Prantls Blick:Warum der Dieselskandal die Wahl beeinflussen kann

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Feinstaubalarm in Stuttgart. (Foto: dpa)

Noch fühlen sich Merkel und die Union angesichts ihrer wunderbaren Umfragezahlen und der Schwäche der SPD so sicher wie die Autokonzerne vor drei Jahren. Aber das kann sich schnell ändern.

Die politische Wochenvorschau von Heribert Prantl

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Nach dem Dieselgipfel ist mir die Geschichte von dem Studenten eingefallen, der zum Professor kommt mit dem Anliegen, "Wirtschaftsethik" studieren zu wollen. Darauf der Professor trocken: "Da werden sie sich schon für eines von beiden entscheiden müssen." Die Anekdote ist schon alt, sie stammt von Karl Kraus, einem der bedeutendsten österreichischen Schriftsteller des beginnenden 20. Jahrhunderts. Die kleine Geschichte passt ganz gut zu den Bildern von den Chefs der großen Autokonzerne, die nach dem Autogipfel sehr selbstzufrieden und sehr wenig schuldbewusst vor den Kameras stehen.

Die Kritik von Niklas Luhmann geht auch in diese Richtung; auch sie eignet sich als aktuelle Bildunterschrift zu Müller, Zetsche & Co: Der Systemtheoretiker hat ironisch gefragt, was denn die englische Küche und die Wirtschaftsethik gemeinsam hätten. Seine bissige Antwort: "Ihre Nichtexistenz". Das ist ein wunderbarer Zynismus. Aber er bringt die Sache nicht richtig weiter. Wie weiter? Diese Frage und die Suche nach den Antworten wird die Wochen nach dem Gipfel, sie wird auch den Wahlkampf prägen.

Das Sinnieren über "Wirtschaftsethik" klingt danach, als handele es sich bei der Einhaltung von gesetzlichen Regeln und von verbindlichen Normen um wolkige, philosophisch ambitionierte Angelegenheiten. Nein, die Einhaltung von gesetzlichen Regeln und Normen ist nicht ambitioniert und nicht wolkig und nicht freiwillig; sie ist Pflicht. Und wer die Pflicht verletzt und dadurch Schaden verursacht, muss den Schaden ersetzen und Schadenersatz leisten. Das ist nicht Großzügigkeit, das ist kein freiwilliges Entgegenkommen, das ist nur recht und billig - und zwar auch dann, wenn es viel Geld kostet.

An dieser Stelle ist ein harsches Wort zur sogenannten Compliance fällig, für die die Branche eine Menge Geld und Personal aufwendet. Es handelt sich, wie man leider feststellen muss, um PR-Gedöns. Bei der Compliance, so hat man es gehört, gehe es um mehr als nur um die Einhaltung von Recht und Gesetz; es gehe um Vorbeugung, um gute Unternehmenskultur und um freiwillige Selbstverpflichtung. Es zeigt sich: Die ganze Ideologie von freiwilliger Selbstverpflichtung, die so unbürokratisch und effizient sei - sie ist Hochglanzveräppelung des Publikums.

Der Betrug am Kunden ist keine lässliche Angelegenheit, sondern Betrug. Unlauterer Wettbewerb mit digitalen und sonstigen Tricksereien kann nicht mit Gewinnstreben entschuldigt werden. Die Automanager haben womöglich den töricht-neoliberalen Satz von Milton Friedman falsch internalisiert: "Die soziale Verantwortung der Wirtschaft", hat er gesagt, "besteht darin, ihren Gewinn zu mehren". Aber nicht einmal Friedman hat gemeint, dass zur Gewinnmehrung Lug und Trug und Rechtsbruch eingesetzt werden sollen.

Die Diskussion über die Konsequenzen aus dem Dieselskandal wird die Wochen bis zur Bundestagswahl prägen: Dafür sorgen auch die Bürgermeister der großen Städte, die weiter von Fahrverboten reden, weil sie nicht wissen, wie sie sich und den feinstaub-belasteten Städten anders helfen sollen. Dafür sorgt die frappierende Uneinsichtigkeit der Großauto-Großmanager. Dafür sorgen die Staatsanwälte, die - wie dies gerade gegen Audi geschieht - Vorstände und Manager mit Bußgeldverfahren überziehen. Strafverfahren wegen Betrugs werden folgen; Zivilprozesse mit hohen Schadenersatzforderungen auch. Und dafür sorgt der Zorn der Autofahrer und Autobesitzer, der vielleicht auch deswegen so groß ist, weil man insgeheim weiß, dass man am Größenwahn der Autobranche auch selbst mit Schuld ist. Jan Heidtmann hat das in seinem Samstagsleitartikel in der Süddeutschen Zeitung schön auf den Punkt gebracht: Die hochmotorisierten Gefährte von heute, die SUVs & Co seien "im Autokosmos vielleicht die Krone der Schöpfung - gesellschaftlich aber längst schon eine Dummheit".

