Nahles-Herausforderin Simone Lange:Heute eine Rebellin

Simone Lange

Seit gut einem Jahr Oberbürgermeisterin, früher Kriminalbeamtin, zwei Töchter: Simone Lange, 41, hier bei einem Auftritt Anfang April in Hannover.

(Foto: Peter Steffen/dpa)
  • Simone Lange will mit sehr linken Positionen SPD-Vorsitzende werden.
  • Die Oberbürgermeisterin von Flensburg fordert auf dem Parteitag am Sonntag Andrea Nahles heraus.
  • Der Schlingerkurs der SPD-Führung auf dem Weg zur großen Koalition und schlechte Umfragewerte haben Lange aufgerührt.

Von Thomas Hahn, Flensburg

Durch Flensburg geht ein Raunen in diesen Tagen, weil die Frau Oberbürgermeisterin ständig in der Weltgeschichte rumgondelt. Simone Lange solle sich lieber um die Stadt kümmern, statt ihren persönlichen Wahlkampf um die Spitze der Bundes-SPD zu führen. "Das ist schwer vermittelbar", sagt Arne Rüstemeier, CDU-Fraktionschef in der Flensburger Ratsversammlung. Und Simone Lange selbst? Lächelt. Hat Verständnis. Weist freundlich darauf hin, dass sie ausschließlich im Urlaub das Bundesgebiet bereiste. "Diese Woche bin ich wieder Oberbürgermeisterin", sagt sie. Nur den Freitag hat sie frei genommen, um sich auch noch in Coburg vorzustellen. Und der Parteitag in Wiesbaden, bei dem sie gegen die Vorstandskandidatin Andreas Nahles antritt, ist ja ohnehin am Sonntag.

Es bringt nicht nur Ehre, wenn man aus den hinteren Reihen das Establishment herausfordert. Das kann Simone Lange, 41, nicht entgehen, auch wenn sie viel über den Zuspruch spricht, den sie erfahre. Aus Partei-Führungskreisen dringt ein leises Grollen über ihren Vorstoß. Man vermutet persönliche Motive dahinter, einen Test für die Vorsitzenden-Wahl in der Schleswig-Holstein-SPD. Ralf Stegner, der Landes- und stellvertretende Bundesvorsitzende, hat längst klargemacht, dass er für Nahles ist. Seine Stellvertreterin Bettina Hagedorn, Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesfinanzministerium von Olaf Scholz, kritisierte nach Langes Kandidatur, dass die Landespartei davon aus den Medien erfahren habe.

Die Nahles-Freunde dürften einsehen, dass ein bisschen Gegenwind nicht schadet

Und weil Simone Lange gerade überall als SPD-Rebellin rüberkommt, kaum noch als Oberbürgermeisterin, grummelt eben auch CDU-Mann Rüstemeier. "Ihr Amt nimmt Schaden, ihre Person nimmt Schaden", sagt er, "die Leute haben den Eindruck, sie kehrt Flensburg schon nach einem Jahr den Rücken zu."

Dass es so nicht ist, weiß allerdings kaum einer so gut wie Rüstemeier selbst. Er ist Hauptausschuss-Vorsitzender, er prüft die Amtsgeschäfte der Oberbürgermeisterin, deshalb kann er bestätigen: Simone Lange hat tatsächlich keine Dienstzeit für ihre SPD-Kampagne verwendet. Dass sie auch als Parteivorsitzende Oberbürgermeisterin bliebe, hat sie von Anfang an gesagt. Sie hat auch keinen aufgedonnerten Wahlkampf aufgezogen, sondern die Einladungen von Ortsvereinen zum Dialog mit Mitgliedern genutzt. Und was die mächtigen Nahles-Freunde in der SPD angeht: Sie dürften selbst einsehen, dass ein bisschen frischer Gegenwind nicht schaden kann. Simone Lange, zwei Kinder, frühere Kriminalbeamtin, tut nichts Unanständiges gerade. Sie nervt allenfalls ein bisschen, aber das ist ja ausdrücklich erlaubt in einer Demokratie.

