Neue Bürgermeisterin von Paris:Die "Concierge" sagt, wo es lang geht

France's newly elected Socialist Paris mayor Hidalgo poses after the Paris council elected her into the post, in Paris

Die Sozialistin Anne Hidalgo nach ihrer Ernennung zur Bürgermeisterin von Paris.

(Foto: REUTERS)

Ihr Lehrer riet ihr trotz guter Noten vom Studium ab, weil ihre Eltern arme Zuwanderer waren. Die Konkurrentin im Wahlkampf verspottete sie als "Concierge". Seit diesem Samstag ist die gebürtige Spanierin Anne Hidalgo Bürgermeisterin von Paris - als erste Frau überhaupt.

Von Christian Wernicke, Paris

Der Moment ihres Triumphes verrät einiges über Anne Hidalgo. Es geschah am vergangenen Sonntag, an jenem Schicksalsabend, da Frankreichs Sozialisten überall im Land für die Politik von François Hollande abgestraft und aus ihren Rathäusern verjagt wurden. Da sitzt Hidalgo, die 54-jährige Kandidatin für das Bürgermeisteramt von Paris, in ihrem Büro, und starrt nervös und mit müden Augen auf den Fernseher.

Als die Reporter den Sieg der Linken in der Hauptstadt vermelden, bricht überall um sie herum Jubel aus. Und Hidalgo? Kein Laut, sie ist wie versteinert. Dann steht sie auf, schüttelt wieder und wieder ihre rechte Hand aus, als habe sie sich soeben verbrannt. Und als scheue sie wie eine heiße Kartoffel, was nun auf sie zukommt - den Griff nach der Macht im größten und wohl schönsten Rathaus Europas.

An diesem Samstag hat der Stadtrat von Paris Anne Hidalgo ins Amt gehoben. Ein historischer Akt, schließlich ist Hidalgo - eine bekennende Feministin - die erste Frau in der Geschichte von Paris, die in das 155 Quadratmeter große Amtszimmer im Hôtel de Ville an der Seine einzieht.

Ein Sprungbrett, das sie gar nicht braucht

Sie kennt jeden Winkel in dem riesigen Neorenaissance-Gebäude: 13 lange Jahre hat sie dort bereits als Stellvertreterin von Bertrand Delanoë gedient, ihrem Vorgänger und politischen Ziehvater. Der Posten gilt als Sprungbrett, um national Karriere zu machen und - wie einst Jacques Chirac - gar Präsident zu werden. Hidalgo hat keine solchen Allüren. Bürgermeisterin von Paris zu sein, beteuerte sie im Wahlkampf, "das ist mein Traumjob".

Und doch wirkt Hidalgo dieser Tage bisweilen merkwürdig bedrückt. So, als überfordere diese leise, scheue Frau mit den dunklen Augen die Verantwortung, die Hauptstadt und ihre immerhin 55 000 Angestellten zu lenken. Die frühere Arbeitsinspektorin hat Charme, aber kein Charisma. Vollmundige Volksreden sind nicht ihre Sache. Bei ihrem größten Wahlkampfauftritt im März, vor 2000 Genossen im Pariser Cirque d'hiver, las sie jeden Satz vom Manuskript ab: Angefangen mit den drei Dutzend "Merci", mit denen sie sich vor jedem Mitkämpfer im Saal verbeugte, bis zur letzten Zeile.

Ein Hauch von Barack Obama

Hidalgo pflegt stille Tugenden. Mitarbeiter wie Anhänger schwärmen von ihrem Talent, im kleinen Kreis zu agieren: zuhören, verstehen, verhandeln. Sie schmiedet Kompromisse, setzt sich am Ende durch. Unendliche 19 Monate lang währte ihre Kampagne. "Sie hat Stein auf Stein gesetzt", sagt ein parteiinterner Konkurrent anerkennend, "sie ist zielstrebig, zäh, sie rackert unermüdlich."

Eine der größten Stärken der Mutter von drei Kindern ist, dass ihre Gegner sie unterschätzen. Genau diesen Fehler beging auch Nathalie Kosciusko-Morizet, genannt NKM, Hidalgos konservative Herausforderin. Die 14 Jahre jüngere UMP-Politikerin hatte vielleicht das schillerndere Programm, und ganz sicher das größere Ego. Verloren hat sie dennoch.

Hidalgo hat den Parisern keine Sensationen versprochen. Sie will weitermachen, wo ihr Pate Delanoë jetzt aufhört: Mehr Sozialwohnungen und Kinderkrippen will sie bauen, mehr Bäume pflanzen, das Verkehrschaos mit autofreien Zonen und durch immer mehr Leih-Fahrräder, Elektro-Mietwagen und demnächst auch E-Scooter eindämmen. Hidalgo verheißt minimale Verbesserungen für die kleinen Leute, eine große Vision für die Weltstadt fehlt ihr. Viele der 2,2 Millionen Pariser plagt längst die Sorge, im Schatten von Louvre und Eiffelturm in einer Art Freiluftmuseum zu leben - in einer Kulissenstadt voller Denkmäler und Patina, die für Normalverdiener unerschwinglich wird.

Hidalgo hat dennoch gewonnen. Das lag auch daran, dass ihr Wahlkampf moderner war als die Kandidatin selbst. Ihre Slogans ("Ein Paris, das sich traut" oder "Wir sind Paris") umwaberte ein Hauch von Barack Obama, und in der Kampagnenzentrale agierten junge Profis wie Clémence Pène, die 2008 und 2012 beim US-Idol in die PR-Schule gegangen war. Hidalgos Truppe verfügte über mehr Daten, mehr Infos und die bessere Software. "Wir haben zwar keinen Obama gehabt", sagt Pène lächelnd, "aber wir haben mit amerikanischen Mitteln einen sehr französischen Wahlkampf gemacht."

Hidalgo hat sich durchgebissen. So wie immer. Als kleine "Ana" war sie vor einem halben Jahrhundert aus Spanien mit ihren Eltern nach Frankreich gekommen, aufgewachsen ist sie in einer elenden Vorstadt von Lyon. Sie reüssierte an der Schule, doch der Lehrer riet vom Studium ab - wegen "der sozialen Distanz", die sie als Zuwandererin niemals überwinden werde.

Ähnlich herablassend hatte geklungen, was vor einem Jahr die konservative Konkurrenz über Hidalgo verbreitete: dass der Kampf um Paris ein Duell sei zwischen "einem Star" (NKM) und "einer Concierge". Hidalgo hat den Fauxpas der Gegnerin für sich genutzt, sogar bei öffentlichen Reden. Da erntete eine Zeile stets den meisten Beifall, und Hidalgo sprach sie frank und frei: "Ich weiß, dass im Alltag von Paris die Concierges die wahren Stars sind."

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