Tomio Okamura:Vom Waisenhauskind zum Star der Prager Rechten

Tomio Okamura: Mit dem Wahlerfolg Tomio Okamuras und seiner SPD bei der Parlamentswahl wird der fremdenfeindliche Rechtspopulismus nun auch in Tschechien ein bestimmender Faktor.

Mit dem Wahlerfolg Tomio Okamuras und seiner SPD bei der Parlamentswahl wird der fremdenfeindliche Rechtspopulismus nun auch in Tschechien ein bestimmender Faktor.

(Foto: AP)
  • Tomio Okamura ist Chef der sehr erfolgreichen Rechtspopulisten-Partei "Freiheit - direkte Demokratie" (SPD).
  • Seit der Wahl vom Wochenende ist die SPD mit 10,6 Prozent der Stimmen viertstärkste Kraft im tschechischen Parlament.
  • Für den rechten Politiker Okamura sind Sinti und Roma "Unanpassbare und Parasiten". Dabei hat der 45-Jährige selbst jahrelang Ausgrenzung erfahren.

Von Florian Hassel, Warschau/Prag

Es sind gleich mehrere Dutzend japanische Touristen, die sich da in einem Altprager Restaurant vom Sightseeing-Marathon in Tschechiens Hauptstadt erholen. Also legt Tomio Okamura eine Pause ein und sieht nach dem Rechten. Denn das Geschäft ruht nicht, wenn man Besitzer einer Reiseagentur ist, die Asiaten nach Tschechien bringt - selbst wenn man Chef der gerade sehr erfolgreichen Rechtspopulisten-Partei "Freiheit - direkte Demokratie" ist. Die rechtsradikale Partei SPD, gegründet 2015 und voll zugeschnitten auf Okamura, ist seit der Wahl vom Wochenende mit 10,6 Prozent der Stimmen viertstärkste Kraft im Parlament. Sie dürfte Tschechien einschneidend verändern.

Die Touristen aus Japan sind an diesem Mittag vom Essen und tschechischen Bier satt und zufrieden, also präsentiert Okamura seine Ideen. Die EU stehe unter deutschem Diktat und sei zum Scheitern verurteilt, weshalb Okamura im Gespräch mit der SZ "eine Volksabstimmung über Verbleib oder Austritt Tschechiens aus der EU" fordert. Ebenso wichtig: "Wir wollen den Islam in Tschechien verbieten." Nach Europa Geflüchtete sind für Okamura "illegale Migranten", von denen kein einziger "in Tschechien Aufnahme finden" dürfe. Illegaler Grenzübertritt müsse zum Verbrechen erklärt werden, "für das die sofortige Ausweisung fällig ist".

Der Populist geht weiter. Richter sollen künftig nur vier Jahre lang urteilen dürfen und sich dann "dem Urteil eines Kollegiums oder des Volkes" stellen. Jugendliche sollen sich acht Wochen bei der tschechischen Armee ertüchtigen. "Unanpassbare und Parasiten" - in Tschechien Codewort für Roma - dürften keine Sozialleistungen mehr bekommen.

Okamura hat selbst jahrelang Ausgrenzung erfahren

Es ist ein Programm, bei dem Okamura sich mit "Marine Le Pen" vom französischen Front National oder "meinem Freund Heinz-Christian Strache" von der österreichischen FPÖ in bester Gesellschaft glaubt. Bei verunsicherten, allem Fremden gegenüber skeptischen Tschechen haben solche Parolen Okamura Erfolg gebracht.

Dabei hat der 45-Jährige, Sohn eines Japaners und einer Tschechin, Ausgrenzung selbst jahrelang erfahren. Als er fünf war, trennte seine Mutter sich vom Ehemann und kehrte mit ihren drei Söhnen aus Japan in die damals noch kommunistische Tschechoslowakei zurück. Die Frau fasste schwer Fuß, Tomio verbrachte Jahre im Waisenhaus. Mit seinem asiatischen Aussehen erlebte er so üble Diskriminierung, dass er zu stottern begann und noch als 14-Jähriger ins Bett nässte. Mit 21 kehrte er nach Tokio zurück. Auch dort wurde er als "Halbblut" ausgegrenzt, musste sich als Müllmann und später als Popcornverkäufer im Kino durchschlagen. Jahre später kehrte er nach Tschechien zurück und baute eine erfolgreiche Reiseagentur für asiatische Touristen auf.

