Polen:"Wenn es nötig ist, gehe ich jeden Tag auf die Straße"

Polen: Tausende Polen demonstrieren gegen die Justizreform.

Tausende Polen demonstrieren gegen die Justizreform.

(Foto: AP)

Die am Donnerstag verabschiedete Justizreform spaltet die polnische Bevölkerung. Fünf Polen erklären, warum sie vehement gegen die Pläne der Regierung vorgehen - oder sie gutheißen.

Protokolle von Miguel Helm und Veronika Wulf

Das polnische Parlament hat an diesem Donnerstag die umstrittene Justizreform abgesegnet. Die rechtskonservative Regierungsspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) stimmte mit ihrer Mehrheit dafür, der Politik die Kontrolle über das Oberste Gericht zu übertragen.

Internationale Beobachter warnen vor einer Abschaffung der Demokratie. PiS-Unterstützer loben einen veränderungswilligen Staat. Was sagen Polens Bürger dazu?

Franciszek Sterczewski, 29, Aktivist und Architekt, organisiert Demonstrationen in Posen gegen die Justizreform

"Wenn ich durch das Zentrum von Posen gehe, sehe ich Leute herumschlendern, in Cafés sitzen und Selfies machen. Ich sehe keine Wut, keine Angst. Dabei sollten sie wütend sein, sie sollten Angst haben. Wenn die Gerichte von der regierenden Partei kontrolliert würden, wäre das ein Problem für jeden Bürger, auch für PiS-Wähler.

Der Justizminister könnte jeden einzelnen Richter in Polen austauschen. Auch das Wahlsystem könnte PiS verändern. Dass sie ernsthaft darüber nachdenken, sieht man schon jetzt: PiS kündigte an, die Grenzen von Warschau auf die Vororte ausdehnen zu wollen. Denn in Großstädten wird hauptsächlich die liberale Platforma Obywatelska gewählt, in den Vororten die PiS-Partei. So will die Regierung auch die großen Städte zu PiS-Gebieten machen.

Sie sind brillante PR-Strategen: Sie analysieren, was die Menschen brauchen und richten ihre Programme danach aus, zahlen Familien beispielsweise monatlich 500 Złoty (umgerechnet etwa 118 Euro) für jedes Kind ab dem zweiten. Dadurch steigen die Umfragewerte. Währenddessen führen sie eine stille Revolution durch. Und die Bürger sitzen in ihren Wohnzimmern, schauen Fernsehshows und kriegen nichts mit.

Polen: Franciszek Sterczewski, Aktivist und Architekt, organisiert in Posen friedliche Demonstrationen mit Kerzen gegen die geplante Justizreform der PiS-Partei.

Franciszek Sterczewski, Aktivist und Architekt, organisiert in Posen friedliche Demonstrationen mit Kerzen gegen die geplante Justizreform der PiS-Partei.

(Foto: Juilan Redondo Bueno/privat)

Da die Opposition es nicht schafft, den Menschen diese Gefahr zu erklären, organisiere ich Proteste. 5000 bis 7000 Leute kamen am Sonntag auf den Freiheitsplatz im Zentrum von Posen und haben still mit Kerzen protestiert. Das war unglaublich. Immer mehr Leute verstehen, worum es geht.

Es ist ein Kampf zwischen Information und Desinformation. Wir müssen bei jedem Hass-Post im Netz nach den Quellen zu fragen, Freunde und Familienmitglieder anrufen und sie aufklären, warum diese Veränderungen der Justiz unsere Demokratie zerstören können. Wenn es nötig ist, gehe ich jeden Tag auf die Straße - bis der Präsident sein Veto gegen diese Veränderungen einlegt."

"Die Regierung investiert in ein starkes und unabhängiges Polen"

Peter Kaziol, 30, stammt aus Krakau und arbeitet zurzeit bei einem Medizinunternehmen in London

"Noch nie hat eine Regierung so viel verändert wie die jetzige. Wir brauchen die Veränderungen, damit unser Land ohne Korruption regiert werden kann. Mit der Justiz haben wir da ein Problem. Deswegen muss sie jetzt reformiert werden. Viele Leute sagen, dass dadurch die Unabhängigkeit der Justiz gefährdet und die Demokratie zerstört wird. Das denke ich überhaupt nicht.

