Terrorgefahr in Deutschland:Der schwierige Umgang mit dem "Gefährder"

Terrorgefahr in Deutschland: Mit diesem Foto fahndet die Polizei bundesweit nach Anis Amri.

Mit diesem Foto fahndet die Polizei bundesweit nach Anis Amri.

(Foto: AP)

549 islamistische "Gefährder" gibt es bundesweit, meldet das Bundeskriminalamt. Doch wie nützlich ist diese Information? Oft wissen die Behörden nicht einmal, wo sie sich aufhalten.

Von Ronen Steinke

Es gibt da eine Zahl, die Präzision suggeriert. 549 islamistische "Gefährder" zählt das Bundeskriminalamt derzeit bundesweit. Die allermeisten stammten aus Großstädten, 97 von ihnen seien Konvertiten. Wenn sie im Bundeskriminalamt solche Zahlen vorlesen, dann klingt das zwar nicht beruhigend, aber souverän. Als Gefährder bezeichnen Polizeibehörden Personen, denen sie Terrorakte zutrauen. Aber zutrauen? Was heißt das schon?

Anders als bei Vergewaltigern oder Schlägern, die in Sicherungsverwahrung sitzen, weil sie schon einmal ein Verbrechen begangen haben und ihnen von Psychologen nach eingehender Untersuchung eine Wiederholungsgefahr attestiert worden ist, haben "Gefährder" oft noch nichts Strafbares getan. Vielleicht sind sie in Internetforen aufgefallen. Vielleicht haben sie auffällige Reiserouten hinter sich. Sie sind keine Straftäter, sie leben in Freiheit und verhalten sich legal. Gefährder sind - mutmaßlich - zukünftige Straftäter. Wenn überhaupt.

Präzise ist daran nichts, und was für einen Aufschrei gäbe es, wenn sich die Polizei über die Unschuldsvermutung hinwegsetzte und solchen Leuten Fesseln anlegte? Vorschläge, wie sie zuletzt aus der CSU kamen, man solle pauschal allen Gefährdern elektronische Peilsender umschnallen, fanden sie sogar im Bundeskriminalamt befremdlich. "Auf welcher rechtsstaatlichen Grundlage denn?", fragt ein hoher Beamter.

Gradmesser für die Nervosität

Wie viele Personen die Polizei als "Gefährder" zählt, das ist auch ein Gradmesser dafür, wie nervös die Zeiten sind, denn natürlich könnte man den Kreis auch weiter ziehen, natürlich ist die Definition nicht trennscharf. Es geht um eine reine Prognose. Erst vor wenigen Wochen haben sich die Bundesländer überhaupt auf eine einheitliche Liste von Kriterien geeinigt, nach der sie diese Prognose anstellen.

Sicher, die Behörden könnten jeden als "Gefährder" erkannten Menschen observieren. Aber für eine Observation rund um die Uhr bräuchte es vier oder fünf Teams von Beamten, die sich in Schichten abwechseln. Wenn der Beobachtete in ein Auto steigt und davonfährt, muss das ganze Team hinterher. Mit mindestens zwei Autos. Wie soll man das leisten, bei 549 Zielpersonen bundesweit? "Und selbst, wenn wir mal das ganz große Besteck heraus holen", so sagt einer, der mit der Überwachung von Gefährdern leidvolle Erfahrungen gemacht hat, "was erwartet man?"

Selbst bei größtem Personalaufwand bleiben bei jeder Observierung Lücken. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 hatten die Sicherheitsbehörden in Hamburg strikte Anweisungen, einen Mann aus Saudi-Arabien nicht aus den Augen zu lassen. Er stand im Verdacht, mit den Attentaten zu tun zu haben. Die Sorge war groß, dass die Anschlagsserie weitergehen könnte. An Kosten und Mühen wurde nicht gespart. Rund um sein Haus postierten sich Beamte. Tagelang warteten sie darauf, dass der Mann das Haus verlässt. Bis er plötzlich in ihrem Rücken auftauchte, freundlich grüßte und ins Haus hinein ging. Er war ihnen unbemerkt entwischt. "Das können sie menschlich nicht verhindern. Nicht in einer Großstadt", so sagt der erfahrene Ermittler.

Unter den 549 islamistischen Gefährdern, die das Bundeskriminalamt derzeit deutschlandweit zählt, sind viele, die ins Ausland gereist sind. Etwa die Hälfte, schätzt das BKA, habe sich zeitweise dem Kampf in Syrien und im Irak angeschlossen. Viele sind dann wiedergekommen. Nicht bei allen ist man sich sicher. Und bei den gewaltbereiten Islamisten, die wieder in Deutschland sind, ist es nun teils so: Man hat Meldeadressen, aber das heißt nichts. Es herrscht Bewegungsfreiheit in Deutschland. Man weiß oft nicht einmal, wo sie sind.

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