Reaktionen auf die SPD-Niederlage:Steinbrück warnt vor "Revolutionstribunalen"

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Wechsel des Parteivorsitzes, Öffnung zur Linkspartei, sozialere Ausrichtung: Nach dem Wahldebakel der SPD werden Forderungen für eine Neuausrichtung der Partei laut. Vizechef Steinbrück rät von einer harten Personaldebatte ab - und von einem Linksrutsch.

Nach den herben Stimmenverlusten der SPD bei der Bundestagswahl beginnt die Debatte um die zukünftige Ausrichtung der Partei - sowohl inhaltlich als auch personell.

Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) bezeichnete das Ergebnis der Bundestagswahlen für die SPD als "schwere Niederlage". In der Braunschweiger Zeitung forderte er Konsequenzen für das Profil der Partei.

"Die SPD muss ihre Politik sozialer und ökologischer ausrichten", sagte Gabriel. Viele Wähler hätten offenbar das Gefühl, "dass die SPD ihren Lebensalltag nicht mehr kennt". Das müsse die Partei ändern. Gleichzeitig müsse die Umweltpolitik stärker ein Anliegen der gesamten SPD sein.

Gabriel begrüßte zudem die Ankündigung von SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier, für den SPD-Fraktionsvorsitz zu kandidieren. Steinmeier habe dafür eine große Unterstützung in der Partei und der Fraktion. Die künftige schwarz-gelbe Koalition werde sich auf eine "harte Opposition" einstellen müssen, sagte Gabriel.

Die SPD hatte bei der Bundestagswahl ein Desaster erlebt und stürzte mit 23,0 Prozent auf das schlechteste Ergebnis in der Nachkriegsgeschichte ab. Sie muss nach elf Jahren an der Macht wieder in die Opposition. Steinmeier sprach von einem "bitteren Tag für die deutsche Sozialdemokratie", kündigte jedoch an, trotz der Niederlage Oppositionsführer werden zu wollen.

Auch SPD-Chef Franz Müntefering gab sich kämpferisch. Zwar legte er sich nicht fest, ob er sich beim Parteitag im November zur Wiederwahl stellen wird, doch sagte er, er stehe für die Aufgaben zur Verfügung, die für die Partei nun wichtig seien.

"Ich stelle mich der Aufgabe. Es gehört nicht zu meinen Eigenarten, wegzulaufen, wenn es schwierig ist", sagte er im Deutschlandfunk. Er verstehe, dass es einen dringenden Gesprächsbedarf gebe. "Es wird zu sprechen sein über Inhalte und Personen. Dann werden wir zum Parteitag im November eine Konstellation haben, die die Partei nach vorn bringt", sagte Müntefering.

Führende Sozialdemokraten aller Flügel sollen am Sonntagabend intern aber auf einen personellen Neuanfang gedrängt haben. Die SPD-Führungsgremien kommen an diesem Montag in Berlin zusammen. Von den Beratungen werden Hinweise darauf erwartet, ob Müntefering im November erneut als Parteichef antritt. Eine Vorentscheidung über das weitere Vorgehen wird auch von der Sitzung der Landes- und Bezirksvorsitzenden am Montagabend in Berlin erwartet.

Steinbrück gegen Linksrutsch

Vertreter des SPD-"Netzwerks" von jüngeren Abgeordneten forderten, dass Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier neben dem Fraktionsvorsitz auch die SPD-Führung übernimmt. Die Parteilinke erklärte, derzeit sei ein von allen getragener mehrheitsfähiger neuer Kandidat für den SPD-Vorsitz nicht in Sicht.

Der stellvertretende SPD-Chef Peer Steinbrück warnte seine Partei nach dem Wahldebakel vor Panikreaktionen. Keinesfalls dürften jetzt "Revolutionstribunale" aufgestellt werden oder Selbstzerfleischungsprozesse starten, sagte der Finanzminister am späten Sonntagabend in der Berliner SPD-Parteizentrale.

Notwendig sei aber ein Generationenwandel, dem er persönlich "nicht im Weg stehen" werde, sagte er mit Blick auf seinen Posten als Stellvertreter von Parteichef Franz Müntefering. Steinbrück wies darauf hin, dass die SPD beim Wahlsieg Gerhard Schröders 1998 noch 20 Millionen Stimmen erringen konnte, aktuell nach elf Jahren Regierungszeit aber nur noch zehn Millionen. Dies erfordere eine genaue Analyse.

