Tod des FDP-Politikers:Westerwelle - frecher, schlagfertiger, schlauer als die anderen

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Guido Westerwelle hatte ein feines Gespür für sein Gegenüber. (Foto: AFP)

Mitunter war der FDP-Politiker auch penetranter, er zertrümmerte politische Regeln. Zuletzt kämpfte er um mehr Zeit für sein neues Leben.

Von Evelyn Roll

"Neulich habe ich mir für einen Moment überlegt, was wohl geschehen würde, wenn ich einfach den Stecker dieser Infusionsmaschine zöge ... Wahrscheinlich wärst du kurz danach tot, dachte ich mir. Aber sterbe ich nicht auch so? Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Wer weiß das schon." (Guido Westerwelle in "Zwischen zwei Leben")

Als wir uns das letzte Mal getroffen haben, im September 2015 war das, ein paar Monate nach der Stammzellen-Transplantation, sah er schon wieder besser aus, fast wie früher, mit Haaren jedenfalls. Wirklich gut ging es ihm noch nicht: Die Augen tränten unentwegt. Man konnte sehen, dass ihm das Schlucken Schmerzen machte. Er gab auch niemandem die Hand, um sich keine Infektion zu holen. Und auf die Frage "Wie geht es Ihnen? Wie geht es Ihnen wirklich?", antwortete Guido Westerwelle: "Noch ist nicht entschieden, ob mein neues Immunsystem meinen Körper abstößt."

Weil er immer ein sehr feines Gespür hatte für Irritationen seines Gegenübers, sagte er noch: "Es ist tatsächlich so. Wenn es nicht gut läuft, dann werden die neuen Immunzellen des Spenders meinen Körper als fremd und feindlich betrachten. Sie werden erst die Schleimhäute bekämpfen und abstoßen, dann meine Organe. Mein Körper würde dann zum Schlachtfeld eines Bürgerkrieges, in dem jeder gegen jeden kämpft, bis am Ende alle tot sind."

Frecher, schlagfertiger, schlauer und vor allem häufiger als alle anderen in Talkshows

Die Schlacht ist verloren. Der Krieg ist zu Ende. Guido Westerwelle, der im Kölner Krankenhaus Paul Frings hieß, damit wenigstens die Boulevardjournalisten ihn nicht auch noch quälten, ist am Freitag im Alter von nur 54 Jahren gestorben. Das zweite Leben, um das er so hart gekämpft hat, für mehr Zeit mit seinem Mann Michael Mronz, "darum, in Zukunft ein paar Dinge anders machen zu können", wurde ihm nicht mehr geschenkt.

Das erste Leben, die politische Karriere Guido Westerwelles, teilt sich in zwei Phasen. In der sehr langen Phase als Oppositionspolitiker galt er als der größte Zampano der Erregungsdemokratie. Er hatte, was für den Vorsitzenden einer kleinen Partei sehr wichtig war, früh erkannt, dass Bedeutung in einem zur Telekratie mutierten parlamentarischen System allein durch Präsenz hergestellt werden kann. Immer schon frecher, schlagfertiger, schlauer und vor allem häufiger als alle anderen saß er in den Talkshows. Er war der Erste, dem es gelang, ausschließlich durch eine penetrante Öffentlichkeitsstrategie umgekehrt proportional zur Bedeutung und Stärke der FDP in den Medien präsent zu sein.

An die Regierung kam er erst im dritten Anlauf. Es hatte schon so ausgesehen, als würde es nie etwas werden mit der Regierungsbeteiligung im Bund. Er war schon fast Prinz Charles. Und dann: 14,6 Prozent, Hans-Dietrich Genscher hatte Tränen in den Augen am Wahlabend des 18. September 2009. Und in jener Nacht, vier Jahre zuvor, als Schröder die Elefantenrunde zusammendröhnte und polterte, als Angela Merkel staunte und schwieg, war er es, der ihr ins Amt half mit seiner coolen Nichtumfaller-Reaktion - die FDP werde auf keinen Fall mit der SPD verhandeln.

Diese zweite Phase im politischen Leben Westerwelles währte nur eine Legislaturperiode lang. Man kann auch sie noch einmal in zwei Abschnitte einteilen. Im ersten Abschnitt zertrümmerte Westerwelle die Regel, nach der ein Außenminister in Deutschland immer und vollautomatisch hohe Beliebtheitswerte hat. Er wurde sehr schnell und überraschend, vor allem für ihn selbst, zum meistgehassten Politiker des Landes.

Eine Frage von damals gehört zur politischen Geschichte: Habe er mal daran gedacht, dass vieles an seinem Fehlstart als Außenminister auch einfach an latenter bis offener Homophobie in diesem Land liegen könnte, an Vorurteilen und Hass gegen Homosexuelle? Antwort: "Das habe ich nicht gedacht. Das ist der Fall gewesen."

Er beschloss, sich noch einmal neu zu erfinden

Als dann Horst Köhler zurücktrat und die Koalition damit eigentlich schon wirklich am Ende war, beschloss Guido Westerwelle, es noch einmal richtig zu machen, sich noch einmal neu zu erfinden. Er tat das mit einigem Erfolg: keine Talkshows, keine Innenpolitik, keine FDP, eine neue Brille, neue Berater und Sprecher, eine neue Staatssekretärin, nichts als Außenpolitik.

Schwarz-Gelb wurde trotzdem nicht wiedergewählt. Das war das Ende für Guido Westerwelle in der Politik. Ein Unvollendeter wie Strauß und Lafontaine, einer mit klugen und entschiedenen Plänen für ein zweites Leben nach der Politik. Ein Leben, das er nicht mehr leben durfte.

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Er war für viele Menschen eine Provokation. Bewegt hat er sie, als er, todkrank, für ein zweites Leben kämpfte. Er hat verloren.

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