Russlands Position in der Welt:Verkrustet, korrupt, unflexibel

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Russland schwelgt in alten Zeiten - das Land hat die Modernisierung verschlafen, ist politisch rückständig und scheut es, den Westen als Partner zu akzeptieren. Das Syrien-Veto im UN-Sicherheitsrat zeugt erneut von dieser erstarrten Haltung. Nicht seine Stärke, sondern seine Schwäche birgt eine große Gefahr. Am beunruhigendsten ist, dass Moskau auf die Hilfe der Welt keinen Wert mehr legt.

Stefan Kornelius

Russland ist aus der Zeit gefallen. Präsident Dmitrij Medwedjew und sein Marionettenmeister Wladimir Putin spielen in der internationalen Politik die Rolle des Scheinriesen, der seine alte Größe vorgaukelt und in alten Zeiten schwelgt. Tatsächlich aber ist der Riese längst geschrumpft und merkt nicht, wie ihn die Arthrose plagt und wie lächerlich die altmodischen Klamotten an ihm wirken.

Putin-Gegner demonstrieren in den Straßen Moskaus gegen die starre Regierungspolitik - und fordern mehr politische Freiheiten. (Foto: AP)

Russlands Veto gegen die Syrien-Resolution ist der jüngste Beleg für diese Entrücktheit. Die arabischen Staaten, die Afrikanische Union, selbst die wankelmütigen Regierungen der Aufsteiger-Nationen Brasilien und Indien: Alle haben sie die Dramatik der Situation in Syrien erkannt. Nur Russland nicht (und die chinesische Regierung, die sich im Windschatten der Moskauer Regierung hält). Natürlich hatte die Welt keine Garantie, dass ihr politischer Appell zur friedlichen Machtübergabe in Syrien gehört würde. Aber sie hatte auch kein anderes Werkzeug mehr, um den starrköpfigen Regime die Ausweglosigkeit seiner Situation klar zu machen.

Russland steht in der Gefahr, zum großen Verlierer der Geschichte zu werden. Ökonomisch verkrustet, hochgradig korrupt, politisch unflexibel sucht das Land seinen Platz in der Welt. Eine Supermacht ist es schon lange nicht mehr, nicht mal eine Großmacht. Vetokraft und Nuklearwaffen sind die Relikte einer verblichenen Epoche.

Das Land hat die Modernisierung verschlafen, ist politisch rückständig, gefährdet von seiner demographischen Entwicklung, will kein Partner des Westens sein und scheut - aus politischen und historischen Gründen - zu Recht die Unterordnung unter China. Europa bot lange an, einen gebührenden Platz an der Seite der EU und der Nato freizuhalten.

Allein der Stolz und die fatale Selbstüberschätzung hindern einen Medwedjew oder einen Putin daran, das Votum der Geschichte zu akzeptieren. Die Syrien-Entscheidung fügt sich wie eine perfekte Miniatur zu diesem Bild. Eine Gefahr geht heute nicht mehr von Russlands Stärke aus, sondern von seiner Schwäche.

Ob Raketenabwehr Syrien oder Iran - Russland ist ein Problemfall moderner Außenpolitik geworden. Und die wachsenden inneren Spannungen werden das Land selbst zum Problem der globalisierten Welt machen. Die Modernisierungsverlierer gehen auf die Straße, gekleidet in unschuldigem Weiß, sie haben die plumpe Machterhaltungsstrategie der Führungsclique durchschaut. Bemerkenswerterweise haben diese autokratischen Kader ihren Nimbus verloren. Putin flößt keine Angst mehr ein, plötzlich wirkt der Mann verwundbar.

Niemanden, dem um eine stabile Welt und ein modernes Europa gelegen ist, kann dieser Absturz Russlands gleichgültig sein. Hier geht es nicht um einen späten Triumph in der Ideologiegeschichte. Hier geht es um eine echte Gefahr. Die größte Gefahr besteht allerdings darin, dass Russlands Führung auf die Hilfe der Welt keinen Wert mehr legt.

© SZ vom 06.02.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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