Einen Linksruck sollte es aus seiner Sicht aber nicht geben. Die SPD müsse als Volkspartei breit aufgestellt bleiben, inhaltlich wie personell. Er warnte, Union und FDP wollten ein "anderes Deutschland" schaffen. Dies werde der SPD hoffentlich wieder Wähler zutreiben, die dieses Mal zu Hause geblieben seien.

Auch Generalsekretär Hubertus Heil sprach von einer bitteren Niederlage für die SPD. Darüber werde die SPD in Ruhe sprechen, sagte Heil in der ARD. "Da wird nichts übers Knie gebrochen."

Die stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende Andrea Nahles forderte am Sonntagabend im SWR einen Prozess der Erneuerung bis zum Bundesparteitag im November. Die SPD habe "eine historische Niederlage" erlitten. Das sei kein Signal für ein 'Weiter so'", sagte Nahles. Offenbar gebe es "Mehrheiten in der Sache" für sozialdemokratische Themen. Die SPD habe diese Mehrheiten aber nicht realisieren können.

Linkspartei kein Tabu

Zu Personalfragen wollte sich Nahles nicht äußern. Sie warnte ihre Partei vor einem "Säbelrasseln" durch öffentliche Personaldebatten. "Was wir sicher brauchen, ist eine Erneuerung", sagte Nahles. Die Debatte darüber müsse in den kommenden Wochen geführt werden, "aber nicht auf offener Bühne".

Juso-Chefin Franziska Drohsel sagte der Leipziger Volkszeitung , wichtig sei nach dem miserablen Wahlergebnis im Bund eine "ehrliche und schonungslose Ergebnisanalyse". "Wir müssen klären, wo die SPD in Zukunft im Parteiensystem stehen soll und wie wir es schaffen können, die Glaubwürdigkeitslücke zu schließen", sagte sie der Zeitung.

Auf dem Bundesparteitag müssten daher auch personelle Fragen diskutiert werden. Zur "strategischen Neubestimmung" gehöre auch die inhaltliche Auseinandersetzung mit der Linkspartei, sagte die Juso-Chefin der Zeitung.

Berlins Regierungschef Klaus Wowereit sagte, eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei im Bund dürfe 2013 kein Tabu mehr sein. Zunächst sei aber die Linkspartei am Zug, ihre politische Linie zu klären, sagte der SPD-Politiker. "Wenn sie nicht zu außenpolitischer Verlässlichkeit findet und in der Innenpolitik nicht auf unbezahlbare Versprechungen verzichtet, wird es auch 2013 mit der Regierungsfähigkeit nichts werden."

Nach der SPD-Niederlage im Bund forderte der Thüringer Linken-Spitzenkandidat Bodo Ramelow die SPD auf, nun zumindest auf Landesebene offener für rot-rote Bündnisse zu sein. "Das ist zwingend. Es gibt die Option auf acht mögliche SPD-Linke Landesregierungen", sagte Ramelow der Leipziger Volkszeitung.

Eine solche Koalition in Thüringen wäre ein Gegengewicht zu Schwarz-Gelb im Bund. "Wenn das in Thüringen die SPD nicht sieht, dann übernimmt sie nicht die Verantwortung, sondern drückt sich um die Verantwortung."

Außerhalb der SPD wurde der anstehende Regierungswechsel mit unterschiedlichen Reaktionen aufgenommen. Der DGB-Vorsitzende Michael Sommer kündigte an, er werde sich darum bemühen, mit der neuen Regierung "produktiv" zusammenzuarbeiten. "Aber ich sage auch: Wir werden nicht jede Politik akzeptieren, insbesondere dann nicht, wenn sie spekulantenfreundlich und arbeitnehmerfeindlich ist", sagte er dem Berliner Tagesspiegel.

Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt forderte die künftige schwarz-gelbe Regierung auf, Steuern und Abgaben zu senken. Wahrnehmbare Entlastungen von Unternehmen und Arbeitnehmern müssten ein mittelfristiges Ziel sein, schrieb er in einem Gastbeitrag für das Hamburger Abendblatt. Schon vorher lasse sich ein einfacheres und gerechteres Steuersystem umsetzen. Notwendig seien zudem ausgabensenkende Strukturreformen in allen Zweigen der Sozialversicherung.

Auch der Präsident des CDU-Wirtschaftsrates, Kurt Lauk, forderte entschlossene Reformen. Alle Investitionsblockaden müssten beseitigt werden, sagte er der in Halle erscheinenden Mitteldeutschen Zeitung.

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