Obama und die Bush-Regierung:Die leere Anklagebank

Heikles juristisches Erbe: Der künftige US-Präsident Barack Obama muss über eine Strafverfolgung seiner Vorgänger entscheiden. Mögliche Angeklagte sind George W. Bush und Donald Rumsfeld.

Wolfgang Kaleck

Der scheidende amerikanische Präsident hinterlässt seinem Nachfolger nicht nur innen- und außenpolitische Probleme, sondern zugleich ein heikles juristisches Erbe. Bereits im Wahlkampf wurde die Frage debattiert, wie sich eine Regierung Obama zur möglichen Strafverfolgung von Angehörigen der Bush-Regierung wegen der Folterung von Terrorismusverdächtigen verhalten würde.

Obama und die Bush-Regierung: Der leere Sitz der USA beim Internationalen Strafgerichtshof der Vereinten Nationen (Archivbild von 2002)

Der leere Sitz der USA beim Internationalen Strafgerichtshof der Vereinten Nationen (Archivbild von 2002)

(Foto: AP)

Barack Obama äußerte im April 2008, er wolle nach einer Untersuchung der Vorgänge durch seinen Justizminister herausfinden, ob es sich nur um dumme Politik handele oder um Politik, die den Grad krimineller Handlungen erreiche. In seinem jüngsten Interview mit dem Fernsehsender ABC stellte er klar, dass er in nationalen Sicherheitsfragen eher nach vorne schauen wolle als in die Vergangenheit. Aber wenn jemand offenkundig das Recht gebrochen habe, stünde niemand über dem Gesetz.

Unabhängig von dem weiteren Vorgehen der Obama-Regierung markieren die breite öffentliche Debatte und Obamas bisherige Kommentare eine Zäsur: Erstmals in der US-Geschichte wird ernsthaft politisch und juristisch diskutiert, ob ein abtretender Präsident und seine Regierung Folterstraftaten begangen haben und Einzelne dafür strafverfolgt werden sollen. Dies ist bemerkenswert.

Denn zwar begann die Geschichte des Völkerstrafrechts bei den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen mit dem großen Versprechen des amerikanischen Chefanklägers Robert Jackson im Eröffnungsplädoyer vom 21. November 1945, dass "wir ... nur dann in der Lage" sind, "Tyrannei, Gewalt und Aggression durch die jeweiligen Machthaber gegen ihr eigenes Volk zu beseitigen, wenn wir alle Menschen gleichermaßen dem Recht unterwerfbar machen".

Doch blieb das Versprechen uneingelöst: In der gesamten Welt wurden während der Nachkriegszeit jahrzehntelang Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen, ohne dass eine Strafverfolgung einzelner Verantwortlicher ernsthaft erwogen, geschweige denn durchgesetzt wurde.

Dies gilt auch und gerade für die in Nürnberg zu Gericht sitzenden westlichen Siegermächte, deren massenhafte Verbrechen im Algerienkrieg (Frankreich), im Vietnamkrieg und den schmutzigen Kriegen im Latein- und Mittelamerika der siebziger und achtziger Jahre nur bruchstückhaft juristisch aufgearbeitet wurden.

Die Luft für mordende und folternde Machthaber wurde in den neunziger Jahren dünner - mit der Etablierung der UN-Sondertribunale für Ruanda und Jugoslawien, später den gemischt national-internationalen Tribunalen für Sierra Leone und Kambodscha und schließlich dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag (2002) nahm die internationale Verfolgung von Völkerstraftaten Formen an. Von der Unterwerfung aller unter das Gesetz kann aber noch nicht die Rede sein.

Die Strafverfolgung blieb bisher selektiv gegen Täter aus schwachen Staaten des Osten und Südens gerichtet. Doch begannen Menschenrechtsorganisationen, der Willkür entgegenzuwirken, indem sie für "Universelle Jurisdiktion" plädierten und - beginnend mit dem spektakulären Pinochet-Prozess - in einzelnen Ländern Europas nationale Strafverfahren initiierten.