Das alles kann noch sehr wahlrelevant werden, weil die CDU/CSU bei alledem eine miese Figur macht. Die Kanzlerin ist überhaupt nicht präsent; und der Verkehrsminister Dobrindt von der CSU versucht, die ganze Angelegenheit in die Belanglosigkeit zu schwätzen. Wenn die Grünen ihre Kampagnenfähigkeit nicht komplett verloren haben, werden sie das nutzen. Für sie ist der Dieselskandal ein Geschenk des Himmels und der Eierskandal eine Dreingabe. Noch fühlen sich Merkel und die Union angesichts ihrer wunderbaren Umfragezahlen und der Schwäche der SPD so sicher, wie die Autokonzerne vor drei Jahren. Aber das vermeintlich Sichere ist nicht sicher.

Wie unsicher das vermeintlich Sichere ist, davon kann Christel Augenstein, die frühere FDP-Oberbürgermeisterin der Goldstadt Pforzheim ein Lied singen. Sie steht ab kommenden Dienstag, 9.30 Uhr, zusammen mit ihrer ehemaligen Stadtkämmerin und deren Stellvertreter in vor der Großen Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Mannheim. Die Oberbürgermeisterin a.D. muss sich wegen dubioser Finanzgeschäfte verantworten, die die Stadt beinahe in den Ruin getrieben hätten. Die Anklage (sie stammt schon aus dem Jahr 2013!) wirft ihr schwere Untreue und weitere Delikte vor. Es geht um "Spread Ladder Swaps", das sind Geld-Wetten auf den Abstand zwischen dem kurz- und langfristigem Zinsniveau; das klingt nicht nur hässlich, das ist es auch - schon deswegen, weil für Kommunen ein Spekulationsverbot gilt. Die Angeklagten haben mit städtischem Geld gezockt und die Stadt in die Jauche geritten. Bei hochspekulativen Zins-, Zinswett- und Gier-Geschäften mit der Deutschen Bank und der US-amerikanischen Bank JP Morgan entstand der Stadtkasse ein Schaden in Millionen-Höhe; ursprünglich war von 77 Millionen Euro die Rede, zuletzt von 57 Million Euro. Nach zwei zivilrechtlichen Vergleichen mit den Banken bleibt Pforzheim immer noch auf einem Verlust von zwölf Millionen Euro sitzen.

Die Pforzheimer Spekulationen gehören zu den neoliberalen Verirrungen, zu denen sich viele Kommunen in ihrer Finanznot vor eineinhalb Jahrzehnten haben verleiten lassen. Auch das Cross-Border-Leasing zählt dazu. Die Gemeinden privatisierten Wasserversorgung, Abwasserbeseitigung, Müllentsorgung und Verkehrsbetriebe. In den Maß, in dem die kommunalen Versorgungsbetriebe entkommunalisiert wurden, verloren die Kommunen die Funktion, die sie hatten: Sie waren nicht mehr Schule der Demokratie, sondern nur noch Zwergschule. Das war nicht gut, das war demokratiegefährlich. Und es war zudem oft auch noch finanziell ein Desaster. Die Privatisierungswelle in den Kommunen ist glücklicherweise wieder gebrochen, es gibt überall in Deutschland eine berechtigt große Lust zur Re-Kommunalisierung - bis hin zum Energiesektor.

Der Prozess in Mannheim wegen schwerer Untreue gegen die Ex-Oberbürgermeisterin - er soll bis ins Jahr 2018 hinein dauern - ist die Spitze eines Eisbergs der kommunalen Verirrungen. Der Prozess ist immer wieder verschoben worden; die Mühlen der Justiz mahlen hier besonders langsam. Auf das Urteil der Großen Wirtschaftsstrafkammer in Mannheim warten etliche Gerichte in Deutschland; es gibt nämlich eine ganze Reihe von Städten, in denen Bürgermeister und Kämmerer glaubten, sie könnten mit neoliberalen Zauberformeln Stroh zu Gold spinnen. Solche Spinnereien gehören ins Märchen. Bürgermeister sollen ihren Bürgern keine Märchen erzählen; Automanager ihren Kunden auch nicht. Und für die Politik gilt: Wahlkämpfe sollen Kämpfe sein, nicht Märchenstunden. Am kommenden Samstag ist der erste große Wahlkampftermin Merkels nach der Sommerpause - in Dortmund. Vielleicht fällt ihr ja zum Dieselskandal noch etwas ein.

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