Thüringen: Koalitionsgespräche:SPD verhandelt mit CDU - Linke sind empört

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Landeschef Matschie legt sich fest: Die SPD in Thüringen nimmt Koalitionsgespräche mit der CDU auf - und wird dafür von den Jusos kritisiert. Die Linken sprechen von "Wahlbetrug".

Thüringen bewegt sich einen Monat nach der Landtagswahl auf die Bildung einer großen Koalition zu.

Der SPD-Landesvorstand beschloss in der Nacht zum Donnerstag in Erfurt nach mehr als vierstündigen Beratungen, der CDU Verhandlungen über die Bildung einer gemeinsamen Regierung anzubieten. Sozialministerin Christine Lieberknecht (CDU) erklärte, ihre Partei nehme dies an.

"Mehr Stabilität"

Landeschef Christoph Matschie sagte nach Beratungen des Landesvorstands: "In einer Koalition mit der CDU ist mehr Stabilität möglich." In den Sondierungsgesprächen mit den Linken und Grünen sei es schwerer gewesen, Vertrauen zu entwickeln, sagte Matschie. "Wir sind davon überzeugt, dass wir den Wechsel, den wir vor der Wahl versprochen haben, mit der CDU bei wichtigen Themen umsetzen können", fügte er hinzu.

"Die Entscheidung für die CDU ist nach heftiger und intensiver Diskussion gefallen", sagte SPD-Landesgeschäftsführer Jochen Staschewski. Von 24 Mitgliedern des Gremiums hätten sich 18 für die CDU ausgesprochen.

"Ich habe diese Entscheidung erhofft", sagte Lieberknecht. "Wir setzen auf eine verlässliche und faire Partnerschaft auf Augenhöhe." Ziel sei es, nun eine stabile Regierung zu bilden, die Thüringen sicher durch die Wirtschafts- und Finanzkrise bringe. Lieberknecht ist Kandidatin der CDU für den Posten der Ministerpräsidentin. Staschewski erklärte, seine Partei werde einen Regierungschef der CDU akzeptieren.

Fahrplan für Verhandlungen

Noch in dieser Woche will Lieberknecht als Verhandlungsführerin der CDU mit dem SPD-Spitzenkandidaten Christoph Matschie den Fahrplan für die Koalitionsverhandlungen abstecken. "In den Sondierungsgesprächen haben wir kein Thema ausgelassen. Wir wissen, dass wir uns in allen Feldern zu Kompromissen bereitfinden können", sagte Lieberknecht.

Die Entscheidung der thüringischen Sozialdemokraten für Koalitionsgespräche mit der CDU löste innerhalb der SPD Kontroversen aus. Thüringens Juso-Chef Peter Metz sagte, er sei nach wie vor davon überzeugt, dass die sozialdemokratischen Interessen in einer rot-rot-grünen Koalition besser umgesetzt werden könnten.

Er warnte trotz seiner Vorbehalte vor Schnellschüssen wie Sonderparteitagen, um das Ergebnis zu kippen. "Wir müssen jetzt die Koalitionsverhandlungen abwarten und sehen, wie viel von unserer Programmatik wir dort umsetzen können."

Die Jusos kritisierten, dass mit der CDU "die sich über Jahre festgesetzte Vetternwirtschaft in den Ministerien nicht beseitigt und wichtige Reformen nicht angegangen" werden könnten.

"Politischer Scharlatan"

Matschies innerparteilicher Konkurrent Richard Dewes sagte im Mitteldeutschen Rundfunk, er sei sehr verwundert ob der Entscheidung aus der Nacht zum Donnerstag. "Wir wollten im Landtagswahlkampf die Abwahl der CDU nach 20 Jahren. Wir wollten die Möglichkeit einer rot-rot-grünen Koalition mit stabiler Mehrheit. Diese Voraussetzungen sind gegeben mit dem Wahlergebnis", erklärte Dewes.

