Paradise Papers:Klare Ansage

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"Eine Regel für die Super-Reichen und eine zweite für den Rest": Labour-Chef Jeremy Corbyn hat den Umgang von Premierministerin Theresa May und der konservativen britischen Regierung mit Steuerschlupflöchern am Montag scharf kritisiert. (Foto: dpa)

Der britische Labour-Chef Jeremy Corbyn bringt die Regierung May wegen ihrer laxen Steuerpolitik in die Defensive. Denn London bleibt bei dem Thema auffällig wolkig.

Von Cathrin Kahlweit und Alexander Mühlauer

Als Theresa May am Montagmorgen auf der Jahrestagung des mächtigen Unternehmerverbandes CBI in London spricht, bleibt sie, wie meist, sehr allgemein. Der Brexit kommt und wird eine Erfolgsgeschichte; die Regierung arbeite daran. Sexuelle Übergriffe in der Politik müssen ein Ende haben; die Regierung arbeite daran. Und Steuerflucht ist nicht in Ordnung; die Regierung arbeite daran. Konkreter mag sie auch auf Nachfrage aus dem Publikum nicht werden, das an diesem Morgen vor allem über die Schlagzeilen in allen britischen Zeitungen redet: Wird die Regierung etwas gegen Steuervermeidung tun? Wird sie eventuell ein öffentliches Register einführen, das die Besitzverhältnisse von Offshore-Firmen in britischen Steuerparadiesen wie den Virgin Islands, den Cayman Islands oder der Isle of Man offenlegt, wie es ihr Vorgänger David Cameron versprochen hatte? Kein klares Wort dazu. Stattdessen die freudige Nachricht, dass die Steuerfahndung heutzutage schon mehr Informationen habe und mehr Steuergeld sicherstelle als früher.

Die Medien im Königreich hatten am Morgen ausführliche Zusammenfassungen der Vorwürfe gegen britische Berühmtheiten, Oligarchen, Fußballvereine und die Queen gebracht. Und die Paradise Papers verdrängten auch erst einmal alle anderen Schlagzeilen. Und da kommt ja auch einiges zusammen: Das Herzogtum Lancaster, das den königlichen Haushalt verwaltet, hatte etwa 13 Millionen Dollar unter anderem auf den Caymans investiert, und außerdem eine kleinere Summe in eine übel beleumundete Firma, die überhöhte Zinsen für Haushaltskredite nimmt. Der frühere Vizechef der konservativen Partei, Lord Ashcroft, dürfte einiges Geld in Steueroasen getragen haben. Zwei Nabobs, die Geld in der Premier League investieren, sind laut Paradise Papers finanziell verquickt, was im britischen Fußballsport grundsätzlich verboten ist. Und auf der Isle of Man, einem autonomen Gebiet im Königreich, existiert ein profitables Steuervermeidungssystem, bei dem durch die Umgehung von Mehrwertsteuer vor allem mit Yachten und Flugzeugen, die auf der Insel angemeldet und dann anderswo eingesetzt und betrieben werden, schöne Profite gemacht werden.

Corbyn verlangt eine Sondereinheit nur für britische Offshore-Unternehmen

Genug Stoff also auch noch für die Abendnachrichten, aber es ist dann vor allem die Opposition, allen voran Labour-Chef Jeremy Corbyn, die sich mit einer scharfen Verurteilung der aktuellen Praxis und Vorschlägen zur Einhegung von Steuerflucht Aufmerksamkeit verschafft. Corbyn spricht nach May auf der Tagung der Confederation of British Industry CBI, und er stellt fest, dass jeder, der Geld in Steueroasen schaffe, nicht nur Ermittlungen über sich ergehen lassen, sondern sich auch entschuldigen und erkennen müsse, was er der britischen Gesellschaft antue. Minuten später melden die Nachrichtenagenturen prompt, Corbyn fordere von der Queen, sich für die Steuerpraxis ihrer Bankiers zu entschuldigen. Im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung stellt Corbyn allerdings klar, dass es ihm keinesfalls um die Queen persönlich gehe. Vielmehr müsse die Duchy of Lancaster, die den royalen Haushalt finanziert, erklären, warum sie es für nötig halte, Geld in Steueroasen zu platzieren. Zudem brauche das Land jetzt dringend eine Spezialeinheit, die sich auf britische Offshore-Firmen konzentriere.