Wirtschaftlich erfolgreich schrieb er Bücher, war Juror von Reality-Shows im tschechischen Fernsehen, zog 2013 mit einer neuen Partei ins Parlament ein. Und machte mit fremdenfeindlichen Parolen Schlagzeilen. So bestritt er 2014, dass Sinti und Roma während des Nationalsozialismus in einem KZ im südböhmischen Lety ermordet worden sind. Anfang 2015 verlangte er den Boykott aller Waren muslimischer Anbieter und forderte die Tschechen sogar auf, in der Nähe von Moscheen Hunde und Schweine spazieren zu führen.

Das totale Verbot des Islam in Tschechien war Forderung Nr. 1

Seitdem hat sich der Rechtsaußen-Politiker noch stärker radikalisiert: Das totale Verbot des Islam in Tschechien war im SPD-Wahlprogramm Forderung Nr. 1. "Nicht alle Muslime sind Terroristen - aber alle Terroristen sind Muslime", behauptet Okamura. "Wir sind für Religionsfreiheit - aber der Islam ist keine Religion, sondern eine gefährliche, expansive Ideologie. Deshalb wollen wir ihn verbieten."

Naheliegende Zweifel wie den, dass es in Tschechien bisher kaum Muslime gibt, lässt Okamura nicht gelten: "Tschechische Polizisten laufen heute mit Maschinenpistolen herum. Am Eingang zur Prager Altstadt stehen Betonbarrieren, um einen Terroranschlag zu verhindern. Wir wollen die Probleme lösen, bevor sie bei uns überhaupt erst entstehen."

Analysten wie der Politologe Petr Just halten Okamuras Anti-Islam-Nationalismus für "rein zweckgebunden: Okamura will nur seine Wählerschaft ausweiten. Früher trat Okamura für ein multikulturelles Tschechien ein". Noch 2011 war Okamura Juror bei der Show "Miss Expat" - dort wurde die schönste Einwanderin gekrönt. 2013 stellte er laut Nachrichtenagentur Reuters ein Foto seiner tschechischen Freundin ins Internet, die in muslimischer Kleidung eine Moschee in London betritt, und pries die "schöne Erfahrung".

Er erfand die Mär von 30 000 illegalen Migranten

Seine gegen Muslime, gegen Brüssel und pro Moskau gerichtete Rhetorik verbreitet Okamura vor allem mit selbstgedrehten Videos auf Facebook. Dabei erfand er dem Analysten Jiri Pehe zufolge auch die Mär von 30 000 illegalen Migranten, die Tschechiens Regierung vor ihren Bürgern versteckt halte.

Nach seinem Wahlerfolg ist Okamura nun möglicher Königsmacher. Bisher ist offen, wie und mit wem Wahlsieger Andrej Babis eine Koalition schmieden kann. Vor der Wahl nannte Babis Okamura "gefährlich"; schon in der Wahlnacht schränkte Babis ein, einige Elemente des SPD-Programms seien durchaus akzeptabel.

Okamuras älterer Bruder beobachtet dies mit Skepsis. Hayato Okamura, ein in der Flüchtlingshilfe aktiver Politiker der Christdemokraten, sieht seinen sechs Jahre jüngeren Bruder nur einmal im Jahr - wenn sich Hayato, Tomio und Osamu, der jüngste der drei Brüder, zum Gedenken an die verstorbene Mutter treffen. Er kenne Tomios Ideen, sagt Hayato: "Er ist ein Populist von schwerem Kaliber geworden. Ich habe Angst vor ihm."

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