SPD: Franz Müntefering:Der Erste und die allgemeine Verunsicherung

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Unruhe bei den Sozialdemokraten: Plötzlich findet sich SPD-Chef Franz Müntefering in der Rolle des Buhmanns wieder. Der wirkt dabei so ratlos wie die Partei.

Nico Fried, Berlin

Plötzlich steht Franz Müntefering in einem grellen, fast brutalen Licht. Sein Gesicht ist ganz weiß, selbst der Profi Müntefering, den schon viele Scheinwerfer ausgeleuchtet haben, muss erstmal blinzeln. Montagabend in Berlin, Geburtstagsfeier eines türkisch-deutschen Radiosenders. Der SPD-Chef hält eine Glückwunschrede, flott, gut gelaunt, er schaut kaum auf seinen Notizzettel, spricht frei über Integration, kommunales Wahlrecht und doppelte Staatsbürgerschaft.

Franz Müntefering nach einer Präsidiumssitzung: Der SPD-Chef ist in den vergangenen Tagen in seiner Partei ein wenig überraschend in die Rolle eines Buhmanns geraten. (Foto: Foto: dpa)

Ein, zwei Gespräche fallen einem da ein, die man in letzter Zeit mit Sozialdemokraten über Müntefering geführt hat, Gespräche, in denen es hieß, mit seinen 69 Jahren sei er eben doch nicht mehr der Jüngste. An diesem Abend aber hätten einige Jüngere da vorne auf der Bühne definitiv älter ausgesehen als ihr Parteichef.

Eine merkwürdige Melange

Müntefering ist in den vergangenen Tagen in der SPD ein wenig überraschend in die Rolle eines Buhmanns geraten. Es war ein schleichender Prozess, in dem sich Fehler, Ungeschicklichkeiten und Vorwürfe anhäuften - oder eben auch gegen ihn angehäuft wurden. Von beidem etwas.

Eine merkwürdige Melange ist da entstanden, Wichtiges und weniger Wichtiges gerieten ineinander, Politisches und Privates, woran Müntefering auch selbst mitgewirkt hat. Wenn man ihn darauf anspricht, streitet er das Phänomen nicht ab. Nur verstehen kann er es nicht.

Der Versuch, die Situation Münteferings zu analysieren, und auch, wie sie entstanden ist, gleicht dem Versuch, einen Teig wieder in seine Bestandteile aufzulösen. Milch, Mehl, Butter, Eier, Hefe. Zunächst einmal waren da die großen Themen: Opel und Arcandor.

Beide Male trat die SPD für die Rettung ein, vor allem bei Arcandor wirkte Müntefering vehementer als Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier oder Finanzminister Peer Steinbrück. Leute, die es wissen müssen, sagen aber, man sei sich in der SPD-Spitze völlig einig gewesen. Das war der Europa-Wahlkampf. Dann kam die Wahl: ein Desaster für die SPD.

Seit 1998, als Rot-Grün an die Macht kam, lebt Franz Müntefering von seinem Ruf als großer Wahlkampf-Stratege. Auf Müntefering und seinen Intimus, Bundesgeschäftsführer Kajo Wasserhövel, verließ sich eine ganze Partei, Gerhard Schröder sowieso, und jetzt auch Frank-Walter Steinmeier. Es war einer der Gründe, weshalb Steinmeier im Herbst 2008 am Schwielowsee Müntefering bat, den Parteivorsitz zu übernehmen.

Müntefering selbst hat in den vergangenen Jahren aus diesen Qualitäten sogar eine Perspektive für die SPD nach der großen Koalition entwickelt: Vier Jahre fürs Land mit der Union regieren - den Wahlkampf danach können wir sowieso besser. Und dann kommt keine vier Monate vor der Bundestagswahl plötzlich das schlechteste SPD-Ergebnis aller Zeiten heraus. Das war, wenn man so will, die Hefe, die den Prozess ins Gären brachte.

