Proteste in Syrien:Herrscherposen eines Taumelnden

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Die Blutspur, die arabische Diktatoren hinterlassen, wird immer länger: In Syrien sollen nach dem Mittagsgebet bis zu 16 Demonstranten getötet worden sein. Diese jüngsten Gräueltaten wird das Volk dem Präsidenten nie verzeihen - Baschar al-Assad lebt von geschenkter Zeit.

Sonja Zekri

Der Dichter Walid Al-Rumaischi war nicht bekannt als Gegner des jemenitischen Präsidenten, aber auch nicht als besonders regierungstreu. Wahrscheinlich ist er nur zwischen die Fronten geraten, und doch zeigt sein Schicksal, wie nah in diesem arabischen Frühling Freiheit und Gewalt beieinander liegen. Der Fernsehsender al-Arabija zeigt al-Rumaischi im Krankenbett, einen weißen Verband im Mund: Unbekannte hatten dem Dichter die Zunge herausgeschnitten.

Syrer fordern während einer Prostest-Demonstration in Amman, Jordanien, den Rücktritt des Präsidenten al-Assad. (Foto: REUTERS)

Seit Monaten demonstrieren im Jemen in riesigen Zeltstädten Hunderttausende für den Rücktritt von Präsident Ali Abdullah Salih. Ein Vermittlungsversuch des Golfkooperationsrats, dem sechs Golfstaaten angehören, ist soeben gescheitert, nachdem Salih zur Unterzeichnung nur einen Gehilfen schicken wollte.Die Protestierenden in Sanaa und Aden hatte das Angebot ohnehin empört: Eine Machtübergabe innerhalb von 30 Tagen, eine Einheitsregierung, an der sie nicht beteiligt wären, und Immunität für Salih - das klang nach Trostpflaster.

Ägypten bringt bald den gestürzten Pharao Hosni Mubarak vor Gericht, der verhasste ägyptische ehemalige Innenminister Habib el-Adly wurde soeben in einem ersten Prozess verurteilt, das Tora-Gefängnis ist voller einstiger Würdenträger. Die Menschen schauen nervös, aber optimistisch nach vorne. Was auch immer das Jahr bringt: Die Rückkehr des alten Regimes in Ägypten wie in Tunesien ist so gut wie ausgeschlossen.

Warum hat hier geklappt, was im Jemen nicht gelingt? In Libyen nicht? In Syrien nicht? Der syrische Präsident Baschar al-Assad hat nach zehn Tagen die Belagerung um Deraa gelockert, die Wiege der Revolte an der jordanischen Grenze. Aufständische verschicken Bilder von vermutlich während des Militäreinsatzes verbrannten und zerschossenen Häusern.

Dafür sind Panzer in die Küstenstadt Banias, nach Homs in Zentralsyrien und in das nahe Rastan eingerollt. Soldaten marschierten in Vororte von Damaskus ein. Zwar zogen nach dem Freitagsgebet wie in den Wochen zuvor Demonstranten gegen Assad auf die Straße, in Homs, in Banias, in den Kurdengebieten im Osten.

Aber auch am Freitag erhob sich nicht Aleppo im Norden Syriens, marschierten nicht die wohlhabenden Händler, blieb die massenhafte Desertion von Soldaten aus. Das Regime zeigt Risse, aber es hält.

Assads Männer schossen in Deraa auf Demonstranten und stahlen Kühlwagen, in denen Angehörige die Toten des Aufstandes verbargen, weil Begräbnisse wegen des Versammlungsrisikos verboten sind. All das werden ihm die Syrer nicht verzeihen. (Foto: AFP)

Der Oppositionelle und Unternehmer Riad Seif wurde am Freitag festgenommen - wie zuvor Tausende andere. Einige Dutzend Aufrechte wagten sich in Damaskus auf die Straße und wurden umgehend auseinandergejagt. In Deraa, wo erstmals Hilfslieferungen des Roten Kreuzes eintrafen, führten Sicherheitskräfte wenigen geduldeten und kontrollierten Journalisten eine "befriedete" Stadt vor. Nach der Lesart des Regimes wurde hier die von außen gesteuerte Zersetzung Syriens verhindert.

Assad lebt von geborgter Zeit. Bis zu 16 Menschen sollen am Freitag gestorben sein. Dass seine Männer von der Omari-Moschee in Deraa auf Demonstranten schossen, dass sie Kühlwagen stahlen, in denen Angehörige die Toten des Aufstandes verbargen, weil Begräbnisse wegen des Versammlungsrisikos verboten sind, das alles wird Syrien so wenig vergessen wie die Zerstörung der Stadt Hama 1982, um einen Aufstand der Muslimbrüder niederzuschlagen. Man hört von Konflikten zwischen Assad und den Hardlinern in der Familie, aber nicht vom Bruch.

Inzwischen ziehen auch in Marokko die Menschen für Reformen auf die Straße. Aber anstelle eines dominoartigen Falls ihrer Despoten erleben die Menschen in der arabischen Welt ein einsames Ringen mit den lokalen Eigenheiten. Anders als Ägypten sind Jemen, Syrien und Bahrain ethnisch und religiös heterogen.

Die drohende Spaltung ist längst ein fester Topos der Propaganda. Jemen und Syrien erlauben fast keine Journalisten: Die Aufständischen schmuggeln Videos von Gewaltexzessen oft unter Einsatz ihres Lebens aus dem Land, aber die Beweise lassen sich nicht unabhängig prüfen und eignen sich nur eingeschränkt zur Mobilisierung der Weltöffentlichkeit.

Anders als Libyen, das für die politische Architektur der Region eher unbedeutend ist, sind Jemen, Syrien, auch Bahrain für den Westen von zentraler Bedeutung für die Stabilität des Nahen Ostens. In Bahrain liegt die fünfte US-Flotte, in Jemen gilt Präsident Salih als Getreuer im Kampf gegen al-Qaida. Und Syrien unter den Assads ist selbst für Israel trotz wüster antiisraelischer Propaganda und der von Israel besetzten Golan-Höhen ein berechenbarer Nachbar. Aber mit jedem Toten steigt der Druck.

© SZ vom 07.05.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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