Schelte für Ostdeutsche:"Geschichtslos und unwissend"

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Der baden-württembergische Landeschef der CDU-Mittelstandsunion, Peter Ibbeken, vermisst bei Wählern der Linkspartei Dankbarkeit für den Aufbau Ost. Er löst Empörung aus.

Thorsten Denkler, Berlin

Von Stoiber lernen heißt eigentlich verlieren lernen. So gesehen hätte der gewichtige Landeschef der baden-württembergischen Mittelstandsvereinigung der CDU (MIT), Peter Ibbeken, seinen Wahlaufruf zur Bundestagswahl vielleicht etwas zurückhaltender formulieren sollen.

Der damalige bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber hatte im Wahlkampf 2005 mit drei Sätzen ganz Ostdeutschland gegen sich aufgebracht. "Dass in den neuen Ländern die größten politischen Versager, Gysi und Lafontaine, rund 35 Prozent Wählerstimmen erzielen könnten, das ist für mich nicht nachvollziehbar", polterte er damals bei einer Wahlkampfveranstaltung mit dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten Günther Oettinger in Eglofs im Westallgäu.

Und weiter: "Ich akzeptiere nicht, dass der Osten bestimmt, wer in Deutschland Kanzler wird. Die Frustrierten dürfen nicht über Deutschlands Zukunft bestimmen." Keine zweieinhalb Jahre später hatte er seine eigenen Leute dermaßen frustriert, dass sie sich kurzerhand seiner entledigten.

Vier Jahre nach Stoibers Verbalausfall versucht sich erneut ein Unionspolitiker am Format der Wählerbeschimpfung. Auf der Internetseite der MIT Baden-Württemberg ist für jedermann nachzulesen, was CDU-Mann Ibbeken von Ossis hält, die links wählen.

Als "alarmierend und beschämend" wertet er die Wahlerfolge der "Linken und der NPD" bei den Landtagswahlen am 30. August. Beschämend nicht etwa, weil die eigene Partei nicht in der Lage war, mit besserer Politik solche Ergebnisse zu verhindern. Nein: "Beschämend ist die geschichtslose Unwissenheit oder Vergesslichkeit zahlreicher Wähler, die den Linken zu stabilen zwanzig bis dreißig Prozent Stimmenanteil verhilft", schreibt Ibbeken in seinem am Mittwoch veröffentlichten Wahlaufruf. Da müssten bei allen Mittelständlern die "Warnlampen flackern und die Alarmglocken schrillen".

Das Finale der Ossi-Beschimpfung: "Wir haben nicht in den letzten zwanzig Jahren mit 1600 Milliarden Euro Steuerngeldern den Aufbau Ost finanziert, um bundesweit Sozialisten, Kommunisten und Rechtsradikale die Geschicke unseres Landes bestimmen zu lassen." Die vielen "n" in Steuerngeldern sind übrigens keine Tippfehler von sueddeutsche.de.

Ibbeken ist im Hauptberuf Geschäftsführer der Rüstungsschmiede Diehl BGT Defence GmbH in Überlingen, die vornehmlich Artillerieraketen, Lenkflugkörper und großkalibrige Munition herstellt. Zu den wichtigsten Kunden gehört die Bundeswehr.

Die Empörung lässt nicht lange auf sich warten. Der SPD-Fraktionsvize im Bundestag und Ost-Beauftragte der Fraktion, Klaas Hübner, sagte sueddeutsche.de: "Genau solche tumben Sprüche aus dem Westen sind es, die der Linkspartei im Osten das Geschäft erleichtern. Die sollten sich lieber ein Beispiel an der SPD nehmen und die Linkspartei auch inhaltlich stellen." Für Hübner ist das "Wählerbeschimpfung à la Stoiber". Sie zeige die "Einfallslosigkeit der Union", wenn es um Ostdeutschland gehe.

Die Grünen-Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke nennt im Gespräch mit sueddeutsche.de die Äußerungen "arrogant und menschenverachtend". Lemke sagte: "Im Jahr 20 nach der friedlichen Revolution hat die Südwest-Union offensichtlich noch gar nichts dazugelernt. In Stoiber'scher Pöbelmanier beschimpft die CDU-Mittelstandsvereinigung pauschal 16 Millionen Bundesbürger."

Das sei "absolut inakzeptabel, empörend, aber auch auf eine erschreckende Weise entlarvend". Für die West-CDU scheinen "alle Ostdeutschen nur Transferempfänger zu sein, die gefälligst aus Dankbarkeit auf Knien rutschend jetzt CDU zu wählen haben".

Uli Maurer, parlamentarischer Geschäftsführer der Linken im Bundestag und Ost-West-Beauftrager seiner Partei, stichelt in Anspielung auf einen mit Nazi-Vergangenheit belasteten ehemaligen CDU-Ministerpräsidenten in seinem Heimatland Baden-Württemberg: "Das ist die berühmte Mottenkiste von Filbingers Erben."

Maurer nannte Ibbekens Verhalten gegenüber sueddeutsche.de "dumm". Er gehöre offenbar zu denen, die noch nicht gemerkt hätten, dass diese Art der Wählerbeschimpfung kontraproduktiv sei. Spätestens seit sich herumgesprochen habe, dass die "Bundesvorsitzende der CDU zu DDR-Zeiten als FDJ-Agitatorin die marxistisch-leninistische Tradition der Jugendweihe hochgehalten hat", sollten Unionspolitiker auf solche Tiraden verzichten.

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