Rebellen in Mossul:Iraks Regierung versagt gegen Al-Qaida-Ableger

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Kämpfer der sunnitischen Extremisten posieren in einem selbst veröffentlichten Video. (Foto: AFP)

Radikal-islamische Sunniten erobern Mossul. Irakische Soldaten reißen sich die Uniform vom Leib, anstatt die Stadt zu verteidigen. Spätestens jetzt muss Regierungschef Maliki reagieren - bevor Teile des Irak zum Kalifat werden.

Ein Kommentar von Tomas Avenarius

Vielleicht bereut Nuri al-Maliki inzwischen, dass er es den USA verweigert hat, langfristig einige Tausend Soldaten im Irak zu stationieren. Hätte der irakische Premierminister die ehemaligen Besatzer nicht Ende 2011 zum schmachvollen Totalabzug gezwungen, könnten eben diese US-Soldaten Maliki heute helfen, seine selbstverschuldeten Probleme zu lösen: Sunnitische Untergrundkämpfer verwandeln derzeit Teile des Irak in ein Islamisten-Emirat. Dem uneinsichtigen Premier steht das Wasser bis zum Hals. Seine Armee ist unfähig, die bestens organisierten Militanten zu vertreiben, die das ganze Land ins Chaos stürzen könnten.

Innerhalb weniger Tage haben Hunderte, wenn nicht Tausende Kämpfer des Al-Qaida-Ablegers "Islamischer Staat im Irak und in Großsyrien" (ISIS) mehrere irakische Städte attackiert und kurzzeitig besetzt. Derzeit weht die schwarze Flagge der sunnitischen Extremisten über Mossul, der zweitgrößten Stadt des Landes. Zuvor hatten die ISIS-Kämpfer einige Stunden lang die Universität der zentralirakischen Stadt Ramadi besetzt, waren in der den Schiiten heiligen Stadt Samara aufgetaucht, ohne dass Malikis Streitkräfte Widerstand leisten konnten.

Die Großstadt Falludscha hält ISIS seit Januar besetzt. Die Armee müht sich auch dort vergeblich, die Extremisten zu vertreiben. In Bagdad Bomben werfen können die Militanten inzwischen auch fast nach Belieben: Allein in den vergangenen Tagen starben Dutzende bei ISIS-Anschlägen.

Die ISIS-Taktik erinnert an den Satz des legendären Boxers Muhammad Ali: "Schwebe wie ein Schmetterling, stich wie eine Biene." An möglichst vielen Stellen angreifen, die schlecht ausgebildeten Regierungstruppen auseinanderziehen und durch Nadelstiche demoralisieren - dieser Guerillakrieg funktioniert bestens. In Mossul rissen sich viele von Malikis verschreckten Soldaten die Uniformen vom Leib und desertierten, anstatt die Stadt zu verteidigen. Mit dieser Armee kann Maliki keinen Staat machen. Einer von Malikis Gegenspielern in Bagdad forderte prompt, die Amerikaner sollten Mossul zu Hilfe kommen oder wenigstens die Kurden, die hätten ja auch kampferprobte Milizen.

Der Bürgerkrieg in Syrien reißt Irak in ein blutiges Chaos

Malikis Misere hat mehrere Ursachen. Da ist sein Versagen als Innenpolitiker. Der Premier hat zwar vor wenigen Wochen die Parlamentswahl gewonnen und bemüht sich um eine Koalition, mit der er weitere vier Jahre im Amt bleiben kann. In seiner inzwischen achtjährigen Amtszeit hatte der Schiit allerdings nur ein Anliegen - die Sunniten, ehemals die Stütze des Diktators Saddam Hussein, von der Macht fernzuhalten. Elf Jahre nach Saddams Sturz hätte Maliki die Sunniten hingegen politisch längst einbinden müssen. Der Erfolg der Sunni-Extremisten ist ohne heimliche Unterstützung sunnitischer Stämme, Familien und Politiker undenkbar.

Der andere Grund für Malikis Misere ist der syrische Bürgerkrieg. Das Blutbad auf der anderen Seite der Grenze hat es den ISIS-Führern erlaubt, auf ihrer Untergrundtruppe eine professionelle Miliz zu formen. ISIS hat sich im Kampf gegen die syrische Armee und in Geplänkeln mit anderen Islamistengruppen zur wohl stärksten und gefährlichsten sunnitischen Untergrundarmee des Nahen Osten entwickelt - so stark, dass ISIS drauf und dran ist, al-Qaida als Terrormarke abzulösen. Nicht umsonst hat die Al-Qaida-Führung sich von ihren irakisch-syrischen Zeloten inzwischen offiziell losgesagt.

Nun steht Maliki hilflos einer harten Sunniten-Miliz gegenüber, die ein Gebiet vom Nordosten Syriens bis in den Nord- und Zentralirak kontrolliert. Spätestens jetzt sollte er begreifen, dass er die Sunniten einbinden muss. Bevor die Radikalsten unter ihnen Teile des Irak zum Kalifat erklären und das Land zerbricht.

© SZ vom 11.06.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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