Pegida und politischer Meinungskampf:"Kein Verständnis für die Verführer"

  • Ein Symposium mit dem Titel "Grenzen im politischen Meinungskampf - Zum Umgang mit rassistischen Vorurteilen und Diskriminierungsideologien" beschäftigt sich mit Pegida.
  • Justizminister Heiko Maas findet die Ausrichtung der Bewegung "peinlich". Innenminister Thomas de Maizière zeigt Verständnis für deren Sorgen.

Von Ruth Schneeberger, Berlin

Unverhofft kommt oft: Als die Bundeszentrale für politische Bildung ihre Fachtagung über Rassismus in der Öffentlichkeit vor Monaten geplant hat, konnte sie noch nicht ahnen, wie aktuell das Thema sein würde. Dass zwischenzeitig in Bayern Flüchtlingsheime brennen und in Sachsen am Montagabend 15 000 "Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes" auf die Straße gehen. Mitten ins Herz einer so aktuellen wie hoch emotionalen Debatte stieß also unversehens das Symposium unter der Überschrift "Grenzen im politischen Meinungskampf - Zum Umgang mit rassistischen Vorurteilen und Diskriminierungsideologien" in der Nähe des Berliner Ostbahnhofs.

Juristen, Politiker, Wissenschaftler, Medienmacher und Aktivisten sollten hier eigentlich in Ruhe jene Grenzen zwischen Meinungsfreiheit und Diffamierung ausloten, um die es etwa bei der Europawahl im Mai gegangen war, als umstrittene Wahlplakate der NPD erst ab- und dann wieder aufgehängt wurden. "Mehr Geld für Oma statt für Sinti und Roma" hieß eine der Parolen der Rechtsextremisten damals.

"Vorurteile auf dem Rücken von Flüchtlingen"

Doch nun gibt es aktuellere Parolen auf deutschen Straßen und im Netz, so dass die Tagung im Zeichen von Pegida stand und die Redner ihre Vorträge noch schnell aktualisieren mussten. Für Bundesjustizminister Heiko Maas war es die Gelegenheit, noch einmal seine Abscheu gegenüber Pegida zu verdeutlichen: Er habe "kein Verständnis für die Verführer", aber auch keines für jene, die sich zu einfach verführen ließen. Und keines dafür, dass "diese Vorurteile auf dem Rücken von Flüchtlingen ausgelebt werden - in einem Land (Sachsen; Anm. d. Red.) mit einem Ausländeranteil von gerade einmal 2,2 Prozent."

Es sei absurd, dass ausgerechnet christliche Werte zur Demonstration gegen Flüchtlinge herangezogen würden, "wie armselig und peinlich ist das denn?", fragte der SPD-Politiker. Deutschland habe eine Geschichte von "trauriger Einzigartigkeit": "In keinem anderen Land sind Millionen von Menschen aus Rassenhass fabrikmäßig ermordet worden." Deshalb hätten die Väter des Grundgesetzes der Meinungsfreiheit scharfe Grenzen gesetzt, die "wenn nötig, neu justiert" werden müssten. Trotzdem sei die Unterdrückung von Meinungsfreiheit "keine Option".

Bundesinnenminister Thomas de Maizière betonte: "Es gibt keine wirkliche Gefahr der Islamisierung unseres Landes." Er warb aber erneut dafür, die Sorgen der Menschen ernst zu nehmen. Damit meine der CDU-Politiker weder die Pegida-Anführer (ausführliches Porträt), noch die Extremisten, die sich unter die Gruppe gemischt hätten, sondern die Menschen, die sich Woche für Woche an den Märschen beteiligen, und die "noch nicht verloren" seien.

Pegida gleich "Deutschland den Deutschen"?

Als Demokrat müsse man um sie werben und für demokratische Werte streiten, sagte der Bundesinnenminister, auch wenn der Ton "irritiere". Es müsse immer darum gehen, Respekt zu vermitteln. Angesichts der wachsenden Zahl von Flüchtlingen sei es legitim, Fragen zu stellen. Unter anderem die Fragen, ob Flüchtlinge Krankheiten mitbringen und die Kriminalstatistik in die Höhe treiben würden. Beides sei zu verneinen, aber diese Fragen dürften von besorgten Bürgern gestellt und müssten von der Politik beantwortet werden.

Bianca Klose von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin hielt dagegen. Pegida-Anhänger und sonstwie Homophobe, Rassisten und Minderheitenbekämpfende würden sich "als Opfer inszenieren". Gesellschaft und Politik müssten ganz genau hinsehen, was diese Leute wollten. Vielen gehe es nicht in erster Linie darum, Gehör für ihre Sorgen zu finden. "Wir wissen doch alle, was dahintersteckt", sagte Klose: keine Angst vor dem Untergang des Abendlandes, "sondern die dumpfe Parole 'Deutschland den Deutschen'."

"Verfassungsfeinde sind intelligenter geworden"

Veranstalter Thomas Krüger als Präsident der Bundeszentrale erklärte: "Grundsätzlich ist im politischen Meinungskampf Zuspitzung erlaubt - aber sie hört da auf, wo die Würde von Menschen verletzt wird." Deshalb sei es Aufgabe der politischen Bildung, Räume für das Aushandeln zivilgesellschaftlicher Konflikte zu eröffnen. Trotz der aktuellen Lage war auf der Tagung deshalb noch Platz für die längerfristige Betrachtung des Gesamtphänomens öffentlicher Rassismus, gerade mit Blick auf die deutsche Vergangenheit.

