Standardwaffe:G36 verfehlt Bundeswehr-Anforderungen

Von der Leyen Visits Naval School At Ploen

Soldaten der Bundeswehr üben an dem Sturmgewehr G36.

(Foto: Getty Images)
  • Eine Untersuchung zum Standardgewehr der Bundeswehr G36 kommt zu dem Schluss, dass die Waffe nicht den Anforderungen entspricht.
  • Die Treffwahrscheinlichkeit schwindet, wenn die Gewehre heißgeschossen sind oder die Außentemperaturen hoch sind.
  • Heckler & Koch spricht von neuen Prüfbedingungen, unter denen das Gewehr getestet wurde. Auch das Ministerium räumt ein, die Anforderungen seien bei der Bestellung andere gewesen.

Von Christoph Hickmann, Berlin

Das Gewehr G36 erfüllt nicht die heutigen Anforderungen der Bundeswehr. Zu diesem Schluss kommt eine von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) in Auftrag gegebene Untersuchung, die am Freitag im Ministerium einging und die der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Danach sinkt die Treffwahrscheinlichkeit bei heißgeschossener Waffe und hoher Außentemperatur unter die aus Sicht der Truppe akzeptable Marke.

Als Vorgabe wird definiert, "dass ein Ziel sowohl bei schussinduzierter Waffenerwärmung, als auch bei wechselnden klimatischen Bedingungen auf eine Entfernung von bis zu 300m bei hoher Treffwahrscheinlichkeit (90%) getroffen werden kann". Zu beiden Voraussetzungen, also sowohl zur "schussinduzierten Erwärmung" als auch zu "geänderten klimatischen Bedingungen" heißt es: "Das aktuelle Waffensystem erfüllt die Forderungen nicht."

Anforderungen sind grundsätzlich technisch realisierbar

Bei heißgeschossenen Waffen ließen sich dem Bericht zufolge immerhin "Verbesserungen in der Treffwahrscheinlichkeit" erzielen, wenn man die Munition austausche - dennoch könnten die definierten Anforderungen "mit keiner untersuchten Munition erfüllt werden". Dabei seien die Anforderungen an die Waffe "grundsätzlich technisch realisierbar". Dies zeigten andere "untersuchte Waffensysteme", wie es im Bericht heißt. Aus zunächst 304 Gewehren vom Typ G36 wurden für die Untersuchung 25 Exemplare unterschiedlicher Konstruktionsstände bestimmt, die einer "Reihe von Vergleichswaffen anderer Fabrikate" gegenübergestellt wurden.

Der zusammenfassende Bericht zu den Untersuchungsergebnissen wurde zwischen dem Wehrwissenschaftlichen Institut für Werk- und Betriebsstoffe, dem Fraunhofer Ernst-Mach-Institut und der Wehrtechnischen Dienststelle 91 abgestimmt. Auf Anregung des Bundesrechnungshofs hatte von der Leyen die gemeinsame Untersuchung im vergangenen Sommer in Auftrag gegeben.

Zuvor hatte es widersprüchliche Berichte zur Ursache der Präzisionsprobleme gegeben. Während es zwischenzeitlich hieß, allein die Munition sei verantwortlich, wurde dies später revidiert. Die gemeinsame Untersuchung sollte nun Klarheit schaffen. Von der Leyen hatte den Tenor der Ergebnisse kürzlich vorweggenommen und erhebliche Präzisionsprobleme des G36 unter den beschriebenen Bedingungen eingeräumt.

Vier Faktoren sind für die Mängel verantwortlich

Zum Effekt der heißgeschossenen Waffe heißt es im zusammenfassenden Bericht, alle untersuchten G36 mit langem Rohr (es gibt auch Kurzversionen) hätten im kalten Zustand die Anforderungen erfüllt. Bei den folgenden Treffbildern hingegen sei die Treffwahrscheinlichkeit "kontinuierlich deutlich" gesunken. Als Ursache wird das "Gesamtsystem" mit vier Faktoren ausgemacht, die hauptverantwortlich seien: Munition, Temperatur des Systems, Waffenfabrikat und Konstruktionsstand sowie die einzelne Waffe.

Zum Thema Fabrikat heißt es: "Ein untersuchtes Waffenfabrikat erfüllt im Gegensatz zum G36 die Forderungen." Dies habe gezeigt, "dass die Forderungen bei schussinduzierter Erwärmung technisch erfüllbar sind". Zur Temperatur halten die Prüfer fest: "Das G36 wird konstruktionsbedingt bei schussinduzierter Erwärmung innen deutlich heißer als Vergleichswaffen." Dies bewirke, "dass eine Abnahme der Treffwahrscheinlichkeit beim G36 bereits bei geringen Schusszahlen mit allen untersuchten Munitionssorten und -losen auftritt".

Heckler & Koch spricht von "neuen Prüfbedingungen"

Auch bei geänderter Außentemperatur schneidet das Gewehr den Prüfern zufolge schlechter ab als "Vergleichswaffen". Beim G36 sinke die Treffwahrscheinlichkeit "in teilweise erheblichem Umfang". Der "Wechsel zwischen trockener und feuchter Umgebung" führe zu ähnlichen Einschränkungen - nur deutlich langsamer.

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Der Hersteller Heckler & Koch hatte kürzlich nochmals darauf verwiesen, dass alle G36-Gewehre der Bundeswehr die vereinbarten technischen Lieferbedingungen erfüllten. Jedes Gewehr sei abgenommen worden. Die Bundeswehr habe allerdings in der Zwischenzeit "offensichtlich unter bewusstem Ausschluss von Heckler & Koch" neue Prüfkriterien definiert.

Einsatz im Dauerfeuer war bei Bestellung nicht zugrunde gelegt worden

Tatsächlich hatte ein Sprecher des Ministeriums am Freitag vor Bekanntwerden des Abschlussberichts gesagt, es sei "sicherlich nicht sachgerecht, jetzt in Bausch und Bogen dieses Gewehr für untauglich zu erklären". Vielmehr sei es so, dass "unter normalen Bedingungen dieses Gewehr sich durchaus im Rahmen dessen verhält, was man von so einem Gewehr erwartet". Der Einsatz etwa im Dauerfeuer, wie er in Afghanistan notwendig wurde, sei eben nicht das, was man vor der Bestellung in den Neunzigerjahren zugrunde gelegt habe. Es sei auch nicht das, was die Soldaten der Bundeswehr "täglich in ihren Einsätzen erleben". Es sei aber "ein Szenario, das wir nicht vernachlässigen dürfen".

Man werde nun "noch mal fünf, sechs Wochen brauchen", um den Bericht zu bewerten. Bei der Untersuchung sei "geballter Sachverstand, wissenschaftlicher ballistischer Sachverstand" am Werk gewesen. "Das hat schon eine Schwere, und das hat schon eine Validität." Bis in den Herbst sollen zudem die beiden Expertenkommissionen zum G36 arbeiten, die von der Leyen eingesetzt hat. Offen ist, ob die Grünen einen Untersuchungsausschuss anstreben.

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