In den Tagen danach hat Müntefering unglücklich agiert, er konnte seine eigene Ratlosigkeit kaum verbergen. Er moserte an den Demoskopen herum, monierte mangelnde Solidarität in der Krise, was fast wie Wählerbeschimpfung klang. Am Abend vor dem Parteitag präsentierte er auf einer SPD-Veranstaltung seine neue Lebensgefährtin Michelle Schumann der Öffentlichkeit. Müntefering hatte die Wahl, es so zu tun oder am nächsten Tag die interessierten Medien im Parteitagssaal nach der Delegierten Schumann suchen zu lassen. Es gibt eben auch Dinge, die kann man so rum oder so rum machen, aber beide Male nicht wirklich richtig.

Von Münteferings fehlendem Gespür ist jetzt häufiger die Rede in der SPD. Da gibt er ein Interview, in dem er sagt, er wolle auch nach der Bundestagswahl wieder als Parteichef antreten. Es war keineswegs das erste Mal, dass Müntefering das verkündete. Diesmal aber wucherten die Interpretationen: Müntefering wolle damit eine für die SPD schädliche Diskussion im Keim ersticken; Müntefering wolle Andrea Nahles brüskieren, von der gesagt wird, sie wolle Parteichefin werden; Müntefering habe Steinmeier abgeschrieben.

Ein politisches Trauma

Der Befund, dass in der Partei das Misstrauen groß ist, dass manche nicht an den 27. September denken, an dem gewählt, sondern an den 28., an dem die Macht in der SPD neu verteilt wird, spricht nicht nur, aber auch gegen Müntefering. Es zeigt, dass die Geschlossenheit der SPD, die gerade er nach den Monaten des öffentlichen Zwistes so gepriesen hatte, nicht verlässlich ist. Es zeigt, dass der Schock über das Ergebnis der Europa-Wahl tief sitzt. Die Disziplin bröckelt, wie der Vorstoß des bayerischen Landeschefs Florian Pronold zur Rente mit 67 zeigt.

Müntefering hat ein politisches Trauma: 1982. Er war schon sieben Jahre Abgeordneter, als Helmut Schmidt die Kanzlerschaft verlor und die SPD in die Opposition marschierte, ahnungslos, wie unendlich lange sie dort ihr Dasein fristen müsste. Die SPD muss regieren, das hat er stets gesagt. 2005 hat er die Partei in die große Koalition gerettet. 2009 kann es nach derzeitigem Stand nur darum gehen, wenigstens das noch zu erreichen, auch wenn das so niemand zugeben würde.

Der Kandidat wird verschont

Es ist jedenfalls weniger, als Müntefering all die Jahre in Aussicht gestellt hat. Und für diese Rettung werden die alten Rezepte hervorgeholt: Linksruck im Programm und persönliche Attacken auf den politischen Gegner. Dass weit und breit keine zündende Idee zu erkennen ist, macht manchen Sozialdemokraten schon nervös, weniger als 100 Tage vor der Bundestagswahl. Greift man jetzt Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg von der CSU und seine Vorliebe für Insolvenzen weiter an? Setzt man auf die Mitte oder nicht? Oder auch, aber nicht nur?

Allerdings ist da ja auch noch ein Kanzlerkandidat. Man muss sich die bisherige Arbeitsteilung vorstellen wie beim Bahnradfahren. Vorne der Tempomacher Müntefering, im Windschatten der Kandidat. In den ersten Runden fuhr Müntefering ein paar Mal zu schnell, Steinmeier konnte und wollte da nicht mit. Auf dem Parteitag ließ sich Müntefering dann zurückfallen, überließ Steinmeier die Führung. So hätte es weitergehen können.

Doch plötzlich sieht die Formation ganz anders aus. Müntefering steht in der Kritik, der Kandidat wird verschont. Auf dem Juso-Kongress am Wochenende war das nicht zu übersehen, als Steinmeier bejubelt wurde und der Parteichef sich rechtfertigen musste. Wenn es denn überhaupt eine Strategie ist, dann ist es eine, um Schlimmeres zu verhindern, aber nicht, um zu gewinnen. Am Montag im Parteivorstand referierte Müntefering das Wahlprogramm. Steinmeier war nicht da, er sprach wie Gerhard Schröder und Umweltminister Sigmar Gabriel auf einer Veranstaltung zu Industriepolitik und Ökologie. Von den dreien hielt Steinmeier die drittbeste Rede.

© SZ vom 24.06.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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