Parlamentswahl in Frankreich:Erst der Kampf, dann die Krise

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Die meisten Machtpositionen in Frankreich haben die Sozialisten bereits besetzt. Jetzt fehlt François Hollandes Partei nur noch ein Sieg bei der Parlamentswahl - am liebsten, ohne auf die Stimmen der radikalen Linken angewiesen zu sein. Harte aber notwendige Einschnitte für die Bevölkerung werden so oder so erst nach der Wahl folgen.

Stefan Ulrich, Paris

Im Pariser Palais Bourbon, dem Sitz der Nationalversammlung, riecht es nach Farbe und Klebstoff. Presslufthämmer lärmen durch Säle und Flure. Wenn sich Ende des Monats die neuen 577 Abgeordneten im "Hémicycle", dem halbrunden Sitzungssaal, sammeln, soll alles in frischer Pracht erstrahlen.

Francois Hollande gibt seine Stimme bei der ersten Runde der Parlamentswahlen in Frankreich ab. (Foto: dpa)

Die Sozialisten hoffen, dass es nicht nur zur äußerlichen Erneuerung der Assemblée Nationale kommt. Sie wollen bei der Parlamentswahl an den kommenden beiden Sonntagen die konservative Mehrheit ablösen und die Macht im Abgeordnetenhaus übernehmen. Damit würden sie den Triumph des Sozialisten François Hollande bei der Präsidentschaftswahl perfekt machen.

Schon jetzt hat die Partei mit der roten Rose in der Faust die meisten Machtpositionen des Landes eingenommen. Sie regiert 21 von 22 Regionen sowie in der Mehrheit der Departements und Großstädte. Sie kontrolliert mit ihren kleineren Verbündeten den Senat. Und sie hat dank Hollande nun auch noch den Élysée-Palast erobert. Um seine Wahlversprechen erfüllen zu können, braucht der neue Präsident aber auch die Nationalversammlung. Daher appelliert er an die Franzosen, ihm eine "breite, solide und in sich geschlossene Mehrheit" zu gewähren.

Die Umfragen sagen ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen den Sozialisten und der konservativen UMP-Partei des abgewählten Präsidenten Nicolas Sarkozy voraus. Beide Parteien könnten je 33 Prozent der Stimmen erhalten. Da in Frankreich das Mehrheitswahlrecht gilt, sagt dies noch nicht viel über die Sitzverteilung aus. Gewählt ist, wer am Sonntag eine absolute Mehrheit erreicht. In allen Wahlkreisen, in denen dies kein Kandidat schafft, kommt es am 17. Juni zur Stichwahl. Dabei dürfen alle Bewerber antreten, die im ersten Wahlgang mindestens 12,5 Prozent der Stimmen erlangt haben.

Viele Franzosen sind nach dem Wahlkampf politikmüde

In vielen Wahlkreisen könnte es zu sogenannten Dreiecken kommen, also zu Stichwahlen, bei denen je ein Kandidat der Sozialisten, der UMP und des rechtsradikalen Front National antritt. Das macht Prognosen schwierig. Außerdem ist die Wahlbeteiligung eine große Unbekannte.

Viele Bürger sind nach dem monatelangen Präsidentschaftswahlkampf politikmüde. Die Parlamentskampagne verlief eher flau. Dabei geht es um viel. Der Präsident der Republik hat zwar eine in Demokratien selten starke Machtposition. Er braucht die Abgeordneten aber bei der Gesetzgebung. Zudem können sie seinem Premier das Misstrauen aussprechen.

Ein Albtraum für Hollande wäre es, falls die UMP wie im Jahr 2007 die Parlamentswahl gewinnen sollte. Dann käme es zu einer Kohabitation, zu einer Zwangsehe zwischen einem Präsidenten und einem Premier aus verschiedenen politischen Lagern, die es in der Vergangenheit bereits gab. Nicht nur Hollande, sondern auch ganz Frankreich wären dann politisch gelähmt. Das wissen die Bürger.

Daher gilt es als unwahrscheinlich, dass sie der UMP zu einer Mehrheit verhelfen.

Die Meinungsforscher sagen vielmehr einen Sieg der Sozialisten voraus. Sie lassen es aber offen, wie deutlich dieser ausfällt. Optimal wäre es für Hollande, wenn seine Partei allein die absolute Mehrheit von 289 Sitzen bekommt. Wahrscheinlicher ist es allerdings, dass die Kameraden - wie die französischen Genossen heißen - auf die Unterstützung der Grünen angewiesen sein werden. Die Ökopartei hat bereits Wahlabsprachen mit den Sozialisten geschlossen und kann im Höchstfall mit zwei Dutzend Abgeordneten rechnen. Sie wird sich vor allem für die Schließung von Atomkraftwerken starkmachen.

Der französische Präsident François Hollande im Élysée-Palast. (Foto: AP)

Mit den Grünen könnte Hollande ganz gut leben. Schwieriger wird es, falls er auch auf die "Linksfront" angewiesen sein sollte, die auf mehr als 20 Abgeordnete hofft. Die Front setzt sich aus der Linkspartei und den Kommunisten zusammen. Sie wird von dem populistischen Jean-Luc Mélenchon geführt, der gegen die EU und den Euro agitiert und Frankreichs Wirtschaft protektionistisch abschotten möchte. Falls er zur Mehrheitsbildung gebraucht wird, dürfte er versuchen, Strukturreformen des Landes zu vereiteln. Frankreichs Streit mit Deutschland über die richtige Euro-Politik würde sich verschärfen.

So weit muss es nicht kommen. Der neue Präsident hat in seinen ersten Amtswochen eine ziemlich souveräne Figur gemacht. Das sollte seinen Sozialisten Punkte bringen. Hollande trat auf internationaler Bühne selbstbewusst auf und vertrat entschlossen seine Politik, sei es gegenüber US-Präsident Barack Obama, der Kanzlerin Angela Merkel oder dem russischen Präsidenten Wladimir Putin.

Innenpolitisch erfreute Hollande viele Franzosen mit sozialen Wohltaten, ohne sie fürs Erste mit nötigen, aber schmerzhaften Reformen zu verschrecken. Er nahm Sarkozys Rentenreform teilweise zurück, erhöhte Familienbeihilfen und begrenzte Mieterhöhungen. Einer Mehrheit der Bürger dürfte es zudem gefallen, dass er Topgehälter in den Staatsbetrieben deckeln möchte. François Hollandes Beliebtheitsquote liegt bei 58 Prozent. Sein Premier Jean-Marc Ayrault schneidet noch besser ab.

Die großen Herausforderungen kommen aber erst noch. Nach der Parlamentswahl wird Hollande seinen Bürgern und der ganzen EU endlich erklären müssen, wie er Jobs schaffen, Frankreichs Schulden abbauen und den Staatshaushalt bis 2017 ausgleichen möchte. Die Rechte warnt bereits vor einer Flut von Steuererhöhungen. Die linksliberale Zeitung Le Monde überschreibt ihren Leitartikel vom Freitag mit den Worten: "Defizite: die beunruhigende Verschwommenheit der Regierung." Wie auch immer die Parlamentswahl ausgeht - die Krise wird auf jeden Fall in den Palais Bourbon einziehen.

© SZ vom 09.06.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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