Syrer vor dem Militärschlag:Warten auf Bomben

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Alltag in Damaskus vor dem möglichen US-Angriff: Marktbesucher in der Damaszener Altstadt. (Foto: dpa)

Nicht nur die Welt, vor allem die Menschen in Syrien warten auf den angekündigten US-Militärschlag - die einen mit Wut und Sorge, die anderen mit Ungeduld oder sogar Zuversicht. Im Gespräch mit SZ.de beschreiben sie ihren Alltag.

Von Isabel Pfaff

Von Deutschland aus mit Menschen in Syrien zu sprechen, ist im Moment nicht einfach. Telefonverbindungen werden gekappt, das Internet funktioniert oft nur stundenweise. Manchmal ist der Strom zwei Tage weg. Viele Syrer möchten außerdem nicht mit deutschen Journalisten reden. Sie haben Angst - die einen vor den Unterstützern von Präsident Baschar al-Assad, die anderen vor den Oppositionsgruppen.

Burhan Abu Saada ist einer der wenigen, der Süddeutsche.de etwas erzählen will. Er hat nicht viel Zeit, er fürchtet, dass der Akku seines Computers nicht mehr lange hält. Gerade ist in dem Vorort von Damaskus, wo er lebt, wieder Stromausfall. Wer erwartet, dass der 50-jährige Englischlehrer dem möglichen Militärschlag der USA mit Ablehnung begegnet, liegt falsch: "Wir warten schon 30 Monate darauf, dass etwas passiert", schreibt er im Skype-Chat. Als Anhänger der Rebellen hat er die Geduld verloren, das Warten auf die Entscheidung des amerikanischen Kongresses passt da ins Bild. "Weil der Westen zu faul war, haben die Islamisten hier die Oberhand gewonnen", klagt er. "Niemand hilft uns, den säkularen Kräften."

Angst hat Burhan nicht. Er rechnet mit einer Entscheidung für den Angriff und vertraut darauf, dass Amerikaner und Franzosen keine Wohngebiete bombardieren werden - selbst dann nicht, wenn sich dort Assad-Anhänger verstecken. "Ich fürchte nur die Rache der Regierungstruppen", sagt er. Seine Frau und die beiden Kinder hätten die gefährliche Gegend um Damaskus schon verlassen. Er wolle ausharren, um den Kampf gegen Assad zu unterstützen. "Aber wenn die Bedrohung für meine Familie stärker wird, habe ich keine Wahl", schreibt Burhan. "Dann müssen wir fliehen."

Karam Kass Elias ist 25 und studiert Humanmedizin in Damaskus. Als Christ hat er vom bisherigen laizistischen Kurs der Assad-Regierung profitiert: Die religiöse Minderheit der Christen genoss maximale religiöse Freiheit und stellte mehrmals Regierungsmitglieder, obwohl sie nur zwölf Prozent der Bevölkerung ausmachen. "Unser Leben in Syrien war wunderbar bis zu diesem Krieg", sagt Karam am Telefon. "Unser Präsident war so gut zu uns, wir lieben ihn." Seit dem Bürgerkrieg sei alles anders, Dschihadisten kämen von überall her, um Christen zu töten. "Haben Sie nicht von dem Angriff auf Maalula gehört?", fragt er. Vor kurzem sind islamistische Rebellengruppen in das alte christliche Zentrum Syriens vorgerückt. Regierungsmedien berichteten daraufhin über Zerstörungen an den alten Kirchen und Klöstern. Christliche Einwohner Maalulas konnten das später nicht bestätigen.

Wer eine Intervention des Westens akzeptiere, so Karam, dem sei Syrien egal. Nicht alle seine Freunde und Verwandte würden Assad unterstützen, aber sie seien geschlossen gegen einen Militärschlag der USA. "Die Amerikaner marschieren überall ein und behaupten, es ginge ihnen um Demokratie. Das ist verlogen!", ruft er aufgebracht. "Aber sie werden verlieren, unsere Armee ist stark." Er lacht und erzählt, dass er gerade mit Freunden Shisha rauche und Musik höre. Er gehe ganz normal zur Uni, bald hat er Prüfungen. "Ich habe überhaupt keine Angst. Gott ist mit Syrien."

Andere Anhänger der Regierungsseite zeigen ihre Unterstützung auf drastischere Art: Das Wall Street Journal berichtet von einer Kampagne namens "over our dead bodies" ("über unsere Leichen"), bei der Regimeunterstützer Zelte an Orten aufschlagen, die möglicherweise von den USA bombardiert werden könnten. Als menschliche Schutzschilder versuchen die Teilnehmer der Kampagne demnach, strategisch wichtige Positionen der Regierung zu schützen. Die Aktivisten haben vergangene Woche auf dem Berg Qasyun bei Damaskus die ersten Zelte aufgestellt.

Im kurdisch geprägten Nordosten Syriens ist die Lage unübersichtlicher als in Damaskus: Kurdische Milizen kämpfen hier gegen radikale Islamisten, aber auch gegen die oppositionelle Freie Syrische Armee. Dazwischen gibt es auch friedliche Proteste. In Amuda zum Beispiel, einer Kleinstadt an der Grenze zur Türkei, werden sie von dem so genannten Lokalen Koordinationskomitee organisiert.

Die deutsche Initiative adopt a revolution, die nicht-militante syrische Oppositionsgruppen unterstützt, stellt den Kontakt zu einem der Komiteemitglieder her. Der 24-Jährige nennt sich Juan el-Kurdi. Er sei Kurde und habe Journalistik an der Universität in Damaskus studiert, bis er für die Proteste sein Studium unterbrochen habe. "Die meisten syrischen Kurden wollen die Militärintervention durch die USA", behauptet er. "Wir brauchen jemanden, der uns vor diesem Tyrannen schützt." Juan glaubt, dass US-Präsident Barack Obama das Parlament von seiner Linie überzeugen kann. "Die USA wollen vor Russland und dem Iran nicht schwach erscheinen, deshalb bin ich sehr zuversichtlich." Der Segen der amerikanischen Abgeordneten gebe dem Militärschlag außerdem mehr Legitimität, meint er.

Juans Alltag scheint derzeit mehr von den Milizen der Kurden-Partei PYD eingeschränkt zu werden als durch Assads Truppen, die hier keine große militärische Rolle mehr spielen. Die PYD ist aus der kurdischen Arbeiterpartei PKK hervorgegangen und versucht im Moment, die kurdischen Gebiete in Syrien unter ihre Kontrolle zu bringen.

Zivile Kräfte wie Juans Komitee üben Kritik an den Alleingängen der PYD. Deshalb behindere die Kurden-Partei die politische und humanitäre Arbeit des Komitees, erzählt Juan, auch sein eigenes Leben sei in Gefahr. "Vor ein paar Tagen haben PYD-Mitglieder einen schwarzen Sack in mein Haus geworfen, darin waren Seife, ein Leichenhemd und ein Zettel mit einer Morddrohung." Solche Probleme wird der Militärschlag nicht lösen. Juan will deshalb weg - am liebsten nach Deutschland, um dort als Journalist zu arbeiten.

Mehr Stimmen von Syrern:

Heute.de hat mit Syrern in Damaskus, Homs und an der Grenze zur Türkei gesprochen.

Die Initiative adopt a revolution sammelt in ihrem Liveblog Stimmen aus Syrien.

Süddeutsche.de hat Syrer in München nach ihrer Haltung zum Militärschlag gefragt.

Meinungen von Syrern in Deutschland hat die Deutsche Welle zusammengetragen.

Al Jazeera hat geflohene Syrer zum möglichen US-Eingriff befragt.

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