Online-Strategien für Bundestagswahlkampf:Obamas Rezepte sind schwer zu kopieren

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Die Obama-Figur "Julia" wirbt jetzt auch für Peer Steinbrück und die SPD. (Foto: Quelle: SPD/barackobama.com)

Viele Daten, viel Social Media und vor allem viel, viel Geld: So hat sich Obama 2012 den Wahlsieg gesichert. Deutsche Parteien blicken traditionell in die USA, um sich Inspirationen für ihren Wahlkampf zu holen. Die meisten Tricks lassen sich zwar nicht auf Merkel und Steinbrück übertragen - lernen können die Deutschen trotzdem etwas.

Von Matthias Kolb

Es war der teuerste Wahlkampf aller Zeiten. Im Kampf um das Weiße Haus gaben Amtsinhaber Barack Obama und Herausforderer Mitt Romney jeweils eine Milliarde Dollar aus. Das alle vier Jahre stattfindende Spektakel "Amerika wählt seinen Präsidenten" fasziniert weltweit: Über Monate hinweg feilen hochbezahlte Experten am Image der Kandidaten, die Parteitage gleichen großen Inszenierungen voller prächtiger Bilder und in den TV-Duellen attackieren sich die Politiker aufs Schärfste.

Hinter den Kulissen tüfteln Berater an der richtigen Strategie und hochbezahlte Nerds wie Harper Reed programmieren die entscheidenden Werkzeuge. Neben seinem Charisma half Obama vor allem der perfekte Einsatz moderner Technik. Auch der Umgang mit Facebook und Twitter zeigte, wie gut sein Team die Online-Welt mit der Offline-Welt verknüpfte.

Im Vergleich dazu wirkt der Bundestagswahlkampf ziemlich fade. Dabei sind diverse Berater und Mitarbeiter der Parteien über den Atlantik geflogen, um sich einige Tricks abzuschauen. Je näher der Wahltermin rückt, desto öfter touren Experten wie Obama-Stratege Michael Slaby durch Deutschland. Ein genauer Blick zeigt jedoch, wie groß die Unterschiede zwischen beiden Ländern sind - und wieso sich Obamas Erfolgsrezepte nicht einfach auf Deutschland übertragen lassen.

Wahlsysteme prägen Strategie. Bei Amerikas Präsidentschaftswahl dreht sich alles um eine Zahl: 270. So viele Stimmen benötigt der Kandidat für die Mehrheit im electoral college. Jeder der 50 Bundesstaaten schickt entsprechend seiner Größe eine Anzahl von Wahlmännern in dieses Gremium. Also setzen die Parteien alles daran, dass ihr Kandidat dort vorne liegt, wo der Sieger nicht bereits feststeht (Kalifornien und New York sind demokratische Hochburgen, Texas und Alabama von den Republikanern dominiert). In swing states wie Ohio, Florida, Virginia oder Wisconsin werden viele Millionen Dollar investiert und hier waren die meisten der 2,5 Millionen freiwilligen Obama-Helfern aktiv, um Anhänger zu mobilisieren und Unentschlossene zu überzeugen. Gezielt wird um Stimmen von Afroamerikanern oder Latinos geworben, um sich den nötigen Vorsprung zu sichern. Der Versuch, Anhänger der gegnerischen Partei umzustimmen, gilt als Zeitverschwendung.

Hierzulande ist es undenkbar, dass die Spitzenkandidaten nur in einem Fünftel der Bundesländer auftreten, Betriebe besuchen und mit Bürgern diskutieren - und ihre Werbebotschaften und -videos auf Kleinstgruppen zuschneiden. Das Wahlsystem mit Landeslisten und Direktkandidaten dämmt eine allzu großen Personalisierung ein: Die Namen Steinbrück und Merkel sind nur in jeweils einem der 299 deutschen Stimmkreise zu lesen.

