Propaganda aus Russland:Putins Trolle

Meinungsmacher: Wladimir Putin auf einem Plakat der Organisation Reporter ohne Grenzen.

Meinungsmacher: Wladimir Putin auf einem Plakat der Organisation Reporter ohne Grenzen.

(Foto: AFP)

"US-Democracy = Death": Hunderte bezahlte Manipulatoren versuchen, weltweit die Meinung in sozialen Netzwerken und in Kommentar-Bereichen wie auch bei Süddeutsche.de im Sinne des Kreml zu beeinflussen. Das bestätigen erstmals Strategiepapiere, die Hacker abgefangen haben.

Von Julian Hans, Moskau

Achtung, liebe Eltern, Harry Potter macht schwul! Ein Video, das der Nutzer mit dem Pseudonym "The American Dream" auf Youtube veröffentlicht hat, bringt den vermeintlichen Beweis: Erst sieht man den Schauspieler Daniel Radcliffe als Zauberlehrling Harry Abenteuer bestehen; so sei er zum Vorbild für Millionen Jungen geworden, heißt es. Dann sieht man denselben Radcliffe nackt mit einem jungen Mann im Bett - es ist eine Szene aus dem Film "Junge Wilde" über die Beat Generation, der 2013 in die Kinos kam. Eltern sollten sich nicht wundern, wenn sie ihren Sohn demnächst mit einem Jungen erwischen: "Sie ahmen nur Harry nach", erklärt das Video und schließt: "Das Hollywood von heute zeigt uns, wie unsere Kinder morgen sein werden."

Was wirkt wie das Werk eines der vielen Verwirrten, die täglich zusammen viele Terabyte Mumpitz ins Internet absondern, ist in Wahrheit sorgfältig geplant, kalkuliert und strategisch platziert. Der Nutzer mit dem absichtlich irreführenden Namen "The American Dream" (Adresse: youtube.com/TheUSAmericanDream) wurde von russischen PR-Spezialisten der "Agentur zur Analyse des Internets" angelegt. Die Firma mit Sitz in Sankt Petersburg beschäftigte zuletzt bis zu 600 Mitarbeiter. Ihre Hauptaufgabe: Meinungen im Internet im Sinne des Kreml zu manipulieren. Etwa eine Million Dollar ließ sie sich das zuletzt kosten, pro Monat. Das belegen interne Dokumente und E-Mails leitender Mitarbeiter der Agentur, die eine Gruppe anonymer Informanten im Internet zugänglich gemacht hat.

Detailliert wird dargelegt, welches Echo provokative Kommentare auslösen

Aus den mehr als 138 Megabyte Daten, die die Süddeutsche Zeitung ausgewertet hat, ergibt sich erstmals ein umfassendes Bild davon, wie Scharen bezahlter Manipulatoren vorgehen, um die Meinung in den Kommentar-Bereichen großer Nachrichtenportale zu dominieren, Debatten in sozialen Netzwerken zu stören und Communitys der Gegenseite zu zersetzen. Im Schutz der Anonymität sind sie von gewöhnlichen Diskutanten und einfachen Provokateuren - sogenannten Trollen - kaum zu unterscheiden.

Das Bild deckt sich mit Berichten, die die oppositionelle Nowaja Gaseta bereits 2012 veröffentlichte. Eine Reporterin hatte sich damals als Mitarbeiterin in das Nest der Trolle im Petersburger Vorort Olgino eingeschlichen. Dort erlebte sie, wie PR-Spezialisten den Kampf mit Kritikern des Kreml im russischsprachigen Internet aufnahmen, indem sie diskreditierende Blogeinträge über Oppositionelle verfassten, Schmäh-Collagen bastelten und versuchten, diese durch massenhafte Posts in die Trends der meistdiskutierten Themen bei Twitter zu bringen.

Auffälliges Missverhältnis

Nun gibt es erstmals Belege dafür, dass die Manipulatoren auch gezielt das Publikum von Nachrichtenportalen und sozialen Netzwerken jenseits des russischen Sprachraums ins Visier genommen haben. Den Verdacht gibt es spätestens, seit sich Redaktionen im Zuge der Ukraine-Krise mit einer Flut von Kommentaren konfrontiert sahen, die - ganz auf der Linie des Kreml - die Maidan-Proteste als Werk amerikanischer Geheimdienste und die Regierung in Kiew als Nazi-Junta zu diskreditieren suchten.

