Schäuble und die Finanzkrise:Wie aus dem falschen Jahrhundert

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Nach nur sechs Monaten im Amt ist Wolfgang Schäuble nicht nur gesundheitlich angeschlagen, sondern auch politisch: Das Krisenmanagement des Bundesfinanzministers enttäuscht sogar seine Anhänger.

Stefan Braun, Claus Hulverscheidt und Guido Bohsem

Es ist eines dieser Hinterzimmer, wie man sie in den Restaurants des Berliner Regierungsviertels häufig findet. Der Mann in der Mitte des Tisches gehört zu den Spitzenkräften der christlich-liberalen Koalition, und er redet über Wolfgang Schäuble. Genauer: über Schäubles "Krankheit".

Regelrecht geschockt sind viele Mitarbeiter über Schäubles Management der Griechenland-Krise. (Foto: Foto: dpa)

Es ist fast immer ein Thema, wenn man dieser Tage im kleinen Kreis mit einem führenden Politiker der Regierung redet. Aus den Meisten spricht aufrichtiges Mitgefühl für den querschnittgelähmten Minister, der seit Monaten mit einer Operationswunde kämpft, die partout nicht wieder zuwachsen möchte.

Aschfahl sah Schäuble in den vergangenen Wochen oft aus, die Wangenknochen traten noch stärker hervor als sonst schon, manchmal wirkte er fahrig und unkonzentriert. Dutzende Besprechungen und Konferenzen im In- und Ausland musste er absagen.

Diesmal aber ist es etwas anders. Der Mann im Hinterzimmer zieht die Stirn ein wenig zu demonstrativ in Falten, als er auf Schäuble zu sprechen kommt, und er klingt ein wenig zu besorgt, als er erzählt, dass die "Krankheit" beim Minister zu immer stärkeren Stimmungsschwankungen führe.

Die Malaise als Politikum

Keiner sagt dazu etwas öffentlich, und doch spürt jeder, dass aus Schäubles privater Malaise ganz langsam ein Politikum werden könnte. Ist es ein Wunder, so lautet die Botschaft des Gesprächspartners, dass Schäuble erst für Steuersenkungen war und jetzt dagegen ist? Bei den Stimmungsschwankungen? Die Worte wirken wie ein schleichendes Gift.

Schäuble könnte das Getuschel kalt lassen - wenn es sein einziges Problem wäre. Wenn er der wäre, als den ihn die Spitzen der Koalition bei ihrer Amtsübernahme im Herbst vergangenen Jahres angepriesen hatten: als den unabhängigen, harten Hund, der nach dem Desaster der Wirtschafts- und Finanzkrise die Staatsfinanzen wieder in Ordnung bringt.

Als den starken Mann hinter Kanzlerin Angela Merkel, der es im Streit über das Haushaltsloch nicht mehr nötig hat, auf die eigene Karriereplanung Rücksicht zu nehmen. Als den altersweisen, klugen Kopf, der kleinkarierte politische Scharmützel meidet und die intellektuelle Kraft besitzt, einem verunsicherten Land den Weg in die Zukunft zu weisen.

Doch Schäuble ist dieser Mann nicht, bisher zumindest nicht. Im Gegenteil: Nach nur sechs Monaten im Amt ist er nicht nur gesundheitlich angeschlagen, sondern auch politisch: Sein ambitionsloser Haushaltsentwurf für 2010 sorgte in den eigenen Reihen für Entsetzen, die Abgeordneten von Union und FDP kürzten die Vorlage, als wäre es nichts, um fast sechs Milliarden Euro.

Bei den geplanten Steuerentlastungen warf der Finanzminister zunächst die Zahl 19 Milliarden Euro in den Raum - mehr als die FDP verlangte - , um den Koalitionspartner dann ein ums andere Mal vor den Kopf zu stoßen. Und im Fall Griechenland plädierte er für schnelle Hilfszahlungen der Euroländer und gegen eine Beteiligung des Internationalen Währungsfonds. Es kam bekanntlich genau anders herum.

Immer mehr Skeptiker

Was Schäuble alarmieren muss, ist, dass nicht nur in der Koalition, sondern auch im eigenen Haus die Zahl der Skeptiker rapide wächst. Dabei sind es nicht etwa die vielen SPD-nahen Beamten, die der Minister von seinen Amtsvorgängern übernommen hat und die bei seinen Adlaten unter dem Generalverdacht stehen, Bösartigkeiten an die Presse zu streuen. Es sind vor allem die, die sich viele Jahre lang nach einem christdemokratischen Dienstherrn gesehnt und die Ernennung Schäubles frenetisch gefeiert hatten.