Inhaltlich habe man sich mit der Linken und den Grünen zu 90 Prozent geeinigt. Der Spitzenkandidat der Linken habe den Platz frei gemacht. Schließlich habe auch Matschie seinen Verzicht erklärt. "Und Matschie selbst hat den Oberbürgermeister von Erfurt gebeten, als Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten zur Verfügung zu stehen. Die Linke hat Zustimmung signalisiert und nun wartet Matschie die Antwort nicht einmal ab." Er gehe davon aus, dass Matschie wolle, "dass jemand anderes aus der SPD das Amt des Ministerpräsidenten einnimmt".

Die Aussage Matschies, dass mit in einer Koalition mit der CDU sei mehr Stabilität möglich sei, kritisierte er ebenfalls. Dewes warf Matschie vor, sowohl die Partei als auch die Öffentlichkeit mit seinen Erklärungen schlicht hinters Licht geführt zu haben: "Er ist ein politischer Scharlatan", erklärte er. Die politischen Projekte der SPD seien mit der CDU in Thüringen nicht machbar.

Im Frühjahr 2008 hatte Dewes bei der Wahl zum Spitzenkandidaten der Partei klar gegen Matschie den Kürzeren gezogen.

Vorwürfe gegen SPD

Linke-Landeschef Knut Korschewsky bezeichnete die SPD-Entscheidung für Koalitionsverhandlungen mit der CDU als "ganz klaren Wählerbetrug". Die Bürger, die mit der SPD-Stimme den Wechsel gewählt hätten, seien "blank verschaukelt" worden, sagte Korschewsky an diesem Donnerstag der Nachrichtenagentur ddp.

Die SPD habe die Zeichen der Zeit nach der Landtags- und der Bundestagswahl nicht verstanden. Der Linke-Politiker warf der SPD zudem vor, sie habe sich von der CDU durch Versprechen "kaufen" lassen.

Thüringens Bündnisgrüne äußerten sich enttäuscht über die SPD-Vorstandsentscheidung. "Die SPD traut sich selber nicht über den Weg, und so geht sie nun in den sicheren Hafen", sagte Grünen-Landessprecherin Astrid Rothe-Beinlich. Sie glaube zwar nicht, dass die SPD von Anfang an nur Schwarz-Rot geplant habe, habe sich aber gewünscht, dass sie ihre Präferenz "ehrlich und schneller" genannt hätte. Nicht redlich sei es von Matschie, die Position der Linken zum Ministerpräsidentenposten als Grund zu nennen.

Reibereien mit den Linken

Am Mittwoch hatte die SPD die Sondierungen mit Linkspartei und Grünen auf der einen sowie mit der CDU auf der anderen Seite beendet. Vor allem in den Verhandlungen mit der Linken hatte es Reibereien gegeben, weil die SPD keinen Ministerpräsidenten der Linken akzeptieren wollte, obwohl die Linkspartei bei der Landtagswahl Ende August mehr Stimmen als die SPD erhalten hatte. Sie hätte deswegen nach parlamentarischen Brauch auch Anspruch auf das Amt des Regierungschefs.

Zuletzt waren sich Linkspartei und SPD entgegengekommen. Die Linkspartei hatte sich bereiterklärt, auch einen SPD-Regierungschef zu wählen. Die SPD ihrerseits war bereit, nicht mehr auf Matschie als alleinigen Kandidaten für den Posten zu beharren.

Linkspartei und SPD hatten auch die Grünen zu ihren Sondierungen eingeladen, obwohl ein rot-rotes Bündnis im Landtag über eine Regierungsmehrheit verfügt. Die Grünen hatten deswegen auch auf eine garantierte Gleichberechtigung als Voraussetzung für eine rot-rot-grüne Koalition gepocht.

Bei der Landtagswahl im August blieb die CDU zwar stärkste Partei, verlor aber ihre Regierungsmehrheit. Ministerpräsident Dieter Althaus erklärte nach dem Wahldebakel seiner Partei seinen Rücktritt, war dann aber zur Leitung einer Kabinettssitzung geschäftsführend in die Staatskanzlei zurückgekehrt.

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