Russland:Wie Putin die Welt sieht

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In der Ukraine zeigt Putin - hier auf dem G 20-Gipfel in Brisbane - offener als zuvor, dass er auch bereit ist, seine Einflusssphäre mit militärischer Gewalt durchzusetzen. (Foto: Bloomberg)

Russlands Präsident zeigt offen, dass er bereit ist, seine Interessen mit Gewalt durchzusetzen. Ist das nur Populismus oder will er die alte Sowjetunion wieder errichten?

Von Julian Hans, Moskau

Russland hat eine Menge Probleme. Ein Problem hat das Land aber zweifellos nicht: Es ist nicht zu klein. Der größte Flächenstaat der Erde erstreckt sich über elf Zeitzonen und nimmt den größeren Teil des europäischen Kontinents ein. Weite Regionen sind nahezu unbesiedelt. Trotzdem hat sich die russische Führung ausgerechnet dieser Frage angenommen und mit der Annexion der Krim die Fläche des Landes noch einmal um 27 000 Quadratkilometer erweitert. Im Südosten der Ukraine geht die Aggression weiter; nicht nur die Nato, auch westliche Diplomaten, Journalisten und Bürger berichten von neuen Panzern, Artilleriegeschützen und Kämpfern, die aus Russland die Separatisten verstärken.

Mit welchem Ziel ist bislang nicht klar. Und das wirft Fragen auf. Verfolgt Moskau also eine auf Expansion ausgerichtete Politik? Geben im Kreml Neoimperialisten den Ton an? Will Putin die alte Sowjetunion wieder errichten?

Im Anschluss an den G-20-Gipfel warnte Bundeskanzlerin Angela Merkel in Sydney, "altes Denken in Einflusssphären" trete das Völkerrecht mit Füßen und gefährde die europäische Friedensordnung. "Es geht ja nicht nur um die Ukraine", sagte sie bei einer Diskussionsrunde. "Es geht um Moldawien, es geht um Georgien, wenn es so weiter geht, kann man fragen, muss man bei Serbien fragen, muss man bei den Westbalkanstaaten fragen."

Es geht nur noch um das Wie

Dass in Moskau in Einflusssphären gedacht wird ist nicht neu, wenngleich die Konfrontation mit dem Westen inzwischen das einzig verbliebene Diskursthema ist. Unter den Politologen, die im staatlichen Fernsehen auftreten dürfen, geht es nur noch um das Wie. Jeder große Buchladen der russischen Hauptstadt führt mehrere Regalmeter mit Literatur über das angebliche Streben der USA nach globaler Dominanz und das Ringen der großen Mächte um Einfluss in den unterschiedlichen Regionen der Welt. Sie heißen "Ukraine - Chaos und Revolution, die Waffe ist der Dollar" und "Die ganze Wahrheit über die Ukraine: Wem nutzt die Spaltung des Landes?", das Titelbild zeigt Obama mit einer belehrenden Geste gegenüber dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko.

In dem zuletzt stark geschrumpften Kreis von Vertrauten Wladimir Putins sind fast nur Vertreter von Militär und Geheimdienst übrig geblieben, Personen also, die ausschließlich in diesen Kategorien denken. Vertreter des Wirtschaftsflügels, die verstehen, dass internationale Vernetzung wichtig ist, die nicht nur in Sieg und Niederlage denken, sondern wissen, dass bei einem guten Kompromiss beide Seiten gewinnen, sind aus dem innersten Machtzirkel verschwunden. Dasselbe gilt zwar auch für die Anhänger eines russischen Imperialismus wie den Schriftsteller Alexander Prochanow oder den neofaschistischen Ideologen Alexander Dugin, die von einem russisch dominierten Eurasien von Lissabon bis Wladiwostok träumen. Sie haben keinen direkten Zugang zu Putin. Doch haben sich die Strategen des Kremls bei der Erfindung von "Neurussland" ihrer Ideen bedient, ihre Anhänger bildeten den Kern der sogenannten Separatisten.

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In seiner Rede vor der Münchner Sicherheitskonferenz 2007 hat Putin klar gemacht, Russland werde es nicht dulden, dass die Nato weiter an Russlands Grenzen heranrückt. Ein Jahr später lehnte die Nato auf dem Gipfel in Bukarest ein Beitrittsgesuch der Ukraine ab. Dass die Schlussakte der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE), 1975 auch von der Sowjetunion verabschiedet, allen Ländern in Europa die freie Bündniswahl zusichert - vergessen.

Neu ist nun, dass Moskau nicht mehr allein die Ausdehnung des Verteidigungsbündnis als Verletzung seiner Einflusssphäre betrachtet, sondern auch die wirtschaftlich und politisch ausgerichtete Assoziation mit der Europäischen Union. Noch 2004 hatte Putin erklärt, eine EU-Mitgliedschaft der Ukraine sei für Russland kein Problem. Nun klagt er, zuletzt im ARD-Interview, Moskau sei nicht gefragt worden.

Provokationen mit Kalkül?

Und noch etwas ist neu: In der Ukraine zeigt Putin offener als zuvor, dass er auch bereit ist, seine Einflusssphäre mit militärischer Gewalt durchzusetzen. Anders als in Moldau und Georgien hat Moskau diesen Konflikt selbst begonnen.

Die Voraussetzungen dafür hat Moskau schon 2010 geschaffen. Die damals verabschiedete Militärdoktrin erlaubt den Einsatz der Streitkräfte zum Schutz von Russen im Ausland. Da diese in allen Staaten der ehemaligen Sowjetunion in unterschiedlich großer Zahl zu finden sind, ist ein Eingreifen in der ganzen Region möglich, man muss nur einen Anlass schaffen.

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Dahinter muss nicht zwingend eine expansive Strategie stecken. Es erweitert lediglich den Handlungsspielraum für den Fall der Fälle. Mit dem Sturz des von Moskau abhängigen Viktor Janukowitsch beschloss man in Moskau, dass so ein Fall eingetreten sei. Dass in Wahrheit vor dem Auftauchen separatistischer Überfallkommandos unter Führung russischer Geheimdienstler kein russischstämmiger oder Russisch sprechender Bürger auf der Krim oder im Osten der Ukraine deswegen getötet wurde, spielte keine Rolle. Die sogenannte Anti-Terror-Operation Kiews, die auch die friedliche Bevölkerung in den Regionen Luhansk und Donezk trifft, dient Moskau im Nachhinein als Legitimation, von einem "Genozid" zu sprechen.

Der Historiker Karl Schlögel brachte unlängst auf den Punkt, welches innenpolitische Kalkül dahinter steckt: "Es ist einfacher, einen kleinen Krieg zu führen, als die Autobahn zwischen Petersburg und Moskau zu bauen", sagte er in einer ARD-Fernsehrunde. Dahinter steckt ein politischer Mechanismus, dessen Gefahr nicht geringer ist als eine imperialistische Doktrin. Kein Politiker verzichtet gerne auf einen Schritt, der seine Popularität zu Hause in die Höhe treibt. Putin schon gar nicht - auch wenn die wahren Probleme des Landes nur größer werden.

© SZ vom 18.11.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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