Ein Donnerstagabend in Kiel. In der Traditionsgaststätte Legienhof hat Simone Lange einen ihrer Auftritte aus der Reihe "Simone Lange stellt sich vor". Eine einsame SPD-Fahne steht im Raum, mehr soll nicht ablenken von Simone Langes Freundlichkeit. Etwa 75 Minuten spricht sie vor 200 Zuhörern über ihre Vorstellungen von einer neuen Sozialdemokratie. Ihr fehlt diese wuchtige Präsenz, mit der die erfahrene Bundespolitikerin Nahles ganze Parteitage aufrütteln kann.

Bei Simone Lange wirkt alles etwas dünner, leiser, netter. Ihre Positionen allerdings sind so nett, dass sie schon wieder radikal sind. Simone Langes SPD von morgen wirkt wie ein utopisches Projekt, in dem es keine Bedenken und keine Zweifel mehr gibt, nur noch das große Ziel, alle glücklich zu machen. Bei ihren Zuhörern kommt das gut an. In der Diskussionsrunde spürt sie viel Sympathie.

"Ich möchte ein neues Grundsatzprogramm schreiben"

Der Schlingerkurs der SPD-Führung auf dem Weg zur großen Koalition und schlechte Umfragewerte haben Simone Lange aufgerührt. Jetzt klingt sie manchmal so, als sitze an der Parteispitze ein undurchdringliches Machtkartell, das zu wirtschaftsversessen sei, um der Partei ein neues sozialdemokratisches Profil zu geben. Mehr Diskussion, mehr Rücksicht auf die Basis, mehr Querdenken gehören zu ihrem großen Plan: "Ich möchte ein neues Grundsatzprogramm schreiben." Nur Tabus sollen dabei tabu sein. "In der Situation, in der wir sind, müssen wir das Undenkbare denken", sagt Simone Lange und hangelt sich von Thema zu Thema.

Sie will Hartz IV zurückdrehen. Und sie sagt, ihre Partei müsse sich dafür entschuldigen

Manch einleuchtender Impuls ist dabei. "Das Thema Energiepolitik dürfen wir nicht den Grünen überlassen", sagt sie. Sie greift Debatten im Kampf gegen die Armut auf ("Grundeinkommen ist eine Kultur, das muss ich breit diskutieren"). Und sie bricht mit einer historischen SPD-Leistung. In der Hartz-IV-Gesetzgebung des SPD-Kanzlers Gerhard Schröder sehen viele die entscheidende Vorlage für den aktuellen Wohlstand in Deutschland. Aber ihre Härten haben die Partei seinerzeit gespalten. Simone Lange will sie nicht nur zurückdrehen, sie sagt zu Schröders Agenda-Politik sogar: "Wer Fehler macht, muss sich dafür entschuldigen. Das müssen wir auch."

Ob sie dabei bliebe, wenn sie in die Verantwortung käme? Die Flensburger Oberbürgermeister-Wahl gegen den Amtsinhaber Simon Faber (SSW) gewann Simone Lange 2016 jedenfalls mit einem Programm, das Rüstemeier "bürgerlich-progressiv" nennt. Eine Oberbürgermeisterin ist in Schleswig-Holstein im Grunde keine politische Akteurin, sondern eine vom Volk gewählte Verwaltungsbeamtin, die der Gemeindevertretung untersteht.

Simone Lange brauchte für den Sieg ein Bündnis hinter sich, und sie bekam dann tatsächlich nicht nur von SPD und Grünen Unterstützung, sondern auch von der CDU. Aber wenn Arne Rüstemeier sie heute in ihrem SPD-Wahlkampf über Grundeinkommen oder Hartz IV reden hört, erkennt er seine Oberbürgermeisterin kaum wieder. "Wir sind erschrocken, zu welchen Aussagen sie sich hinreißen lässt", sagt er. Simone Lange weiß offensichtlich, wann sie welche Rolle spielen muss.

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