SZ-Serie: Der Weg nach Berlin:"Mann, wenn wir jetzt Niedersachsen verkacken"

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Sechs Abende, sechs Auftritte - Bruno Kramm soll helfen, dass Niedersachsens Piraten es doch noch in den Landtag schaffen, den Umfragen zum Trotz. Doch während einer mäßig besuchten Wahlkampfveranstaltung befallen sogar den Optimisten Kramm Zweifel am Erfolg seines Tuns.

Von Jan Bielicki

Politiker "sind doch alle gleich", lautet das Pauschalurteil vieler Deutscher. Sind sie nicht. Die Süddeutsche Zeitung begleitet bis zur Bundestagswahl 2013 sieben Menschen aus sieben Parteien auf ihrem Weg in die Politik - Fehler, Rückschläge und Niederlagen inklusive.

Bruno Kramm von den Piraten zieht gerade in Niedersachsen sein Thema durch Die Konkurrenz ist groß, doch Matthias Knöfel ist keiner, der so schnell seinen Humor verliert. "Ich hoffe", sagt er augenzwinkernd, "dass der Bruno mehr Leute zieht als der Westerwelle oder der Oskar."

Niedersachsens Landtagswahlkampf geht in die letzten Tage, für diesen Abend haben sich Liberale und Linke ihre Ex-Parteichefs Westerwelle und Lafontaine nach Celle geholt. Knöfel, Kreisvorsitzender der Piraten, hat Bruno Kramm eingeladen.

Der Rockmusiker Kramm ist eigentlich Spitzenkandidat für die Bundestagswahl in Bayern, aber darüber hinaus ist er eine der buntesten Figuren in der Partei, auch seiner roten Haarsträhnen wegen. Nun soll er helfen, dass Niedersachsens Piraten es am kommenden Sonntag doch noch in den Landtag schaffen, den Umfragen zum Trotz. Sechs Abende, sechs Auftritte; bei Twitter läuft das alles unter: #diegroßeBrunoKrammrocktNDStour.

Als er in der Musikkneipe Aimely eintrifft, sind zwei Piratinnen und sieben Piraten da - und noch ein Pärchen, das gekommen ist, weil die beiden Söhne tief in der Hackerszene stecken. "Dann interessiert man sich natürlich auch dafür", sagt sie, die als Musiklehrerin arbeitet.

Eine Prise sanfte Kritik

Aber auch Kramm ist niemand, der sich so leicht die gute Laune verderben lässt. "Wie läuft's?", ruft er den Parteifreunden zu. Die wiegen zur Antwort die Köpfe, und das Brummen, das sie von sich geben, klingt weniger hochgestimmt. Kramm steckt seinen Tablet-Computer an den Beamer, mit dessen Bildern er seinen Vortrag über die Gema, die Musikrechte-Verwertungsgesellschaft, untermalen will.

Dann redet er los. Frei, stehend, mit ausladenden Gesten und rasend schnell, das Thema kennt er als Urheberrechts-Beauftragter seiner Partei in allen Details. Bei Minute 35 seines Vortrags ist das Pärchen verschwunden. Kramm wird 90 Minuten lang reden, Geschichte und Vorgehensweise der Gema in allen Einzelheiten ausbreiten - und irgendwann zugeben, dass das "kein wirkliches Wahlkampf-Thema" ist, schließlich hat die Gema ihre heftig bekämpfte Tariferhöhung vorerst ausgesetzt. Für Kramm jedoch, Gema-Mitglied seit der Zeit, als er als junger Musiker noch "gekifft hat wie ein Weltmeister und gar nicht gerallt, was da läuft", ist eine Reform dennoch ein Thema, das "wir so was von diszipliniert durchrocken müssen".

Von den Mitpiraten kommen freundlicher Beifall und eine Prise sanfte Kritik: "War ja superinteressant", sagt der Pirat André Uetzmann, "aber zwischendurch fühlte ich mich ein kleines bisschen abgehängt, du redest ja ohne Punkt und Komma." Bei der Apfelschorle danach - er will in der Nacht noch weiter - befallen sogar den Optimisten Kramm Zweifel am Erfolg seines Tuns: "Mann, wenn wir jetzt Niedersachsen verkacken . . ." Er hält kurz inne: "Ist auch scheißegal, wir machen weiter!" Am nächsten Tag ist er in Buxtehude.

© SZ vom 17.01.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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