Soziale Medien sind in Deutschland weniger verbreitet. Facebook und der Kurznachrichtendienst Twitter sind weltweit wichtige Werkzeuge im Wahlkampf. Die Trends in Deutschland und den USA sind ähnlich: Facebook-Nutzer werden immer älter, während Twitter noch längst kein Massenmedium ist.

Allerdings sind die Amerikaner aktiver: 61 Prozent von ihnen haben einen Account bei Facebook, während der Wert in Deutschland nur bei etwas mehr als einem Drittel liegt. Jeder sechste Amerikaner nutzt Twitter, in Deutschland sind es nur sechs Prozent.

Laut einer aktuellen Umfrage wollen sich 60 Prozent der Deutschen online über den Bundestagswahlkampf informieren - ein Anstieg um immerhin 15 Prozentpunkte. All diese Zahlen zeigen, dass die deutschen Parteien weniger Wähler online und über die sozialen Netzwerke erreichen können. Noch deutlicher ist der direkte Vergleich: Bundeskanzlerin Angela Merkel hat bei Facebook derzeit knapp 280.000 Freunde, während Obama dort auf fast 36 Millionen Sympathisanten kommt - und die Texte und Fotos, die er und sein Team bei Twitter posten, lesen 32 Millionen Menschen.

Ähnlich sieht es beim politischen Personal aus. Während in den USA Berater und Politiker auf Twitter rund um die Uhr um den richtigen spin ringen und Journalisten den Dienst zur Verbreitung ihrer Texte und Meinungen nutzen, setzen in Deutschland zwar immer mehr, aber längst nicht alle Medien-Menschen 140-Zeichen-Botschaften ab. Von Ministern und Abgeordneten ganz zu schweigen.

Wahlkampf ist in Deutschland kein Milliarden-Business. Es begann bereits am 7. November 2012: Einen Tag nach Obamas Wiederwahl wurde darüber debattiert, wer 2016 für das Weiße Haus kandidieren könnte. Bisher gilt Ex-Außenministerin Hillary Clinton als Favoritin, doch auch Dutzende Gouverneure, Senatoren und Abgeordnete träumen vom Weißen Haus - oder einer der in Washington D.C. zahlreich vertretenen Polit-Berater redet ihnen ein, wie gut ihre Chancen angeblich sind.

Rund um die US-Hauptstadt haben sich unzählige PR-Berater, Umfrageinstitute, Rechercheure, Social-Media-Experten und Agenturen angesiedelt. Sie buhlen um Aufträge der Parteien und der ehrgeizigen Politiker - und um deren dicke Budgets. Wahlkampf ist ein Riesen-Geschäft in Amerika. Eine Pannen-Serie, wie sie Peer Steinbrück von seiner Kür über den Peerblog bis zur jüngsten Sprecher-Rochade hinlegt, ist im minutiös geplanten US-Präsidentschaftswahlkampf schwer vorstellbar. Dort werden alle Kandidaten für die Vizepräsidentschaft und Ministerämter samt ihren Familien peinlichst genau überprüft - inklusive Finanzstatus und Jugendsünden.

Anders als in Deutschland, wo nur einige Wochen intensiv um Stimmen geworben wird, gleichen die Wahlkämpfe in Amerika einem Dauer-Bombardement mit Werbespots und Anrufen und dauern auch viel länger. Spätestens Anfang 2015 legen sich alle Kandidaten fest. Doch diese Professionalität hat ihren Preis. Während hierzulande die Mitgliedsbeiträge und das Geld aus der Parteienfinanzierung die wichtigste Einnahmequelle von SPD, Union, FDP, Grünen und Linken sind, muss ein ehrgeiziger Politiker in den USA in möglichst kurzer Zeit möglichst viele Spenden einsammeln. Mehr als die Hälfte ihrer Zeit verbringen Abgeordnete und Kandidaten damit, ihre Kriegskasse zu füllen.