Der Labour-Chef fordert zudem klarere Regeln für die Vergabe öffentlicher Mittel. Der Staat dürfe keine Aufträge an Firmen geben, die Steuervermeidungspraktiken anwendeten. Immerhin 200 Milliarden Pfund flössen jedes Jahr aus dem Staatshaushalt in die Wirtschaft; dies dürfe nur an "gute Arbeitgeber" gehen. Die Praxis auf der Isle of Man, den Import von Charter-Yachten und Geschäftsflugzeugen in die EU bei Rückerstattung der Mehrwertsteuer zu ermöglichen, verurteilt Corbyn scharf. Obwohl formell unabhängig, gebe es Druckmittel, um der Inselregierung klarzumachen, dass das aufhören müsse. "Die Eigentümer müssen Steuern zahlen, wenn sie ihre Schiffe und Jets außerhalb der Isle of Man nutzen. Und sie müssen Steuern auf das zahlen, was sie in das Königreich bringen."

"Wir sind schon lange keine Steueroase mehr", sagt Luxemburgs Finanzminister

In Brüssel treffen unterdessen die Finanzminister aus ganz Europa ein. Die Zukunft der Währungsunion steht auf der Tagesordnung. Doch bei der Ankunft vor dem EU-Ratsgebäude kommt kein Minister am Thema Paradise Papers vorbei. Die meisten weisen darauf hin, was seit den Lux-Leaks und den Panama Papers alles geschehen sei - der automatische Informationsaustausch, der bald in Kraft trete, die schwarze Liste der Steueroasen, die in Arbeit sei. Schon jetzt ist klar, dass viele Länder, die nun in der Kritik stehen, auf der schwarzen Liste landen werden. Nur vereinzelt kommen Worte der Selbstkritik. Am deutlichsten ist Österreichs Finanzminister Hans Jörg Schelling. Er fordert, dass auch EU-Staaten auf der Liste landen können. Sein Kollege aus Luxemburg fühlt sich offenbar angesprochen; er ist anderer Meinung. "Das würde heißen, dass Mitgliedsstaaten nicht konform mit dem EU-Recht seien - und das sind wir doch alle", sagt Pierre Gramegna. Europa habe viel getan, auch das Großherzogtum.

"Wir sind schon lange keine Steueroase mehr." Doch das sehen einige der Minister anders. Denn gerade Luxemburg, die Niederlande, Malta und Irland haben sich immer wieder gegen Vorschläge der EU-Kommission gestellt, die Steuervermeidungstricks unterbinden sollen. Peter Altmaier, als Nachfolger Wolfgang Schäubles zum ersten Mal in Brüssel, verspricht immerhin: "Wir werden die neuen Dokumente klar prüfen." Möglicherweise ergebe sich Handlungsbedarf auf EU-Ebene, sagt der geschäftsführende Finanzminister.

So mancher in Brüssel erinnert sich an eine Äußerung des britischen Schatzkanzlers Philip Hammond von Anfang des Jahres. Schließe die EU keinen Handelsvertrag mit London ab, könnte das Land die Steuern drastisch senken, hatte er damals gesagt. Das würde die Nachteile für britische Unternehmen ausgleichen - und neue Firmen anlocken. So könnte es also aussehen, das britische Geschäftsmodell nach dem Brexit. Die EU will das um jeden Preis verhindern. So viel Einigkeit besteht dann doch an diesem Montag.

© SZ vom 07.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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