Das allgemeine Lamento über das Schweigen der Kanzlerin mitten im Koalitionsgetöse ist ein bisschen albern, der immer lauter werdende Ruf nach einem Machtwort auch. Machtworte zwischen den Jahren hätten der Kanzlerin außer Schlagzeilen gar nichts gebracht. Ja, es wäre ausgesprochen dumm von ihr gewesen, Machtworte zu formulieren, bevor sie sich mit den Vorsitzenden der Koalitionspartner FDP und CSU getroffen hat.
Machtworte vorab hätten nur diese Gespräche vergiftet. Angela Merkel hat mit diesen Gesprächen zu lange gewartet, nicht mit Machtworten. Im Übrigen: Reibungsloses Regieren in einer Koalition hat wenig damit zu tun, dass einer regelmäßig auf den Nagel zeigt, an dem der Hammer hängt. Das hat einst Gerhard Schröder gemacht, aber das Regierungshandeln wurde davon nicht besser.
In dieser Regierung ist die Wurzel allen Übels nicht der Regierungsstil der Kanzlerin, auch nicht die Unberechenbarkeit der Seehofer-CSU und nicht die Sturheit der Westerwelle-FDP. Die Wurzel des Übels ist der Koalitionsvertrag. Bei den Verhandlungen im Oktober hat Merkel die wirklich entscheidenden Fehler gemacht. Hier hat sie die Dinge schleifen lassen, sie hat der FDP zu viel Raum gegeben und der CSU unsinnige Wohltaten gewährt.
Angela Merkel war auf merkwürdige Weise indolent - teilnahmslos, leidenschaftslos und denkfaul. Ihre Devise bei den Koalitionsverhandlungen war: "Nun macht mal schön." Das war nicht präsidial, das war einfach töricht.
Der FDP ist es ja nicht völlig zu verdenken, dass sie sich an die Partitur des Koalitionsvertrages hält, wenn sie ihre immerwährende Steuersenkungsarie singt. Und sie stellt mit einer gewissen Berechtigung fest, dass sich doch an der Wirtschafts- und Finanzlage seit dem Koalitionsvertrag nichts Entscheidendes geändert habe.
Merkel ist, wie sie ist
Was vor zweieinhalb Monaten noch richtig gewesen sei, könne doch nicht jetzt auf einmal falsch sein. Das ist subjektiv richtig. Objektiv ist es so: Was schon damals falsch war, bleibt falsch.
Die Dissonanzen zwischen Union und FDP in der Gesundheitspolitik haben eine ähnliche Genese - einen notleidenden Koalitionsvertrag. Im Prinzip geht es daher bei den bevorstehenden Gesprächen zwischen CDU, CSU und FDP um eine Nachverhandlung des Koalitionsvertrages; die Beteiligten mögen, um das Gesicht dabei zu wahren, von dessen Fortentwicklung reden. Zu entwickeln ist auch eine klare Position zur Zukunft des Afghanistan-Einsatzes.
Die Forderung an die Kanzlerin aber, einen neuen Regierungsstil zu entwickeln, ist wohlfeiles Gerede - unter anderem von Hinterbänklern, die es ohne Merkel vielleicht nicht einmal auf die Hinterbank geschafft hätten. Die Präsidialität gehört nun mal zu Merkels Wesen. Sich darüber zu beklagen, ist ungefähr so sinnvoll, wie die Klage, dass ein Igel so stachlig und eine Schildkröte so langsam sei.
Merkel ist, wie sie ist. Und die CDU wird sich gern damit abfinden, solange sie nicht jemanden hat, der besser ist.