Putschversuch in der Türkei:Türkischer Generalstabschef - loyal und trotzdem gefährdet

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Auch das Verhalten von Generalstabschef Hulusi Akar ist ein Grund dafür, dass der Putsch in sich zusammenbrach. (Foto: AFP)

In der Nacht des Putschversuchs legte ihm sein Adjutant den Gürtel um den Hals und zog zu. Aber Hulusi Akar blieb hart und verweigerte den aufständischen Soldaten den Befehl. Sein Posten ist ihm dennoch nicht sicher.

Von Mike Szymanski, Istanbul

An Gegnern hat es Hulusi Akar schon nicht gefehlt, als er im vergangenen Jahr zum türkischen Generalstabschef aufstieg. Sein Land befindet sich im Mehr-Fronten-Krieg. Vom Nachbarland Syrien aus wütet der IS. Die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK und deren Ableger verüben Terroranschläge nicht mehr nur im Südosten des Landes.

Am Freitag aber lernte der 64-jährige General Akar den Feind im eigenen Haus kennen. Noch nie dürfte ihm ein Gegner so nahe gekommen sein: Es war sein Adjutant, der ihm in der Putschnacht vom 15. Juli im Büro den Gürtel um den Hals legte und zuzog, weil Akar sich den aufständischen Soldaten nicht anschließen wollte.

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Es sind dramatische Szenen, die sich in jenen Stunden im Gebäude des Generalstabs in Ankara abspielen: Akar wird von seinen eigenen Leuten als Geisel genommen und mit dem Hubschrauber zur Militärbasis Akıncı nordwestlich von Ankara zum Hauptquartier der Putschisten gebracht. Sein Vize muss übernehmen. Akar ist außer Gefecht. Als Anführer des Putsches macht die Regierung den ehemaligen Luftwaffenkommandeur Akın Öztürk aus.

In Ankara beschießen Piloten das Parlament. Mehrere F-16-Jets und Hubschrauber haben die Putschisten in ihre Kontrolle gebracht. Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan macht gerade Urlaub im Mittelmeerstädtchen Marmaris. Es dauert Stunden, bis er nach Istanbul kommen kann, weil der Luftraum unsicher ist.

Die Putschisten wollen Akar zwingen, die Putsch-Erklärung zu unterzeichnen. Der Adjutant soll ihm sogar die Waffe an den Kopf gehalten haben, berichtet die Zeitung Hürriyet. Aber Akar bleibt hart. Dass der Putsch in dieser Nacht bald in sich zusammenbricht, hat auch mit diesem Moment zu tun. Denn schnell wird klar, dass den Aufständischen der Rückhalt in den eigenen Reihen fehlt.

In der Armee bleibt kein Stein auf dem anderen

Akar, in seiner Laufbahn mehrmals auch bei der Nato im Einsatz, hat jetzt eine schwierige Zeit vor sich. Erdoğan gegenüber hat er sich als loyal erwiesen. Aber ob das reicht, ob er am Ende im Amt bleiben kann, das ist ungewiss. Erdoğan misstraut dem Militär. Es ist nicht das erste Mal, dass Generäle ihn stoppen wollen. Nun bleibt in der Armee kein Stein auf dem anderen.

Tausende Militärangehörige sind übers Wochenende festgenommen worden. In der Mehrzahl sind das zwar nur einfache Soldaten, die wohl lediglich Befehle befolgt haben. Die Anführer aber sitzen sehr weit oben im Militärapparat. Es war ihnen gelungen, das Land zu überrumpeln.

Lange vor der AKP-Herrschaft war die Armee die einzige Institution, in die die Bürger noch Vertrauen hatten. Sie besaß eine gewaltige Machtfülle. Erst Erdoğan, der sich von ihr bedroht fühlte, änderte das. Das Restvertrauen dürfte nun erschüttert sein. Soldaten, die das Land beschützen sollen, haben ihre Waffen auf das Parlament gerichtet. Ein Generalstabschef, der das nicht verhindern konnte, ist ein Zeichen von Schwäche.

© SZ vom 19.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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