Zwar sind zweifellos auch Menschen im Westen aufrichtig dieser Meinung. Allerdings sind sie allen seriösen Umfragen nach in der Minderheit: Laut Allensbach-Institut bekennen gerade einmal acht Prozent der Deutschen, sie hätten "eine gute Meinung von Putin" (das entspricht etwa dem Ergebnis der Linkspartei bei der jüngsten Bundestagswahl). Laut Emnid haben 70 Prozent kein Verständnis für den russischen Präsidenten. Infratest dimap ermittelte, dass zwei Drittel der Bundesbürger Wirtschaftshilfen für Kiew befürworten und fast ebenso viele den politischen Druck der USA und der EU auf Moskau für sinnvoll halten. Die Kommentarflut, egal ob auf Spiegel oder Zeit Online, Süddeutsche.de oder bei der ARD, aber erweckt den Eindruck, man stehe mit seiner Meinung alleine da, wenn man die Annexion der Krim als solche verurteilt - ein auffälliges Missverhältnis.

"Obama wird in der Hölle brennen"

Wie PR-Profis diesen Eindruck fördern, geht aus den internen Strategiepapieren der Petersburger Agentur hervor. Darunter sind eingehende Analysen der sozialen Netzwerke Facebook, Twitter, LinkedIn und Youtube. Die Altersverteilung der Nutzer wird ebenso unter die Lupe genommen wie die Tageszeit, in der die Aktivität am höchsten ist, sowie die politische Einstellung des Publikums. So sei die Anhängerschaft der US-Demokraten unter Twitter-Nutzern besonders hoch, bei der Networking-Plattform LinkedIn am geringsten.

Die Troll-Analysten zählen Unterstützergruppen für Barack Obama bei Facebook und Twitter auf und legen im Detail dar, welche Regeln für Kommentare auf den Nachrichten-Portalen Politico, Huffington Post oder Fox News gelten. Werden Kommentare sofort veröffentlicht oder vorher geprüft? Gehen Schimpfwörter durch oder wird der Kommentar gelöscht? Über die Website theblaze.com wird bemerkt, dass auch beleidigende Kommentare toleriert werden, beispielsweise der Satz, die Bestimmung von Afroamerikanern seien "Rap und Basketball, aber nicht zu regieren". Auf Facebook und Twitter gebe es gar keine Zensur, dort schrieb einer, wegen seiner Ukraine-Politik werde "Obama in der Hölle brennen und Satan wird seine Frau vergewaltigen".

In einer Tabelle listen die Strategen auf, welche politische Einstellung amerikanische Nachrichtenseiten vertreten und wie sie über die russische Außenpolitik berichten. In einem anderen Papier legen sie dar, welches Echo provokative Kommentare auf unterschiedlichen Portalen auslösten und welcher Grad an Schärfe im Ton den größten Erfolg bringt. Aus ihren Analysen ziehen die Autoren Schlüsse, wie am wirkungsvollsten vorzugehen sei. So sei es ratsam, bei der Huffington Post "bis zu 100 Profile" anzulegen und zu pflegen, da dort jene Kommentare ganz oben angezeigt werden, deren Autoren die meisten Kontakte haben.

Ein Papier gibt Argumentationshilfen für das russische Publikum wie diese: "Europa ist in einer schweren Krise. Vergleicht das mit unserem Land. Wir haben keine Schulden. Es droht eine neue Krise. Überlegt gut, ob man in einer solchen Situation eine Mannschaft auswechseln sollte, die ihre Effektivität bereits bewiesen hat!" In den Daten findet sich auch das Konzept für eine Facebook-Gruppe mit dem Titel "The American Dream": In der ersten Phase sollten dort positive Beiträge über den Amerikanischen Traum veröffentlicht werden, um dann nach und nach kritischer zu werden.

"US-Democracy = Death"

Das Harry-Potter-Video auf dem gleichnamigen Youtube-Kanal hatte nur mäßigen Erfolg - gut 700 Aufrufe in drei Wochen. Der Clip aus der Vorwoche dagegen lief ungleich besser: Mehr als 35 000 Nutzer haben sich "US Democracy-Building in Ukraine" angesehen. Es beginnt mit dem Satz, die Demokratie sei das wichtigste Gut in den USA, behauptet dann, Washington habe fünf Milliarden Dollar ausgegeben, um in der Ukraine Faschisten an die Macht zu bringen und kulminiert nach dramatischen Bildern vom Einsatz von verletzten und getöteten Zivilisten in der Gleichung: "US-Democracy = Death".

