Piraten vor Wahltag am 25. Mai:Partei im Abgrund

Piratenpartei

Schiffchen im Abgrund: Für die Piratenpartei kann es kaum noch schlimmer kommen.

(Foto: Bodo Marks/dpa)

Wer Gründe sucht, die Piraten zu wählen, muss lange suchen. Was er schnell findet: #bombergate und #KeinHandschlag, Streit und Parteiaustritte. Irgendwie will Parteichef Wirth drei Prozent holen, doch seine Partei hat den politischen Kindergarten noch immer nicht verlassen.

Von Thorsten Denkler, Berlin

Es ist nur ein kleiner aber durchaus bezeichnender Hilferuf, der die Piraten bundesweit am Wochenende aus dem Landesverband Sachsen erreichte. Dort finden wie in neun weiteren Bundesländern am 25. Mai Kommunalwahlen statt. Um antreten zu können, müssen die Parteien Unterstützerunterschriften sammeln. Die Hürden sind nicht allzu hoch. Aber die Piraten in Sachsen haben offensichtlich Probleme.

Besonders übel sieht es in Bautzen aus. 200 Unterschriften werden gebraucht. Am besten mehr, um womöglich ungültige Unterschriften abzufedern. Zusammenbekommen haben die Piraten dort gerade mal neun Unterschriften. Kaum besser in Meißen: 18 Personen haben sich auf der Unterstützerliste eingetragen. Selbst in den Metropolen des Landes reicht es nicht: In Dresden liegen 141 von 240 benötigten Unterschriften vor. In Leipzig sind es 131 von 240. Bis zum 30. März müssen die Unterschriften da sein. Sonst können die Piraten nicht an den Kommunalwahlen teilnehmen.

Es ist offenkundig: Die Partei liegt am Boden. Einer ihrer bekanntesten Vertreter, der Berliner Abgeordnete Christopher Lauer, gerade knapp zum neuen Landesvorsitzenden der Hauptstadt-Piraten gewählt, sagte auf dem Landesparteitag: "Ich wüsste nicht, wie es noch schlechter laufen sollte, als im Moment."

In ihrer eigenen Statistik haben die Piraten 0,0 Prozent

Damit dürfte er recht haben. In den Umfragen taucht die Partei gar nicht mehr auf. Sie gehört jetzt wie vor 2011 zu den sonstigen Parteien. Ihr Stimmenanteil ist zu gering. Auf ihrer eigenen Statistik-Seite werden die Piraten mit 0,0 Prozent angezeigt.

Und das wenige Wochen vor dem wichtigsten Wahltermin des Jahres, dem 25. Mai. An diesem Tag wird das Europa-Parlament neu gewählt, dazu stehen zehn Kommunalwahlen im ganzen Land an.

Trotz der vom Bundesverfassungsgericht kassierten Drei-Prozent-Hürde laufen die Piraten Gefahr, keinen Abgeordneten nach Brüssel entsenden zu können. Mindestens ein Prozent der Stimmen wären dafür nötig.

Seit Monaten dümpelt die Partei in der Bedeutungslosigkeit vor sich hin. 2011 und 2012, das waren die großen Jahre der Piraten. Sie eroberten Landtage in Berlin, NRW, Saarland und Schleswig-Holstein aus dem Stand, mit Ergebnissen zwischen 7,4 und 8,9 Prozent. Der Sprung in den Bundestag galt manchen schon als so gut wie sicher.

Ständige Querelen, Selbstbeschäftigung, Twitter-Krieg

Statt sich im Erfolg weiterzuentwickeln boten die Piraten dies: ständige Querelen, Selbstbeschäftigung, gegenseitige Beschimpfung, einen andauernden Twitter-Krieg nach dem Motto Jeder-gegen-jeden. Dazu fehlen Konzepte in fast allen wichtigen Politikfeldern.

Anfangs wirkte die zur Schau getragene Ahnungslosigkeit der Piraten auf den Gebieten der Außen- oder der Finanzpolitik noch süß, später peinlich, dann war es den meisten Wählern egal. Die Bundestagswahl endete mit 2,2 Prozent in einem Desaster. Die Piraten haben ihre historische Chance vertan, ein wichtiger Akteur auf der politischen Bühne zu werden. Die nötigen Sympathien hatten sie am Anfang.

Erst der Höhenflug, dann der Crash. Manche in der Partei haben gehofft, dass sich die Parteifreunde danach wieder auf gemeinsame Ziele besinnen: mehr Transparenz in der Politik etwa. Oder eine bessere Teilhabe an politischen Prozessen mit technischen Mitteln - und das am besten in den Parlamenten.

Zoff-Orgie um "Bombergate"

Mit der jüngsten internen Zoff-Orgie um "Bombergate" aber haben die Piraten wieder bewiesen, dass sie eines besonders gut können: sich untereinander fetzen.

