Türkei:Verhaftung einer Übersetzerin verschärft Spannungen mit der Türkei

Tag der Pressefreiheit: Vor der Botschaft der Türkei in Berlin

Tag der Pressefreiheit: Amnesty fordert Freiheit für inhaftierte Journalisten vor der türkischen Botschaft in Berlin.

(Foto: obs)
  • In Istanbul wurde die deutsche Übersetzerin Mesale Tolu verhaftet.
  • Türkische Behörden werfen ihr vor, Propaganda für eine Terrororganisation betrieben zu haben.
  • Obwohl es nach internationalen Übereinkommen verpflichtend wäre, wurde die Bundesregierung nicht von Ankara über den Vorfall unterrichtet.

Von Stefan Braun und Luisa Seeling

Die deutsch-türkischen Beziehungen stehen vor der nächsten großen Belastungsprobe. Trotz jüngster Beteuerungen beider Regierungen, man wolle das Verhältnis in ruhigeres Fahrwasser führen, beeinträchtigt eine neue Festnahme in der Türkei alle entsprechenden Versuche.

Wie das Auswärtige Amt am Freitag bestätigte, wurde die deutsche Staatsbürgerin Mesale Tolu am 30. April in ihrer Wohnung in der Nähe von Istanbul festgenommen und eine Woche später in ein Untersuchungsgefängnis verlegt. Nach Medienberichten wird der Mutter eines zweijährigen Kindes vorgeworfen, sie betreibe Propaganda für Terrororganisationen. Die Bundesregierung wollte dies am Freitag noch nicht bestätigen. Sie sprach aber von einem bedauerlichen und besorgniserregenden Fall.

Die Wertung des Vorfalls hängt eng damit zusammen, dass die türkischen Behörden alle Gepflogenheiten und internationalen Pflichten, die sie bei der Verhaftung einer ausländischen Staatsbürgerin einhalten müssten, in diesem Fall offenbar nicht erfüllt haben. Berlin erfuhr nicht von türkischer Seite von der Verhaftung, und der zuständige deutsche Generalkonsul in Istanbul hat bislang auch keinerlei konsularischen Zugang zu Frau Tolu. Beides widerspricht den völkerrechtlich eigentlich bindenden "Wiener konsularischen Vereinbarungen".

Entsprechend besorgt und verärgert zeigte sich die Bundesregierung. Der Sprecher von Außenminister Sigmar Gabriel, Martin Schäfer, betonte, dieses Verhalten sei "besonders bemerkenswert", weil sich Ankara in solchen Fällen sonst "sehr sorgfältig" an die Gepflogenheiten halte.

Durch das Verhalten der türkischen Behörden in dem Fall wird in Berlin der Eindruck genährt, Ankara reagiere mit der Aktion auch auf die jüngst bekannt gewordenen Fälle türkischer Soldaten, die in Deutschland um Asyl baten und dieses auch erhalten haben. Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan hatte dies mit scharfen Worten kritisiert. Die Gefahr ist groß, dass nun alle Bemühungen, das Verhältnis langsam wieder zu entspannen, erschwert oder gar unmöglich gemacht werden.

Erst am Donnerstag war Außenminister Sigmar Gabriel am Rande einer Somalia-Konferenz in London mit dem türkischen Ministerpräsidenten Binali Yıldırım zusammengekommen. Beide hatten dabei über Fälle inhaftierter Deutschtürken in der Türkei gesprochen. Laut Schäfer haben beide vor allem aber zugesagt, neue Versuche zur Entspannung der Beziehungen zu unternehmen.

Ob bei der Begegnung in London auch der Fall von Mesale Tolu angesprochen wurde, konnte Schäfer allerdings nicht sagen. Er betonte aber, dass Berlin über "alle diplomatischen Kanäle" darauf dringe, dass der deutsche Generalkonsul in Istanbul, Georg Birgelen, so schnell wie möglich Zugang zu Tolu erhalte. Damit verbinde sich selbstverständlich auch das Ziel, dass die deutsche Staatsbürgerin "ein faires und rechtsstaatliches Verfahren" bekomme. Entsprechende Bemühungen erfolgten in der Türkei, im Kontakt der Botschaft mit dem türkischen Außenministerium, aber auch in Berlin gegenüber der dortigen türkischen Vertretung. Schäfer betonte, dass dabei die Frage, ob Tolu nun tatsächlich als Übersetzerin oder Journalistin für eine Nachrichtenagentur gearbeitet habe, absolut keine Rolle spiele.

Tolu besitzt nach Angaben ihrer Familie seit 2007 nur noch die deutsche Staatsbürgerschaft. 2014 zog sie nach Istanbul, wo sie zunächst für den Radiosender Özgür Radyo arbeitete, der aber nach dem Putschversuch im Juli 2016 per Dekret geschlossen wurde. Anschließend war die 33-Jährige für die Nachrichtenagentur Etha tätig, die der Sozialistischen Partei der Unterdrückten (ESP) nahesteht. Die türkischen Behörden sehen offenbar Verbindungen zur verbotenen Marxistisch-Leninistisch Kommmunistischen Partei (MLKP); das Gericht, das die Untersuchungshaft für Tolu anordnete, berief sich Medienberichten zufolge auf Tolus Teilnahme einer Beerdigung zweier MLKP-Mitglieder.

Was der Übersetzerin und Journalistin im Einzelnen vorgeworfen wird, blieb zunächst unklar; ihre Anwältin und Familie beklagten, ihnen werde die Akteneinsicht verwehrt. Tolus Ehemann, der Journalist Suat Çorlu, sitzt seit seiner Festnahme Anfang April ebenfalls in Untersuchungshaft.

Mit der Verhaftung von Tolu sitzen inzwischen sechs Deutsche mit türkischen Wurzeln in der Türkei in Haft. Vier von ihnen haben sowohl den deutschen wie den türkischen Pass. Das gilt auch für den Korrespondenten der Tageszeitung Die Welt, Deniz Yücel. An dessen Fall übte Schäfer erneut scharfe Kritik. Obwohl Yücel inzwischen seit fast drei Monaten in Einzelhaft sitze, habe man genau ein Mal, am 4. April, Zugang zu ihm erhalten. Außerdem sei nichts vorangegangen, obwohl er sich in Untersuchungshaft befinde. "Das ist kein faires und vermutlich auch kein rechtstaatliches Verfahren", kritisierte Schäfer.

Entwarnung konnte Schäfer immerhin an einer Stelle geben. Wie Gabriels Sprecher berichtete, sei das kleine Kind der verhafteten Mesale Tolu gut versorgt und in der Obhut der weiteren Familie. Außerdem würde der kleine deutsche Staatsbürger selbstverständlich auch vom Generalkonsulat betreut.

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