Die leere Anklagebank

Dies führte vor allem in Spanien und Belgien, aber auch in Frankreich, den Niederlanden, Großbritannien und Deutschland zu über fünfzig Ermittlungsverfahren zu Verbrechen in Lateinamerika (Argentinien, Chile, Guatemala), Israel (Massaker von Sabra und Shatila), China, USA, Russland, Jugoslawien und afrikanischen Ländern. Die ohnehin geringe Zahl von Verurteilungen betraf jedoch keinen Angehörigen mächtiger Staaten.

Die Bush-Regierung machte seit ihrem Amtsantritt deutlich, dass sie sich internationalen Strafverfolgungsmechanismen nicht zu unterwerfen gedenke, und zog die von der Regierung Clinton geleistete Unterschrift unter das Rom-Statut zum Internationalen Strafgerichtshof zurück. Mehr noch: Die Anschläge vom 11. September 2001 wurden vor allem von Dick Cheney, seinem Chefjuristen Addington, John Yoo und anderen benutzt, um ihre lang gehegte Theorie von den unbeschränkten Befugnissen des Präsidenten in Kriegszeiten in die Realität umzusetzen.

In der Folge wurden ganze Personengruppen (als Terroristen, feindliche Kämpfer etc.) aus dem Bereich bürgerlicher und menschenrechtlicher Schutzsysteme ausgeschlossen - von Guantanamo bis zu Abu Ghraib und den CIA-Entführungsflügen. Regierungsamtliche Untersuchungen durch Politiker (wie den früheren Verteidigungsminister James Schlesinger), Militärs (Fay/Jones-Report, Taguba-Report) und zuletzt der Kongressbericht von McCain und Levin belegten schon zur Amtszeit der Bush-Regierung das systemische Ausmaß der Folterungen sowie die Beteiligung des Nationalen Sicherheitskabinetts, insbesondere von Dick Cheney, Donald Rumsfeld und ihren Juristen.

Nach der Veröffentlichung der Abu-Ghraib-Folter-Fotos und den ersten Untersuchungsberichten favorisierten einige Gruppen der US-Bürgerrechtsszene die Einrichtung von Untersuchungsausschüssen im Kongress, andere zogen mit Schadenersatzforderungen gegen verantwortliche Politiker vor Zivilgerichte und scheiterten. Das Center for Constitutional Rights (CCR), das vor allem die Vertretung der Guantanamo-Inhaftierten durch 500 Anwälte koordiniert, zog aus den anhaltenden Misserfolgen vor US-Gerichten die Konsequenz und reichte im November 2004 im Namen von Abu-Ghraib-Opfern in Deutschland nach dem deutschen Völkerstrafrecht eine erste Strafanzeige gegen den damals noch amtierenden Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und andere ein.

Viele Kommentatoren sahen von vornherein keine ernsthaften Erfolgschancen für die Strafanzeige. Dann wurde sie vom Pentagon und Rumsfeld selbst öffentlich wie mit diplomatischen Mitteln attackiert. Rumsfeld kündigte an, er werde nicht mehr nach Deutschland einreisen, solange das Verfahren nicht abgeschlossen sei. Die Tatsachenschilderungen und die rechtlichen Bewertungen der Strafanzeige selbst wurden nicht in Frage gestellt. Es ging ausschließlich um die Frage, ob deutsche Strafverfolger sich mit Vorwürfen gegen Angehörige einer befreundeten westlichen Regierung befassen dürften.

Die leere Anklagebank

Die zuständige Bundesanwaltschaft zog sich im Februar 2005 mit einer Entscheidung aus der Affäre, wonach "keine Anhaltspunkte" bestünden, dass die Behörden und Gerichte in den Vereinigten Staaten selbst von strafrechtlichen Maßnahmen Abstand nähmen. Als sich dann in den Jahren 2005 und 2006, zeigte, dass die militärischen und politischen Spitzen, nicht zuletzt durch die Selbstamnestie im "Military Commissions Act", für die Verbrechen in Abu Ghraib und anderswo straffrei bleiben würden, wurde, nun mit weltweiter Unterstützung von Nichtregierungsorganisationen, eine weitere Strafanzeige eingereicht.

Deren erneute Ablehnung durch die Bundesanwaltschaft liegt derzeit dem Oberlandesgericht Frankfurt zur Entscheidung vor. Die Diskussion über die Durchsetzung des Völkerstrafrechtes gegenüber mächtigen Tatverdächtigen hält an.

Das "Weltrechtsprinzip" erlaubt es Staaten, Kriegsverbrecher strafrechtlich zu verfolgen, unabhängig davon, wo die Straftat begangen wurde. Darauf berief sich das Vorhaben, ein Strafverfahren gegen Rumsfeld in Deutschland zu initiieren, solange Ermittlungen in den USA politisch nicht möglich waren. Zur Zeit diskutieren US-Juristen und Bürgerrechtlern erneut, wie und durch wen die Menschenrechtsverletzungen der Bush-Regierung im Antiterrorkampf umfassend ermittelt und gegebenenfalls strafverfolgt werden.

Während die einen lediglich Wahrheitskommissionen und Kongressausschüsse für politisch durchsetzbar halten, fordern zahlreiche Juristen, aber auch der Ökonom und Nobelpreisträger Paul Krugman strafrechtliche Ermittlungen. Welcher Ansatz sich durchsetzen wird, hängt nicht nur vom neuen Präsidenten Barack Obama ab. Entscheidend wird sein, ob sich in den Vereinigten Staaten eine gesellschaftliche Übereinkunft über das Verhältnis von nationaler Sicherheit und Menschenrechten erzielen lässt. Diese Frage ist nicht darauf zu reduzieren, ob sich Bush und Rumsfeld irgendwann auf einer Anklagebank wiederfinden werden.

Schon jetzt wird - trotz politischer Hindernisse auch in Europa - sowohl die Aufklärung als auch die Sanktionierung von Straftaten im Anti-Terror-Kampf betrieben. Es gibt die detaillierten Berichte des Europarates, in Italien stehen in Abwesenheit CIA-Agenten vor Gericht, die mit Haftbefehlen gesucht und verdächtigt werden, an der Entführung verdächtiger Personen und Verbringung in Drittländer wie Afghanistan und Ägypten mitgewirkt zu haben. In Spanien laufen umfangreiche Ermittlungen zu den CIA-Entführungsflügen, in Polen zu den dort betriebenen CIA-Geheimgefängnissen.

Zu diesen und zu zukünftigen Strafverfahren, die eröffnet werden könnten, wenn ehemalige, der Folter verdächtige Regierungsfunktionäre nach Europa reisen, wird sich die Obama-Regierung verhalten müssen. In und außerhalb der Vereinigten Staaten stellt sich die Frage der Entschädigung für Opfer von Menschenrechtsverletzungen.

Die neue Regierung wird zu den bereits laufenden Schadenersatzprozessen gegen Mitglieder der alten Administration und gegen private Sicherheitsfirmen Position zu beziehen haben. Die internationalen Menschenrechtsorganisationen werden weiterhin auf allen politischen und juristischen Ebenen dafür arbeiten, dass das absolute Folterverbot garantiert wird.

Der Autor ist Rechtsanwalt und Generalsekretär des European Center for Constitutional and Human Rights in Berlin. Er erstattete 2004 und 2006 in Zusammenarbeit mit dem Center for Constitutional Rights in New York die deutschen Strafanzeigen wegen Kriegsverbrechen und Folter gegen den damaligen US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, den damaligen CIA-Chef George Tenet und weitere Mitglieder der amerikanischen Regierung und Streitkräfte.

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