Das deutsche Recht ist strikter. Die Debatte nach der Enthüllung des Datenspähprogramms Prism hat es erneut gezeigt: Deutsche und Amerikaner haben ein sehr unterschiedliches Verständnis von Datenschutz und Privatsphäre. In den USA investieren die Wahlkampfmanager Millionenbeträge für den Zugang zu jenen Datenbanken, die bis zu 500 Informationsschnipsel über jeden Bürger bereitstellen. Eine 20-Jährige liest in ihrer E-Mail andere Argumente über den Zweck des Krankenversicherungsprogramms Obamacare als ihre eigene Mutter. Dieser Umgang mit Daten ist in Westeuropa undenkbar. Schon vor der Enthüllung um Prism und Tempora war der einzelne Wähler hier alles andere als "gläsern". Die eigene Automarke, Lieblingsbier und Zeitschriftenabos bleiben verborgen.

Als Obama-Berater Michael Slaby in München über seine Erfolge sprach, fragte er nach den Rahmenbedingungen für deutsche Wahlkämpfer. Eigene Parteimitglieder dürfe man anrufen, berichtete ein CSU-Mann. "Viele sind bereit zum Engagement, doch wenn wir jemand kontaktieren, der bereits ausgetreten ist oder nicht zu uns gehört, dann wird schon mal mit dem Anwalt gedroht."

Slaby schaute etwas mitleidig, als er seine Lage schilderte: "Für Wahlkämpfer gelten die 'Hausieren verboten'-Schilder nicht. Der Bürger kann sich auf eine Liste setzen, die Werbeanrufe von Firmen untersagt - doch Politiker dürfen alle kontaktieren." Auch das Wahlregister ist öffentlich zugänglich, so dass jeder nachsehen kann, wer sich als Parteimitglied eingetragen hat und bei welchen Abstimmungen er teilgenommen hat.

Was lässt sich übertragen. Dennoch gibt es einige Erfahrungen aus Amerika, die Mitarbeiter deutscher Parteizentralen übernehmen oder beherzigen können. Ein wichtiger Erfolgsfaktor für das Obama-Team war das ständige Testen. Vor allem aus den Reaktionen auf E-Mails lässt sich herausfiltern, welche Themen wichtig sind oder welche Assoziationen Begriffe auslösen. Sich rein auf Erfahrung und das Bauchgefühl zu verlassen, reicht längst nicht mehr aus.

Auch der Umgang mit Twitter, Facebook, Instagram und Pinterest ist in Amerika sehr viel natürlicher als hierzulande. Es sind schlicht weitere Kanäle, um die eigene Botschaft zu verbreiten und für die Ideen und Überzeugungen der Partei und der Kandidaten zu werben. Eine pseudo-coole Sprache oder die Auslagerung der Online-Aktivitäten aus der Wahlkampfzentrale ist ebenso altmodisch wie falsch.

Wenn sich 2013 in Deutschland die Erkenntnis durchsetzt, dass das Internet keine Spielerei mehr ist und so längst nicht nur angeblich desinteressierte Jungwähler zu erreichen sind, wäre schon viel erreicht. Allerdings drängt sich der Eindruck auf, den SZ.de-Korrespondent Michael König in seiner Analyse der Aktivitäten der deutschen Parteien bestätigt, dass Online-Wahlkampf eher der "Bespaßung der eigenen Leute" dient. So werden Chancen verpasst - und der Bundestagswahlkampf bleibt unnötig langweilig.

Linktipp: Einer der besten Kenner der Rolle digitaler Technik in Wahlkämpfen ist der Journalist Sasha Issenberg, Autor des Buchs "The Victory Lab". Einen exzellenten Überblick bietet Issenbergs Essay für die MIT Technology Review. Adrian Rosenthal hat in diesem Blogbeitrag prägnant zusammengefasst, wie auf der "Personal Democracy Forum"-Konferenz in New York über Wahlkampf und Big Data debattiert wurde.

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