Meinungsfreiheit in Deutschland

Warum das mit der Meinungsfreiheit in Deutschland nicht so einfach sei wie etwa in den USA oder Großbritannien, machte der ehemalige Bundesverfassungsrichter Udo Di Fabio deutlich:

Das deutsche Grundgesetz sei eine "posttotalitäre Verfassung", das zwar Vertrauen in die Menschen setze, eine lebendige und offene Gesellschaft zu gestalten, aber auch denjenigen im Blick habe, der versuche, die Werteordnung der Grundrechte zu beseitigen. Deshalb gebe es deutsche Besonderheiten wie die Möglichkeit des Parteienverbots und eine Ahndung von Schmähkritik. Sobald eine persönliche Diffamierung etwa einer Minderheit festgestellt werde, trete ausnahmsweise die sonst hoch geschätzte Meinungsfreiheit hinter den Schutz der Persönlichkeitsrechte zurück. Darüber werde oft entschieden, nicht immer sei das einfach. Womöglich müssten die Grenzen noch geschärft werden.

"Die Verfassungsfeinde sind intelligenter geworden", stellte etwa der Berliner Bezirksbürgermeister Stefan Komoß aus Marzahn-Hellersdorf fest. In seinem Bezirk hatten Rechtsextremisten zuletzt nicht nur Behördenbriefe gefälscht, um Anwohner über angebliche Protestaktionen gegen Flüchtlingsunterkünfte zu aktivieren. Sondern diese neue Form des Rassismus unter dem Deckmantel besorgter Bürger finde über das Internet auch deshalb zu neuen Anhängern, weil Rechtsaktivisten sich in der digitalen Welt viel besser auskennen würden als die Behörden - und dadurch neue Schlupflöcher und Verbreitungswege fänden. Auch Pegida ist unter anderem durch soziale Netzwerke groß geworden. Komoß meint: Marzahn-Hellersdorf sei erst der Anfang, ähnlich ernstzunehmende Entwicklungen stünden noch vielen anderen deutschen Städten bevor.

"Es ist nicht einfach, nicht für Pegida zu sein"

"Es ist nicht einfach, nicht für Pegida zu sein", bestätigte solcherart Befürchtungen ein Zuhörer aus dem Publikum. Wenn er nicht selbst muslimischen Glaubens wäre, würde er sich wohl auch der Bewegung anschließen, erklärte er. Moderator Jörg Thadaeusz vom RBB gab das schnell als Frage an Lutz Tillmanns als Geschäftsführer des Deutschen Presserates weiter: Ob die Medien die blutigen Anschläge des IS in Syrien und die Berichterstattung über IS nicht übertreiben und damit unnötige Angst schüren würden? In der Tat, so Tillmanns, plädiere er für eine zurückhaltendere Berichterstattung über den IS, erklärte sie aber auch mit "Konkurrenzdruck" unter den Medien.

Abseits von IS, Pegida und Angst vor Flüchtlingsheimen erinnerte Romani Rose als Vorsitzender des Zentralrats der Sinti und Roma an die ursprünglich geplante Ausrichtung der Tagung, die er mit angestoßen hatte aus Ärger über die NPD-Wahlplakate. Mit zitternder Stimme erzählte er von seiner Großmutter, einer einst "patriotisch gesinnten" Deutschen, die von den Nazis ermordet wurde, und von seinem Großvater, der in Auschwitz dem Völkermord zum Opfer fiel. Bei ihm und vielen älteren Menschen würden nun massive Ängste wieder wach. Sie hätten das Gefühl, "vom Staat, auf dessen Schutz sie nach über 60 Jahren Demokratie glaubten vertrauen zu können, erneut im Stich gelassen zu werden".

"Die Justiz darf nicht noch einmal blind sein"

Rassistisch diskriminierende Wahlkampfpraktiken müssten mit empfindlichen Geldstrafen belegt und Parteien mit rassistischen Ideologien von Demokraten geächtet werden. Auch die Justiz dürfe "nicht noch einmal blind" sein auf diesem Auge.

Soziologin Karin Priester von der Uni Münster gab zu bedenken, dass die Politik seit Jahren dem Populismus in die Hände spiele, indem sie sich einerseits inhaltlichen Debatten mit und über populistische Parteien am rechten und linken Rand verweigere und sich andererseits an den "kleinen Mann" im Volke anbiedere, um jene Wähler nicht zu verlieren.

Überhaupt nicht anbiedernd, sondern sehr arrogant fand eine Zuhörerin das Gebaren der Politik auf dieser Tagung, und auch sie meldete sich zu Wort: Es könne doch nicht sein, dass nicht mal über die Ängste von Bürgern gesprochen werden dürfe, wenn an einer deutschen Schule "50 Prozent Ausländeranteil" herrsche. Und auch ihre Stimme zitterte vor Wut. Was unter anderem zeigt: Das Thema Pegida wird Deutschland vielleicht noch länger beschäftigen, als vielen lieb sein dürfte.

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