Der Mann im Rollstuhl, so die Hoffnung, werde das eher konservative Haus nach den Erfahrungen mit dem Besserwisser Oskar Lafontaine, dem Koma-Sparer Hans Eichel und dem großspurig-dröhnenden Peer Steinbrück wieder zu sich selbst führen. Nichts ist geblieben von diesen Hoffnungen. "Viele sind total ernüchtert, um nicht zu sagen: deprimiert", sagt ein einfacher, aber erfahrener Beamter. "Wir hatten uns einen echten Aufbruch erhofft und stellen nun fest, dass es in allen Bereichen - ob Steuern, Haushalt oder Finanzkrise - an konzeptioneller Führung fehlt und nichts entschieden wird."

Im nächsten Abschnitt: Warum Schäuble immer wieder Dinge in die Welt setzt, die in den eigenen Reihen Befremden auslösen.

Wolfgang Schäuble in Bildern
:Der Alleskönner

Finanzminister Schäuble hat eine beeindruckende Karriere als Bundespolitiker hinter sich. Trotzdem mehren sich nun Zweifel, ob er seinem Amt gewachsen ist.

Regelrecht geschockt sind viele Mitarbeiter über Schäubles Management der Griechenland-Krise. Angesichts der ständigen Positionswechsel des Ministers wünscht sich manch einer gar Peer Steinbrück zurück - ausgerechnet jenen Steinbrück, der kleine Mitarbeiter, die ihm gedanklich nicht flink genug erschienen, gerne einmal vor versammelter Mannschaft herunterputzte. So etwas würde Schäuble niemals tun, seine Art war und ist es eher, die anderen mit dem Gestus der geistigen Überlegenheit von vorne herein auf Distanz zu halten.

Ein alter Hase

Tatsächlich gibt es niemanden, der Schäuble Klugheit absprechen würde. Gerade in der Finanzkrise jedoch mutet seine Gedankenwelt manchem Beobachter so philosophisch abgehoben an, dass viele sich fragen, ob dieser Mann mit seinen 67 Jahren den Finanzkapitalismus des 21. Jahrhunderts tatsächlich durchdrungen hat. Ob er in der Lage ist, auf neue Herausforderungen auch neue Antworten zu geben. Die Ökonomen des Hauses klagen zudem darüber, dass der Minister alles durch die Brille des Juristen betrachte - während Schäuble sich beschwert, dass die Ökonomen nicht in der Lage seien, ihm schlüssige, rechtlich einwandfreie Vorlagen zu schreiben.

Schon als Innenminister gab es eine Phase, in der er die konzeptionelle Arbeit vernachlässigte und durch Omnipräsenz in den Medien ersetzte. Gar nicht aus Eitelkeit, sondern getreu dem Motto: Ich weiß es am besten, und wenn ich das oft genug demonstriere, wird es am Ende jeder kapieren. Das Interview-Sperrfeuer schuf jedoch nicht das erwünschte Bild des umsichtigen Anti-Terror-Kämpfers, sondern das des Panikmachers. Auch heute vergeht fast kein Tag, an dem nicht in irgendeiner Zeitung ein Gespräch mit dem Finanzminister erscheint.

Er ist da

Das führt dazu, dass Schäuble immer wieder Dinge in die Welt setzt, die in den eigenen Reihen Befremden auslösen - bis hinauf zur Kanzlerin. Als er jüngst einmal mehr die Steuerforderungen der FDP öffentlich abtat, grantelte Merkel, ob der Finanzminister nicht einmal ein paar Tage auf öffentliche Erklärungen verzichten könne. Und als er Anfang der Woche die Hilfen für die Griechen in Frage stellte, obwohl die Regierungschefin intern längst grünes Licht gegeben hatte, verstand man im Kanzleramt endgültig die Welt nicht mehr. Selbst vom Krankenbett aus gab er Interviews und ließ Gastbeiträge verfassen, um zu signalisieren: Ich bin da!

Da zu sein aber wird nicht reichen, denn die richtig großen Aufgaben stehen Schäuble erst noch bevor. Anfang Juni muss er den Haushalt für 2011 und eine Finanzplanung für die Jahre bis 2013 aufstellen, und die Koalition wie auch die Öffentlichkeit verlangen von ihm nicht weniger als einen echten Masterplan, der die Sparvorgaben des Grundgesetzes mit den Ausgabenwünschen der Kabinettskollegen und den Steuersenkungsplänen des Koalitionspartners in Einklang bringt.

Das wird nur gelingen, wenn Schäuble nach innen wie nach außen endlich sagt, wo er eigentlich hin will - und wenn seine Gesundheit es zulässt. "Ab Mai", sagt ein Mitarbeiter, der ihm wohlgesonnen ist, "werden wir einen Finanzminister brauchen, der topfit ist."

© SZ vom 30.4.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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