Wer gibt solche Kampagnen in Auftrag? Die Spuren in den internen Dokumenten der Internet-Manipulatoren führen zu dem Petersburger Unternehmer Jewgenij Prigoschin, der in der oppositionellen Presse den Spitznamen "Putins Koch" trägt. Die beiden kennen sich aus den Neunzigerjahren, als Prigoschin in Sankt Petersburg das Kasino "Conti" betrieb und Putin in der Stadtverwaltung für die Überwachung des Glücksspiels zuständig war. Mittlerweile hat der massige Glatzkopf ein Gastronomie-Imperium aufgebaut, nicht zuletzt dank einiger Großaufträge vom Staat. Neben diversen Restaurants in Petersburg und Moskau bestreitet seine Concord-Gruppe unter anderem das Catering bei offiziellen Anlässen wie dem Sankt Petersburger Wirtschaftsforum und beliefert Schulen und die Streitkräfte mit Fertiggerichten.

Prigoschin fällt nicht zum ersten Mal damit auf, dass er sich auch jenseits des Kulinarischen um das Wohl des Kreml kümmert. 2012 soll er die Produktion des Films "Anatomie des Protests" gefördert haben, der die führenden Köpfe der Massendemonstrationen gegen die gefälschten Wahlen als von Georgien und den USA bezahlte Verschwörer darstellte - Vorlage für eine Reihe von Prozessen gegen Kreml-Kritiker, die zum Teil bis heute fortgesetzt werden. Als im vergangenen Jahr mehrere Personen aufflogen, die sich in Redaktionen kritischer Medien eingeschlichen hatten, um sie auszuspionieren, wurde bekannt, dass Prigoschin hinter der Aktion stand. Eine der Spioninnen ist laut dem internen Schriftverkehr nun in führender Position bei den Trollen in Olgino tätig.

Bezahlt wird nach Leistung

Aus dem abgefangenen E-Mail-Verkehr geht hervor, dass die "Agentur zur Analyse des Internets" ihre Monatsabrechnungen an Prigoschins Firma Concord schickte. Zusätzlich gingen Tätigkeitsberichte an einen Mann, der in den Dokumenten nur mit dem Nachnamen Wolodin auftaucht. Laut den anonymen Informanten soll es sich um Wjatscheslaw Wolodin handeln, den stellvertretenden Leiter von Putins Präsidialadministration. Das erscheint insofern als schlüssig, da Wolodin als der Mann im Kreml gilt, der sich um die Kontrolle des Internets kümmert. Er wurde im Dezember 2011 auf dem Höhepunkt der Proteste gegen gefälschte Wahlen in den Kreml geholt, um das unterschätzte Phänomen in den Griff zu bekommen.

Die Firma Concord lehnt jeden Kommentar zu den Vorwürfen mit der Begründung ab, die Daten seien auf illegale Weise an die Öffentlichkeit gekommen. An der Echtheit des Materials gibt es indes wenig Zweifel. Die Gruppe, die sich, wie es unter Hackern Sitte ist, "Anonymous International" nennt, hat bereits seit vergangenem Dezember immer wieder brisante Dokumente an die Öffentlichkeit gebracht, die sich jedes Mal als authentisch herausstellten. Das begann mit der Neujahrsansprache von Präsident Wladimir Putin, deren Text im Blog der Hacker erschien, bevor das Fernsehen sie ausstrahlte.

Vertrauliche Details über die Vorbereitung des Referendums auf der Krim durch Moskauer PR-Experten und Polittechnologen wurden ebenso veröffentlicht wie der E-Mail-Verkehr von Igor Girkin, Ex-Mitarbeiter des russischen Geheimdienstes und heute unter dem Pseudonym Igor Strelkow militärischer Anführer der selbst ernannten Volksrepublik Donezk in der Ukraine.

