Rechtsextremisten in Johanngeorgenstadt:"Depressive Grundstimmung"

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Aus dem kleinen Erzgebirgsort Johanngeorgenstadt kommen erstaunlich viele Menschen, die verdächtigt werden, zu den Helfern der Zwickauer Neonazis zu gehören. Eine Spurensuche in dem Ort, dem der Strukturwandel bis heute zusetzt.

Christiane Kohl, Johanngeorgenstadt

Die Damen im Rathaus haben die Nase voll. Seit Tagen fühlen sie sich hier wie im Belagerungszustand. Tagsüber sieht man Leute mit fremden Autokennzeichen durch den Ort fahren, abends flimmern im Fernsehen dann immer wieder dieselben Bilder über den Schirm: Eine Ansammlung von Garagen mit rotgetünchter Seitenwand, darauf ist in altdeutschen Lettern das Wortgebilde "Brigade Ost" gemalt. Zwar ist dieser Name in Johanngeorgenstadt schon länger bekannt, er steht für eine Gruppe von rechtsextremen Jugendlichen, die sich zu Beginn des Jahrtausends gegründet hatte.

Schriftzug an einer Wand in Johanngeorgenstadt: Die rechtsradikale Gruppe könnte Kontakt zum Terror-Trio gehabt haben. (Foto: dpa)

Seit man jedoch täglich die Bilder im Fernsehen sieht, fühlen sich die Bürger in der kleinen Stadt im Erzgebirge öffentlich gebrandmarkt. Und deshalb sind die Damen im Bürgermeisterbüro jetzt so verärgert. "Nein", heißt es immer nur, "Nein" und nochmals "Nein" - niemand sei zu sprechen.

Aus der "Brigade Ost", die als lockere Clique junger Leute entstand, rekrutierten sich vermutlich einige der Unterstützer, die dem Terror-Trio "Nationalsozialistischer Untergrund" zu Diensten waren. Seit Tagen hatten die Ermittler daher ihr Augenmerk auf die kleine Stadt im südöstlichen Zipfel der Republik gerichtet. Mehrere Leute aus Johanngeorgenstadt stehen im Verdacht, den drei mutmaßlichen Terroristen Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe mit Papieren, Bahncards oder Computertricks geholfen zu haben. Einer aus der Gruppe, der Johanngeorgenstädter André E., der seit einiger Zeit in Zwickau lebte, wurde am Donnerstag verhaftet. Der 33-Jährige steht im Verdacht, das schreckliche Selbstbezichtigungs-Video des Neonazi-Trios produziert zu haben.

Johanngeorgenstadt ist eine Stadt wie viele im Erzgebirge. Etwa 4500 Einwohner, gesichtslose Neubauten am Ortsrand und eine immer noch recht hohe Arbeitslosenquote. Hier wählten vor dem Krieg die Leute noch den Kommunisten Ernst Thälmann, als andernorts schon die Nazis die Mehrheiten stellten.

Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen die Russen in die Stadt und bauten unter strenger Geheimhaltung Uran für die Atombombe ab. Die Vorkommen lagen unglücklicherweise unter der Altstadt, weshalb weite Teile des historischen Stadtkerns kurzerhand abgerissen wurden. Und so fehle Johanngeorgenstadt heute so etwas wie ein gewachsenes bürgerliches Wohngefühl, sagt der örtliche Landtagsabgeordnete Alexander Krauß. Der Christdemokrat, der in einem Nachbardorf von Johanngeorgenstadt aufwuchs, gehört mit seinen 35 Jahren zur gleichen Generation wie jene Leute, welche die "Brigade Ost" gründeten.

"Die Unterstützer der Mörder haben unter uns gewohnt", sagt Krauß. Persönlich gekannt habe er zwar keinen aus der Gruppe. Doch Krauß kann sich noch an das Gefühl erinnern, das junge Leute damals, kurz nach der Wende, in Johanngeorgenstadt hatten: "Man kam aus der Schule und wusste, man hat keine Chance", sagt er. Zu DDR-Zeiten hatte es eine Bekleidungsfabrik und ein Werkzeugmaschinenwerk gegeben - beide verschwanden im Nichts. Das ganze Erzgebirge durchlebte, wie viele Regionen, einen starken Strukturwandel. Anders als in anderen Orten aber habe sich in Johanngeorgenstadt bis heute eine "depressive Grundstimmung" gehalten, sagt Krauß.

Als sich um das Jahr 2000 die "Brigade Ost" formierte, gab es noch ganz andere Probleme mit Rechtsextremen im Erzgebirge. Etwas weiter östlich bei Pirna machten die "Skinheads Sächsische Schweiz" die Gegend unsicher, eine schwer gewalttätige Bande mit an die hundert Mitgliedern. Bei einer Razzia fand die Polizei damals Sprengstoff, Granaten und Gewehre - wer dachte da schon an die jungen Leute in Johanngeorgenstadt? Immerhin: Der Bürgermeister fragte bei den Landesbehörden nach, was man tun könne gegen den grassierenden Rechtsextremismus. Danach richtete der sächsische Verfassungsschutz ein Auge auf die Ost-Brigade. Was dabei herauskam, ist nicht bekannt.

© SZ vom 26.11.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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