Es gibt eine alte Zirkusregel: Es ist immer schwierig, nach der Tiernummer aufzutreten. Was ist schon an einem Jongleur so beeindruckend, wenn man gerade einen Haufen fauchender Löwen gesehen hat? Für Hillary Clinton, die am Donnerstagabend zum Abschluss des demokratischen Wahlparteitags auftrat, gilt diese Regel nicht weniger.
Seit Tagen reden in Philadelphia die Löwen und Löwinnen: Bernie Sanders, Michelle Obama, Bill Clinton, Joe Biden, Barack Obama - allesamt erstklassige Redner, verehrt von der Partei und, da hilft kein Drumherumreden, weit beliebter bei den Wählern als Hillary Clinton. Das macht es für die demokratische Präsidentschaftskandidatin nicht leichter, die für sie bisher wichtigste Rede des Wahlkampfs zu halten.
Clintons Erfahrung gegen Trumps Gepolter
Man merkte der Rede an, dass Donald Trump die Demokraten mit seinem düsteren, fast apokalyptischen Bild von Amerika in die Ecke gedrängt hat. Die Unzufriedenheit und Verunsicherung im Land ist spürbar, sie ist für die Wahlforscher messbar, das weiß Clintons Team. Die Kandidatin konnte diese Gefühle nicht ignorieren, aber sie muss, um sich von Trump abzusetzen, andere Lösungen anbieten: Zusammenhalt statt Spaltung, Erfahrung und Gelassenheit statt Gepolter und Gepluster.
Genau das versucht Clinton in Philadelphia. "Wir wissen genau, mit was unser Land zu kämpfen hat", sagt sie. "Aber wir haben keine Angst. Wir werden die Herausforderungen annehmen, so wie wir es immer getan haben."
Auch Clinton spricht über die Bedrohung durch islamistische Terroristen. Doch Amerika müsse sich entscheiden, zusammenzustehen, sagt sie - "stronger together", vereint ist Amerika stärker. Das ist das Motto ihres gesamten Wahlkampfs. Dass sie den Republikaner-Bewerber Trump und dessen "Nur ich allein kann alle Probleme lösen"-Haltung für gefährlich und unamerikanisch hält, das macht sie in vielen Angriffen klar.
Das Glaubwürdigkeitsproblem bleibt
Wie viel am Ende von der Rede wirklich beim Wähler ankam, ist freilich völlig offen. Wenn Hillary Clinton verspricht, dass sie sich als Präsidentin endlich auch um all die Abgehängten und Vergessenen kümmern werde, um die entlassenen Stahlarbeiter und Kohlekumpel, dann klingt das doch sehr nach Wahlkampfphrasen.
Schließlich macht Clinton seit drei Jahrzehnten Politik. Nichts hätte sie gehindert, sich früher um die Verlierer der Globalisierung zu kümmern. Jetzt, wo diese Menschen in Scharen zu den Republikanern überlaufen, könnte es zu spät sein.