Mit der Arbeit der Regierung bin ich sehr zufrieden. Die PiS-Partei versucht, das wiederaufzubauen, was wir im Kommunismus und in acht Jahren unter der Platforma Obywatelska (Regierungspartei von 2007 bis 2015, Anmerkung der Redaktion) verloren haben. Jetzt wird den Familien geholfen, die Wirtschaft wächst und die öffentlichen Schulden werden reduziert. Deswegen habe ich die Partei gewählt und werde sie auch wieder wählen.

Meiner Meinung nach haben die vielen Anti-Regierungs-Demonstranten überhaupt keine richtigen Argumente. Denn unsere Demokratie ist ausgezeichnet. Die Leute gehen nur auf die Straße, weil sie PiS-Parteichef Jarosław Kaczyński hassen und ihn bekämpfen wollen.

Die aktuelle Regierung investiert in die Zukunft unseres Landes, in ein starkes und unabhängiges Polen. Mir ist egal, wie sie das machen. Hauptsache, am Ende stimmt das Ergebnis."

"Das ist das Ende der Demokratie"

Monika Żyła, 29, Musikwissenschaftlerin, ist in Bielsko-Biała geboren, lebt seit vier Jahren in Berlin und würde gerne mehr gegen die Regierung tun können

"Am meisten stört mich, dass es keine Debatte gibt. Alle Gesetzesänderungen werden schnell und heimlich durchgepeitscht, am besten in der Nacht. Deswegen gehen die Leute auch auf die Straße, weil sie nicht gefragt werden. Der PiS-Parteichef Jarosław Kaczyński jagt so verzweifelt der Macht hinterher. In einem Video der Debatte im Parlament, sieht man, wie er völlig die Beherrschung verliert, wie ein Irrer. Er rennt zum Podium, obwohl er nicht dran ist zu sprechen, und wirft der Opposition vor, sie habe seinen Bruder umgebracht.

Polen: Monika Żyła lebt derzeit in Berlin. Nach Polen will sie nicht zurück - auch wegen der PiS-Regierung.

Monika Żyła lebt derzeit in Berlin. Nach Polen will sie nicht zurück - auch wegen der PiS-Regierung.

(Foto: Max Pauer/privat)

Ich denke, es liegt an ihren starken Sozialprogrammen, dass die PiS-Partei an die Macht kam. Die beinhalten auch durchaus gute Teile, Dinge, die die Vorgängerregierung versäumt hat. Aber dahinter steckt katholischer Fundamentalismus und - ganz einfach - Faschismus. Die Beliebtheit der PiS-Partei wächst sogar, weil sie Stück für Stück Radio und Fernsehen übernehmen und ihre Fake-News verbreiten. Sie wissen, wie man manipuliert. Die Freiheit in Polen ist wirklich gefährdet. Die Polizei kontrolliert schon jetzt die Demonstranten sehr gründlich. Wenn das so weitergeht, ist das das Ende der Demokratie in Polen.

Meine Freunde in Warschau demonstrieren stundenlang. Bürger sein ist ein Vollzeitjob im Moment. Wenn ich in Warschau bin, protestiere ich natürlich mit. Aber hier in Berlin verfolge ich die Geschehnisse auf Facebook, und kann nichts tun. Das ist frustrierend. Diese unglaubliche Eskalation ist ein weiterer Grund, warum ich nicht in mein Heimatland zurückkehren möchte."

"Keiner will eine Diktatur errichten"

Mateusz Stankiewicz, 29, Finanzanalyst aus Krakau, kann mit den Demonstrationen nichts anfangen

"Die Demonstrationen kann ich ganz und gar nicht unterstützen. Normale Menschen gehen zur Arbeit und haben keine Zeit für so etwas. Witzig ist, dass die Demonstranten zuvor nicht einmal wussten, was das Oberste Gericht überhaupt ist.

