Privatsphäre von Politikern:Politischer Paparazzismus

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Eines haben Lafontaine, Schröder und Prinzessin Diana gemeinsam: ein öffentliches Privatleben. Dessen Inszenierung wird ihnen schnell aus den Händen genommen.

Heribert Prantl

Das Sprichwort sagt: Wer sich in Gefahr begibt, der kommt drin um. Ist das eine Entschuldigung für die Zeitungen und Magazine, die über eine angebliche außereheliche Affäre des Chefs der Linkspartei berichten?

Der Fraktionschef der Linken, Oskar Lafontaine, im Saarbrücker Landtag während einer Plenarsitzung. (Foto: Foto: ddp)

Auch über Oskar Lafontaines Intimfeind Schröder, damals Kanzler, wurde im Jahr 2003 solches kolportiert. Ist also die Öffentlichkeit, in die sich jeder Spitzenpolitiker begibt, eine Gefahr, in der der Schutz seiner Privat- und Intimsphäre zwangsläufig umkommt? Muss sich einer, der im Licht der Öffentlichkeit steht, von der Medienöffentlichkeit alles gefallen lassen?

Muss er es sich gefallen lassen, dass Gerüchte über ihn verbreitet werden? Muss er es sich vielleicht schon deshalb gefallen lassen, weil er, wenn er sich dagegen wehrt, diese Gerüchte nur noch weiter publik macht? Ist der komplette Verlust der Intimsphäre der Preis der Politik?

Absolut schutzlos?

Gehört zum Preis, den Spitzenpolitiker zahlen müssen, dass andere mit Geschwätz über sie Geschäfte machen? Wenn einer eine absolute Person der Zeitgeschichte ist - ist er dann absolut schutzlos, wenn über ihn in Zeitungen schlüpfrige Geschichten erzählt werden?

Natürlich kann er sich juristisch wehren. Natürlich hat auch ein Spitzenpolitiker ein Recht auf Privat- und Intimsphäre. Natürlich gilt der Artikel 1 des Grundgesetzes auch für einen Spitzenpolitiker. Auch die Würde eines Politikers ist unantastbar.

Was aber bringt so ein Satz, wenn ein Politiker im Versuch, sich zu wehren, das Gerücht, das er unterbinden will, nur noch weiter ausbreitet? Was bringt so ein Satz, wenn dann nicht nur drei oder vier Zeitungen das Gerücht verbreiten, sondern ein paar hundert Zeitungen, Radio- und Fernsehsender melden, dass sich Politiker gegen ein Gerücht wehrt - und dabei, genüsslich oder nicht, dieses Gerücht vermelden?

Über den früheren französischen Staatspräsidenten François Mitterrand wurden die unglaublichsten Gerüchte verbreitet - Frauengeschichten, Korruptionsgeschichten. Er hat sich nie, nie gewehrt, er hat nie etwas dagegen unternommen. Er wusste wohl auch warum: Ein guter Teil der Geschichten hat gestimmt. Mitterrand genoss seinen schillernden Ruf, er war ein Jongleur - und die französische Öffentlichkeit hat das akzeptiert und respektvoll beschmunzelt.

In Deutschland ist das anders. Es ist nicht zuletzt deshalb anders geworden, weil deutsche Politiker, Schröder zumal, ihr Privatleben sehr bewusst öffentlich gemacht haben. Sie haben, anders als ein Mitterrand, mit ihrem Privatleben für ihre Politik geworben. Das hat Schröder als Ministerpräsident mit seiner damaligen Ehefrau Hiltrud gemacht, das machte er als Bundeskanzlerkandidat und als Bundeskanzler mit seiner Ehefrau Doris.

Das heißt: Er politisierte seine Ehe. Das machte ihn rechtlich nicht schutzlos. Aber es machte ihn auf perfide Weise angreifbar - weil die Schlüssellochgucker so tun konnten, als sei ihr Voyeurismus ein Bestandteil der notwendigen Politikbeobachtung und daher von der Pressefreiheit geschützt.

Das ist natürlich Unsinn. Aber solcher Unsinn kommt nicht von ungefähr. Wenn echtes oder angebliches Ehe- und Familienglück von Schröder, von Seehofer oder sonst wem offensiv zur politischen Sympathiewerbung eingesetzt, ja als Ausdruck einer grundsätzlichen Lebenshaltung dargestellt wird, auf der seine Politik fußt - dann darf sich dieser Politiker nicht wundern, wenn er über sich private und intime Nachrichten lesen muss, die seiner echten oder angeblich grundsätzlichen Lebenshaltung widersprechen.

Oskar Lafontaine
:Der Trommler von der Saar

Linker Scharfmacher oder der gefährlichste Mann Europas wurde er von Kritikern genannt. Oskar Lafontaine hatte noch viel vor. Nun bremst ihn ein Krebsleiden.

Es geht doch um Glaubwürdigkeit, sagen die Kolporteure zu ihrer Entschuldigung - das macht die Sache nicht appetitlicher, aber ganz falsch ist das Argument ja nicht.

Lafontaine hat sich seinerzeit, um seine Flucht vor Schröder und aus der Politik gewinnend zu begründen, mit seinem kleinen Sohn auf den Schultern auf dem Balkon seines Wohnhauses präsentiert. Er hat seine Privatheit als Mittel zum Zweck eingesetzt. So etwas rächt sich.

Es gibt merkwürdige Symbiosen zwischen einer öffentlichen Figur und den Medien, die auch in der Politik Einzug halten. Ein besonderer tragischer Fall einer solchen Symbiose war einst der Fall der englischen Prinzessin Diana. Er zeigte, wohin im Extremfall eine solche Symbiose führen kann - zum tödlichen Crash.

Diana hat ihre verhasste Rolle als Frau an der Seite von Charles nur aufgeben können, indem sie aller Welt kundgetan hat, wie er und sie immer wieder gegen ihre Rollen verstoßen haben. Das heißt also, sie hat die Medien, die Öffentlichkeit, zum Komplizen ihres Privatlebens gemacht.

Den Anfängen wehren

Diese Öffnung des Privatlebens zwecks geschönter Darstellung der Wirklichkeit hatte aber zur Folge, dass der Komplize, die Öffentlichkeit, und ihre vermeintlichen Handlanger, die Boulevard-Journalisten, ständig neue Neuigkeiten eingefordert haben. Das heißt also: Diana benutzte die Medien, und die Medien benutzten sie.

Solche Entwicklungen gibt es auch in der Vermarktung von Politik. Es entwickelt sich deshalb eine Art politischer Paparazzismus. Mit juristischen Mitteln erreicht man hier nicht allzu viel. Besser ist es, den Anfängen zu wehren.

Das bedeutet: Politiker sollten sich bei der Demonstration von Privatheit zu politischen Zwecken sehr zurückhalten. Wenn Politiker Privatheit zu politischen Zwecken inszenieren, wird ihnen die Inszenierung alsbald aus den Händen genommen.

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