Was war geschehen?

Die bis dahin weithin unbekannte wie aussichtslose Berliner Piratenkandidatin für das Europaparlament, Anne Helm, hatte sich für eine Protestaktion in Dresden Anfang Februar über- und unterhalb ihrer entblößten Brüste "Thanks Bomber Harris" auf den Körper gemalt, ihr Gesicht jedoch unter einem Tuch verborgen.

In Kreisen der Antifa ist es durchaus üblich, den Alliierten dafür zu danken, der Nazi-Diktatur ein Ende bereitet zu haben. In Dresden aber haben durch den Bombenbefehl des britischen Kommandanten Sir Arthur Harris zwischen dem 13. und 15. Februar 1945 bis zu 25 000 Menschen ihr Leben verloren. Ein wenig Fingerspitzendgefühl darf da erwartet werden. Die Piraten aber hatten wieder einen Grund, sich ausgiebig mit sich selbst zu beschäftigen.

Piraten-Helfer im "Orgastreik"

Mehrere Landesverbände forderten "Konsequenzen" aus Bombergate, der Bundesvorstand hatte allerdings keine Lust, "auf den Zug bloßer Behauptungen und Vorverurteilungen aufspringen, der von Boulevard und sozialen Netzwerken in Fahrt gesetzt wurde".

Er stellte sich stattdessen hinter Anne Helm. Und verschickte zu dieser Gelegenheit eine Erklärung der Piratin, in der diese sich zwar nicht zu der Aktion bekannte, aber die Gelegenheit zu einer generellen Belehrung über die Luftangriffe von Dresden nutzte. Das gab noch mehr Krach - na klar.

Helfer der Piraten in den Geschäftsstellen oder am heimischen Rechner traten in den "Orgastreik": "Wir hatten einen Deal: Wir halten euch den Rücken frei von Verwaltungskram und ihr macht gute Politik. Dieser Deal wurde einseitig gekündigt." Kurz darauf brachen die Server der Piraten zusammen. Nichts ging mehr.

Austritt statt Rücktritt

Eine Woche lange hatte die auf den Fotos vermummte Helm abgestritten, die Frau mit dem Dank an Harris zu sein. Dann outete sie sich und wünschte sich, sie könne die Aktion "ungeschehen machen". Die Geschichte hätte hier zu Ende sein können.

Schließlich einigten sich fast alle Landesvorstände und der Bundesvorsitzende Thorsten Wirth forderte Anfang März, "klare und sichtbare Maßnahmen gegen diese Mitglieder zu ergreifen, die gegen unsere Werte verstoßen haben". Was das für Konsequenzen sein sollen und wer da eigentlich genau gemeint ist, steht nirgends. Die Piraten beruhigten sich nicht.

Rücktritte galten ja bis dato als alltäglich geübte Praxis in der Partei. Jetzt wird nicht mehr zurückgetreten, jetzt wird gleich ausgetreten. Sebastian Nerz, einst Bundesvorsitzender der Piraten, hat Ende Februar entnervt seine Mitgliedschaft aufgegeben. Anfang des Jahres schon trat Ex-Parteivorstandsmitglied Klaus Peukert aus.

Nach Bombergate ging der ehemalige Beisitzer im Bundesvorstand Matthias Schrade. Aus gleichem Grund hat wenig später Heiko Müller der Partei den Rücken gekehrt. Er war bis dahin Landeschef der Piraten in Rheinland-Pfalz. Auch Julia Schramm, Autorin des Buches "Klick mich. Bekenntnisse einer Internet-Exhibitionistin", ist seit Anfang März nicht mehr Mitglied der Partei.

Die Partei hat den politischen Kindergarten noch immer nicht verlassen

Das Spiel geht weiter. Auf Twitter verbünden sich unter dem Hashtag #keinhandschlag all jene, die wahlweise Bombergate, alles, nur ein wenig oder sehr vieles von dem, was in ihrer Partei läuft, für falsch halten. Sie wollen deshalb "keinen Handschlag" in den Vorbereitungen für die Wahlen am 25. Mai machen.

In anderen Parteien hätten solche Mitglieder wegen parteischädigendem Verhalten ein Parteiausschlussverfahren am Hals. Parteichef Thorsten Wirth belässt es dabei, die Aktion zu rüffeln. Sie schade der Partei und den Kandidaten für das Europaparlament insgesamt. "Es sind auch viele Kandidaten dabei, die nicht Anne Helm heißen", sagt er.

Wirth will übrigens bei der Europawahl mehr als drei Prozent holen. Ein Ziel, das aus aktueller Perspektive geradezu illusorisch wirkt. Die Partei hat den politischen Kindergarten noch immer nicht verlassen. Und sieht darin offenbar auch keine Notwendigkeit.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: