Petra-Kelly-Preis an Marianne Fritzen:Großmutter des Widerstands

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Seit mehr als 30 Jahren kämpft Marianne Fritzen gegen Atomkraft, Castor-Transporte und das Endlager Gorleben. Dass nun die Bundesregierung die Laufzeiten verlängern will, findet sie "niederschmetternd". Doch sie hat auch Hoffnung.

Lilith Volkert

Zu Sitzblockaden nimmt sie inzwischen einen Klapphocker mit, sonst hat sich im Leben von Marianne Fritzen wenig geändert. Noch immer demonstriert die 86-Jährige gegen die Nutzung von Atomenergie, die Castor-Transporte ins Zwischenlager Gorleben und die "Dreistigkeit, mit der wir regiert werden". An diesem Mittwoch wird sie in Berlin mit dem Petra-Kelly-Preis der Heinrich-Böll-Stiftung ausgezeichnet.

Marianne Fritzen im November 2008 in Gorleben. (Foto: AFP)

Als Anfang der siebziger Jahre in Langendorf an der Elbe ein Atomkraftwerk gebaut werden soll, ist Marianne Fritzen unter den Ersten, die sich dagegen wehren. 1973 gehört sie zu den Gründern der Bürgerinitiative Umweltschutz Lützow-Dannenberg, eine spätere Keimzelle der Grünen. Nicht nur das Atomkraftwerk, auch ein "Nukleares Entsorgungszentrum" in Gorleben mit Wiederaufarbeitungsanlage und Brennelementefabrik kann verhindert werden.

Gerade deshalb empfindet Marianne Fritzen es als "niederschmetternd", dass die Bundesregierung die AKW-Laufzeiten verlängert hat und die Erkundung des geplanten Endlagers Gorleben wieder aufgenommen werden - auch wenn sie von Union und FDP "nichts anderes erwartet" habe.

Mit Wohlwollen sieht sie hingegen, dass die Kinder der Demonstranten von damals heute auch gegen die gerade beschlossene Laufzeitverlängerung auf die Straße gehen. "Die haben das mit der Muttermilch aufgesogen", sagt sie. "Ich musste erst lernen, nicht immer so obrigkeitstreu zu sein und auch mal etwas Verbotenes zu tun."

Dabei trat Marianne Fritzen immer für gewaltlosen Widerstand ein. Wenn Leute meinten, sie müssten Gleise zersägen oder Straßen unterhöhlen, dann liege das in ihrer Verantwortung. Sie selbst hat sich nie von Polizisten wegtragen lassen, ist immer vorher aufgestanden: Sie habe keine Lust, nach außen hin ein Opfer zu demonstrieren, sagt sie, nur weil es vielleicht opportun erscheint. Eine Symbolfigur oder gar "Grande Dame der Anti-Atom-Bewegung" möchte die Mutter von fünf Kindern nicht genannt werden, "Großmutter des Widerstands" gefällt ihr schon besser.

Marianne Fritzen wurde 1924 als Tochter eines deutschen Vaters und einer elsässischen Mutter in Saarbrücken geboren. Der Vater starb, als sie wenige Monate alt war, Fritzen wuchs im Elsass und in Paris auf. Ihre deutsche Herkunft verhinderte, dass sie eine Ausbildung machen oder studieren konnte. Nach dem Krieg zog sie nach Berlin. Von zwei Jahren abgesehen, die ihr zweiter Mann beruflich in Taiwan verbrachte, lebt Marianne Fritzen seit 1957 im Wendland.

"Ämter sind mir nichts wert", sagt die langjährige Fraktionsvorsitzende der Grünen im Kreistag und ehemalige stellvertretende Bürgermeisterin von Lüchow. "Jemand anderes hätte die gleiche Arbeit auch machen können." Im Jahr 2000 gab sie aus Protest gegen den Atomkompromis ihr Parteibuch zurück: Dem grünen Umweltminister Jürgen Trittin erschien das Zwischenlager Gorleben plötzlich doch nicht mehr so gefährlich, das konnte sie nicht nach außen vertreten.

Inzwischen hat sich das Verhältnis zur Partei wieder entspannt und Marianne Fritzen freut sich, dass sie einen Preis verliehen bekommt, mit deren Namensgeberin Petra Kelly sie in der Anfangszeit der Grünen viel und gerne zusammengearbeitet hat. Die 10.000 Euro Preisgeld will sie in das 2001 gegründete Gorleben-Archiv stecken, das Flugblätter, Fotos und Filmaufnahmen der Proteste aus den vergangenen 30 Jahren sammelt und der Öffentlichkeit zur Verfügung stellt.

Dass die von den Grünen getragene Heinrich-Böll-Stiftung ihre Auszeichnung in diesem Jahr an eine Symbolfigur aus den eigenen Reihen vergibt, ist kein Zufall. Mit dem Preis möchte man - einen Tag nachdem die Bundesregierung die Laufzeitverlängerung der deutschen Atomkraftwerke beschlossen hat - stellvertretend auch die neu erstarkte Anti-AKW-Bewegung würdigen.

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