Neda ist "Person des Jahres":"Sie ist nicht umsonst gestorben"

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Die Zeitung The Times hat die im Juni ermordete Iranerin Neda zur "Person des Jahres" gekürt. Die Studentin wurde zur Ikone des Protests - und inspiriert Demonstranten bis heute.

Die britische Zeitung The Times hat die bei den Protesten in Iran erschossene Studentin Neda Agha-Soltan zur "Person des Jahres" gekürt. Die 26-Jährige sei zum "weltweiten Symbol des Widerstands gegen die Tyrannei" geworden, erklärte die Zeitung auf ihrer Titelseite. Die junge Studentin habe sich den Protesten im Juni angeschlossen aus Wut darüber, "wie das Regime die Präsidentschaftswahl stahl", hieß es in dem Artikel weiter.

In vielen Städten der Welt - wie hier in Paris - protestierten Menschen gegen das Teheraner Regime und erinnerten an die verstorbene Neda Soltani. (Foto: Foto: AP)

Dabei sei Neda eigentlich kein politischer Mensch gewesen, heißt es in dem Zeitungsartikel. Ihrem Verlobten sagte sie vorher: "Selbst wenn sie mir eine Kugel ins Herz schießen, ist das nicht wichtig.Wir kämpfen für etwas, das wichtiger ist. Niemand sollte zögern, wenn es darum geht, für unsere gestohlene Rechte zu kämpfen, denn jeder ist verantwortlich. Jeder Mensch hinterlässt einen Fußabdruck auf der Welt." Ihr eigener Fußabdruck - oder besser gesagt ihr Erbe - sollte enorme Auswirkungen haben.

Im Internet kursierende Bilder der sterbenden jungen Frau machten weltweit rasch die Runde und zerstörten "die letzten Reste von Legitimität des Regimes", wie es in der Begründung der Times heißt. Durch ihr Schicksal wurde der Widerstand der Opposition "in einer Region angefacht, deren Menschen sich nur zu leicht einschüchtern lassen". Immer wieder waren Aufnahmen zu sehen, auf denen iranische Demonstranten Bilder der jungen Studentin hochhalten. Auf Websiten wie Youtube und Facebook gibt es zahlreiche Videos und Gruppen, die an Neda erinnern.

Im Ausland protestierten Menschen vor den iranischen Botschaften mit Bildern der Studentin oder mit T-Shirts, auf denen zu lesen war: "NEDA: Nothing Except Democracy acceptable". Nichts anderes als Demokratie werde man akzeptieren - um diese Botschaft ging es. Der Sohn des Schah erklärte, er trage ein Porträtbild Nedas in seinem Portemonnaie.

Das Regime in Teheran versucht mit aller Macht, die Angehörigen und Freunde der 26-Jährigen einzuschüchtern oder große Trauerfeiern zu verhindern. Immer wieder gaben Offizielle an, der Tod sei von westlichen Geheimdiensten inszeniert worden, um Irans Führung zu diskreditieren. Dem BBC-Korrespondenten Jon Leyne wurde vorgeworfen, er habe die Ermordung arrangiert, um an gute Bilder zu kommen.

Als das Queen's College in Oxford das Stipendiumprogramm " Neda Agha-Soltan Graduate Scholarship" einrichtete, protestierte das Regime ebenfalls. Zudem spielen im schiitischen Islam Märtyrer eine wichtige Rolle.

Im November konnte Nedas Mutter dem US-Sender CNN ein Interview geben. Sie hat die letzten Sekunden ihrer Tochter, die mit ihrem Musiklehrer zur Protestdemo gegangen war, rekonstruiert: "Es waren nur noch 26 Schritte bis zu ihrem Auto."

Es ist wahrlich nicht verwunderlich, dass Neda so schnell zum Gesicht der Opposition wurde - die Times vergleicht ihr ikonengleiches Bild etwas mit dem jungen Mann, der sich 1989 auf dem Platz des himmlischen Friedens in Peking den Panzern entgegen stellte. Die 26-Jährige war jung und hübsch, sie trug Make-Up unter ihrem Schleier und eine Jeans unter dem Mantel - und liebte es zu reisen. Jeder konnte in ihr etwas erkennen, was ihn faszinierte und dem eigenen Leben ähnlich war.

Nicht nur die Redaktion der englischen Tageszeitung ist sich sicher, dass Neda nicht umsonst gestorben sei: Der Protest gegen das Teheraner Regime wird auch 2010 weiter gehen. Viele Iraner haben sich die Studentin zum Vorbild genommen - weil sie wissen, dass ein einzelner Mensch viel verändern kann.

Sicherheitskräfte gehen Demonstranten vor

Zudem wurde am heutigen Samstag bekannt, dass es bei Protesten in Iran erneut zu schweren Zusammenstößen zwischen Regierungskritikern und der Polizei gekommen sei. Nach Angaben der oppositionellen Internetseite Jaras gingen die Sicherheitskräfte in Teheran massiv gegen Demonstranten vor, die eine traditionelle Trauerkundgebung nutzten, um Präsident Mahmud Ahmadinedschad und dessen umstrittene Wiederwahl im Juni erneut öffentlich zu kritisieren.

"Die Polizei setzt Tränengas ein, um die Menschenmenge auf dem Imam Hossein Platz aufzulösen", berichtete die Website. "Doch die Leute halten Stand und skandieren Parolen gegen die Regierung." Die Sicherheitskräfte würden auch Fensterscheiben von Fahrzeugen einschlagen, die an der Menschenmenge nur vorbeifahren wollten. Hunderte Sondereinsatzkräfte der Polizei seien vor Ort, um gegen die Anhänger der Opposition vorzugehen.

Die Angaben der regierungskritischen Internetseite konnten nicht von unabhängiger Seite überprüft werden, weil die iranischen Behörden ausländischen Journalisten die Berichterstattung über Kundgebungen verboten haben.

In Iran haben sich die Spannungen zwischen Opposition und Regierung zuletzt wieder deutlich verschärft, nachdem am vergangenen Wochenende der regierungskritische Großayatollah Hossein Ali Montaseri im Alter von 87 Jahren gestorben war. Der Geistliche war eine Art Mentor der Reformbewegung und galt als einer der schärfsten Kritiker Ahmadinedschads.

© sueddeutsche.de/AFP/Reuters/mati - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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