Der "geschäftsführende Troll" bestätigt, dass das Material echt ist

An den Veröffentlichungen fällt auf, dass die Anonymen ihr Material nicht nur aus gehackten Postfächern beziehen, sondern offenbar auch Zuträger im Zentrum der Macht haben. Immer wieder sind Dokumente dabei, die offenbar in den Kabinetten der Kreml-Administration abfotografiert wurden. Russische Medien spekulieren daher, ob hinter den Veröffentlichungen ein Machtkampf im Kreml steckt, der von Gegnern Wjatscheslaw Wolodins geführt wird. Oder ob im Geheimdienst einige unzufrieden sind, dass ureigene Aufgaben der Behörde wie die Manipulation der öffentlichen Meinung privaten PR-Firmen überlassen werden.

Ein Geschäftsführer der "Agentur zur Analyse des Internets" hat sich unterdessen für die Flucht nach vorn entschieden. Am Telefon bestätigte Michail Burtschik der Süddeutschen Zeitung die Authentizität des Materials, wollte sich aber nicht weiter zur Tätigkeit der Agentur äußern. In seinem Blog nennt Burtschik sich nun den "geschäftsführenden Troll" und erklärt, es sei doch gar nichts dabei an der Tätigkeit, Journalisten würden schließlich auch fürs Schreiben bezahlt. Einige seien als Patrioten sogar stolz darauf, "Trolle von Olgino" genannt zu werden: "Lieber Troll sein und seine Heimat lieben, als anonym auf die Regierung schimpfen", schreibt Burtschik; dabei vergisst er allerdings, dass die bezahlten Kommentatoren selbst stets anonym auftreten und ihre Identität erst von den Hackern aufgedeckt wurde.

Der Westen hat keine Antwort

Bezahlte Kommentatoren könnten relativ kurzfristig über Anzeigen in Online-Jobbörsen mobilisiert werden, berichtet eine leitende Mitarbeiterin einer PR-Firma in Moskau der Süddeutschen Zeitung. Die Frau, die auch Aufträge von staatlichen Stellen bekommt, will nicht, dass ihr Name oder der ihrer Firma veröffentlicht wird. Kommentare in Fremdsprachen seien für ihre bezahlten Kommentatoren kein Problem, ist sie überzeugt: "Die Sprachausbildung an unseren Hochschulen ist gut, das fällt nicht auf", sagt sie. Bezahlt werden die Trolle in der Agentur nach Leistung: Jeder Blog-Eintrag oder Kommentar wird fotografiert, danach wird abgerechnet.

Dass Russland seine Ukraine-Politik mit Propaganda in den sozialen Medien begleitet, überrascht den Politikberater Simon Anholt nicht. Der Brite wird von Regierungen weltweit als Experte gerufen, wenn es um das Image von Staaten geht. Regelmäßig bekomme er Einladungen aus Russland, sagt er. Wissenschaftler dort beschäftigten sich intensiv damit, wie öffentliche Meinung manipuliert werden kann. Laut einem Bericht der Zeitung Kommersant hat der Kreml gerade Forschungsaufträge mit einem Volumen von umgerechnet einer Million Euro ausgeschrieben, die unter anderem klären sollen, wie in anderen Ländern das Wahlrecht eingeschränkt wird, wie soziale Netze die öffentliche Meinung beeinflussen und wie man das Internet besser steuern kann. Es sei ein Irrtum, sagt Anholt, dass das Internet als freier Kommunikationsraum automatisch zu mehr Freiheit führe: "Weil es frei ist, ist es eben nicht immun gegen Manipulationen. Soziale Medien können gehackt und manipuliert werden. Und der Westen hat darauf keine Antwort." Zensur kann schließlich auch keine Lösung sein.

Das wirksamste Mittel gegen Trolle haben die Analysten aus Olgino unterdessen selbst dokumentiert: Ein Papier mit dem Titel "Negative Kommentare" gibt zu bedenken, dass allzu eindeutige Beiträge beim Publikum zu Abwehr-Reaktionen führen können. "Außerdem schöpfen die Nutzer Verdacht, dass diese Kommentare aus ideologischen Gründen oder gegen Bezahlung geschrieben wurden", heißt es. Als Beispiel ist eine Diskussion auf dem Portal des US-Nachrichtensenders CNN angeführt. Auf eine Tirade gegen das "vom Westen bezahlte Marionetten-Regime in Kiew" antwortet ein User: "Wie ist das Wetter in Moskau heute Abend?" Ein anderer schreibt: "Ich bin Russe wie du. Aber ich bin ein freier Mann, und du bist ein bezahlter KGB-Troll."

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