellt sich damit gegen Kanzlerin Merkel.

Das deutliche Votum der türkischen Bevölkerung für das Referendum zur Reform der Verfassung ist international begrüßt worden. US-Präsident Barack Obama sagte nach Angaben des Weißen Hauses Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan bei einem Telefongespräch, die hohe Beteiligung an der Abstimmung sei ein Zeichen für die Lebendigkeit der türkischen Demokratie. Mehr als 77 Prozent der Wahlberechtigten hatten ihre Stimme abgegeben.

Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan betrachtet das Ergebnis des Referendums als einen historischen Schritt. "Unsere Demokratie ist nun stärker geworden. Die Demokratie ist der Gewinner." (Foto: Reuters)

Auch Bundesaußenminister Guido Westerwelle äußerte sich erfreut über den Erfolg des Referendums. "Die Verfassungsreform ist ein weiterer wichtiger Schritt auf dem Weg der Türkei nach Europa." Die Debatte sei aber "sicher noch nicht beendet. Ich bin zuversichtlich, dass der Reformprozess in der Türkei im Sinne einer weiteren Öffnung der Gesellschaft fortgeführt wird".

"Fair, respektvoll und auf gleicher Augenhöhe"

Zudem bekräftigte Westerwelle, dass er nach dem erfolgreichen Referendum einen Beitritt der Türkei zur Europäischen Union (EU) ausdrücklich für möglich hält. "Die Türkei hat ein Anrecht darauf, dass sie fair, respektvoll und auf gleicher Augenhöhe behandelt wird", so der FDP-Chef: "Wir wollen nichts vollmundig vor der Zeit versprechen, aber niemand sollte ein so wichtiges Land, das sich augenscheinlich modernisiert, vor den Kopf stoßen und es ausgrenzen."

Damit grenzte sich Westerwelle erneut vom Koalitionspartner CDU/CSU ab, der gegen eine EU-Vollmitgliedschaft der Türkei ist.

Die EU begrüßte die Annahme von Verfassungsänderungen, forderte zugleich jedoch weitreichendere Reformen. Die geplanten Neuerungen seien "ein Schritt in die richtige Richtung", ließ EU-Erweiterungskommissar Stefan Füle mitteilen. Die tatsächliche Bedeutung für die Lebenswirklichkeit in der Türkei werde von der Umsetzung der Verfassungsänderungen abhängen.

"Wir teilen die Meinung vieler in der Türkei, dass der heutigen Abstimmung andere dringend nötige Reformen folgen sollten, die sich mit den verbleibenden vordringlichen Fragen der Grundrechte, beispielsweise Meinungsfreiheit und Religionsfreiheit, befassen", erklärte Füle. Die EU-Kommission stimme mit jenen in der Türkei überein, "die glauben, dass eine neue zivile Verfassung eine solide Grundlage für eine nachhaltige Entwicklung der Demokratie in der Türkei gemäß den europäischen Standards und den Voraussetzungen für den EU-Beitritt wäre".

Zudem müssten vor erneuten Verfassungsänderungen die Zivilgesellschaft und alle politischen Parteien an einer öffentliche Diskussion beteiligt werden.

Etwa 58 Prozent der Wähler hätten für das Paket aus 26 Änderungen gestimmt, sagte Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan am Sonntag vor jubelnden Anhängern. Verlierer seien diejenigen, die Eingriffe des Militärs in die Demokratie unterstützten. Erdogan sagte, sein Land habe einen historischen Schritt gemacht, dem weitere Reformen folgen würden. "Unsere Demokratie ist nun stärker geworden. Die Demokratie ist der Gewinner."

Manipulationsvorwürfe aus der Opposition

Devlet Bahceli, der Vorsitzende der rechtsextremen Oppositionspartei MHP, forderte Erdogan zu Neuwahlen auf. Er warf der Regierung vor, das Referendum mit Drohungen und Bestechung manipuliert zu haben. Erdogan will die Macht des Parlamentes stärken und verspricht mehr Demokratie und Freiheit. So soll nun der Schutz persönlicher Daten der Bürger verbessert werden.

Der Gleichheitsgrundsatz wurde ergänzt, sodass staatliche Vorteile für benachteiligte Bevölkerungsgruppen ausdrücklich möglich werden. Dafür will die Regierung Befugnisse der Militärjustiz einschränken und mehr Einfluss des Parlaments bei der Ernennung höchster Richter sichern.

Kritiker aus der Opposition werfen Erdogan und seiner AKP vor, sie wollten so die türkische Justiz unter Kontrolle bringen. Erdogans AKP und die oppositionelle Republikanische Volkspartei CHP, die sich als Hüterin des säkularen Erbes von Republiksgründer Mustafa Kemal Atatürk versteht, hatten sich in den vergangenen Wochen einen heftigen politischen Schlagabtausch geliefert.

In den von Kurden bewohnten Provinzen im Osten der Türkei war der Anteil abgegebener Ja-Stimmen besonders groß. Allerdings war die Wahlbeteiligung dort nach Boykottaufrufen kurdischer Parteien teilweise auch besonders gering, was das Meinungsbild verzerrte.

In den Kurdengebieten hatte es am Sonntag vereinzelt Zusammenstöße gegeben. So attackierten Demonstranten, die Slogans der verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei PKK riefen, ein Wahllokal in der Provinz Mersin angegriffen und warfen zwei Brandsätze.

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