Natürlich darf man gegen die Regierung demonstrieren. Ich denke auch, dass wir eine Opposition brauchen, aber eine konstruktive. Die Demonstranten aber bitten die Europäische Union um Unterstützung. Das ist nicht sinnvoll. Wir müssen unsere Probleme in unserem eigenen Land lösen und sie innerhalb unserer eigenen Grenzen diskutieren. Vor mehr als hundert Jahren haben wir Europa schon einmal nach Hilfe gefragt und Europa hat Polen von der Landkarte verschwinden lassen.

Mateusz Stankiewicz

Mateusz Stankiewicz, Finanzanalyst aus Krakau, sieht in der Justizreform der PiS-Partei keine Gefahr für die Demokratie.

(Foto: Privat)

Wir haben in Polen eine Demokratie, die Regierung wurde von der Mehrheit gewählt. Nun geht sie ihren Zielen nach und reformiert. Keiner will eine Diktatur errichten. Ich bin davon überzeugt, dass die Reformen nötig sind. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion gab es nicht viele Reformen. Es gab keine Überprüfungen, ob die Richter damals Verbindungen zu den Kommunisten hatten. Außerdem ist die Justizreform nichts, was uns unmittelbar betrifft und uns im Alltag beeinflusst. Trotzdem muss sie durchgesetzt werden.

Ich merke immer mehr Spannung in der polnischen Bevölkerung. Entweder man ist für die Regierung oder gegen sie, es gibt keinen dritten Weg. Wenn du im Bus anfängst, über Politik zu reden, schauen dich alle an und checken, ob du pro oder contra bist. Du kannst die Spannung in den Augen der Leute sehen."

"Viele junge Menschen halten die Demokratie für selbstverständlich"

Renata Baranowska, 53, wohnt und arbeitet in Posen als Dolmetscherin. Die Justizreform erinnert sie an den Kommunismus.

"Die aktuelle Situation ist katastrophal - und dramatisch. Es bestehen große Gefahren, dass wir unsere Demokratie, die wir vor 25 Jahren gewonnen haben, schrittweise verlieren. Wir haben zuerst die Unabhängigkeit des Verfassungsgerichtes verloren und jetzt ist das Oberste Gericht gefährdet. Wir brauchen aber eine Trennung der Gewalten.

Ich selbst habe zu Zeiten des Kommunismus gelebt und ich weiß, welche Gefahren es mit sich bringt, wenn wir keine Gewaltenteilung haben. Dann kann die Regierung machen, was sie will. Meine Vermutung ist, dass genau das gerade passiert. Darauf zielen die neuen Gesetze ab.

Polen: Renata Baranowska, Dolmetscherin aus Posen, glaubt, dass junge Leute die Gefahr der PiS-Partei unterschätzen.

Renata Baranowska, Dolmetscherin aus Posen, glaubt, dass junge Leute die Gefahr der PiS-Partei unterschätzen.

(Foto: Privat)

Dagegen demonstriere ich. Als die Proteste gegen die Regierung begonnen haben, haben vor allem ältere Leute daran teilgenommen. Ich habe den Eindruck, dass viele junge Menschen die jetzigen Gefahren für die Demokratie nicht erkennen. Sie halten die Demokratie für selbstverständlich und meinen, dass sie nicht verloren gehen kann. Wenn die Regierung aber anfängt, an der Demokratie und der Verfassung herum zu fummeln, dann ist das nicht rechtmäßig. Das muss den Leuten bewusst werden.

Außerdem sehe ich einen Riss, der schon seit einiger Zeit durch die polnische Gesellschaft geht und der jetzt größer wird. Ich habe die Hoffnung, dass die sehr radikalen Schritte der Regierung dazu führen, dass auch die eigentlichen Regierungsbefürworter die Proteste verstehen."

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