Muslime in Frankreich:Gesichter hinter Gittern

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Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy prangert Burkas als unfranzösisch an - einige Politiker fordern sogar ein Verschleierungsverbot für Frauen.

Gerd Kröncke, Paris

In den Vorstädten von Paris sieht man sie, auf dem Wochenmarkt von Vénissieux bei Lyon, aber auch beim Einkaufen in Belleville, im Pariser Osten, wo sie sich durchs Gewühl schieben. In den Vierteln mit hohem Anteil muslimischer Bevölkerung sind sie besonders gegenwärtig: In tiefschwarze Gewänder verhüllte Frauen, zu denen nicht einmal ein Augenkontakt möglich ist.

Gewöhnliche Mitteleuropäer schwanken zwischen Mitleid und Ablehnung: Eine Frau in der Burka. (Foto: Foto: AFP)

Bei ihrem Anblick ist man oft erschrocken, schwankend zwischen Mitleid und Ablehnung, und nie würde man als gewöhnlicher Mitteleuropäer auch nur auf die Idee kommen, ein Gespräch mit einer Frau in der Burka überhaupt zu erwägen.

Alltägliche Szenen wirken plötzlich absurd: Eine verschleierte Frau beugt sich zu einem Kind im Wagen hinunter und wischt dem Kleinen liebevoll den Mund ab - es könnte eine junge Mutter sein, genauso gut aber auch die Großmutter.

Nun ist es nicht so, dass die Pariser Straßen durchgehend von Frauen bevölkert sind, die Burkas oder andere verhüllende muslimische Gewänder tragen. Aber das Problem ist für viele Franzosen drängend genug, dass Präsident Nicolas Sarkozy in seiner Rede zur Lage der Nation am Wochenanfang ausführlich darauf einging.

Unerwünscht: Ganzkörpergewand mit Stoffgitter

"Die Burka ist auf dem Territorium der französischen Republik nicht willkommen", sagte der Präsident vor dem Parlamentskongress in Versailles, "in unserem Land können wir es nicht hinnehmen, dass Frauen hinter einem Maschengitter gefangen sind, abgeschnitten von jedem sozialen Leben, jeder Identität beraubt." Das sei unvereinbar mit der republikanischen Idee von der Würde der Frau. Da hätten womöglich selbst die abwesenden Kommunisten zugestimmt, die Sarkozys Auftritt boykottierten.

Das Lebensumfeld der verhüllten muslimischen Frauen beschränkt sich in vielen Fällen auf den Weg von der Wohnung zum Einkaufszentrum oder zum Marktplatz. Am Steuer eines Autos sieht man sie nie, nur im Überseedepartement Réunion wollten sich die Frauen nicht beugen. Da wurde das Fahren in der Burka dort verboten ist.

Das Thema war in den Wochen vor Sarkozys Auftritt mehr und mehr in den Vordergrund gerückt. Das zeigt, wie sensibel die Mehrheit in Frankreich neuerdings auf die Sitten der Minderheiten reagiert. Die Burka, jenes Ganzkörpergewand mit Stoffgitter vor dem Gesicht, das etwa in Afghanistan die fundamentalistische Taliban-Bewegung den Frauen aufzwingt, ist auch in Frankreich zunehmend verbreitet.

Ausnahme: Bankgeschäfte

Es gibt keine konkreten Zahlen, aber Schätzungen gehen davon aus, dass in Frankreich etwa 30.000 fundamentalistische Muslime leben. Unter ihnen sind Tausende Frauen, die sich vollständig verhüllen. Zur Verschleierung dient nicht immer die Burka, auch der Niqab, der den Kopf verhüllt und nur einen Sehschlitz für die Augen freilässt, wird häufig getragen, in Verbindung mit einem langen schwarzen Gewand; oder der Tschador, den iranische Frauen benutzen.

Nur beim besuch einer Bank müssten die Frauen - zumindest theoretisch - ihr Gesicht zeigen. Aber das gilt auch für Motorradfahrer, die den Helm abnehmen müssen. Ein Vermummungsverbot gilt bisher nur für Jugendbanden: Wer sein Gesicht bei einer Straftat versteckt, riskiert eine höhere Strafe.

Manchmal tauchen verhüllte Frauen zwar auch in den Quartiers chics auf, etwa im Umkreis der Champs-Eysées, wo sie sich in teuren Läden mit westlichen Luxusgütern eindecken. Doch diese Damen mit den goldenen Kreditkarten - konsumfreudige Touristinnen aus den reichen Golfstaaten - hat Sarkozy in seiner Rede nicht gemeint. Er griff die Sorge vieler französischer Regionalpolitiker und Abgeordneter um die Frauen in den armen Vorstädten auf. Der französische Staat, der sich vor allem als laizistische Gemeinschaft versteht und die Trennung von Staat und Kirche fast zu einem Glaubensbekenntnis erhebt, will nicht dulden, dass auf seinem Gebiet Frauen verschleiert auftreten.

Zur Verschleierung dient nicht immer die Burka, auch der Niqab, der den Kopf verhüllt und nur einen Sehschlitz für die Augen freilässt, wird häufig getragen, in Verbindung mit einem langen schwarzen Gewand. (Foto: Foto: AFP)

Eine Gruppe von Parlamentariern hat daher die Einsetzung einer Kommission gefordert, die ein Gesetz gegen das Tragen der Burka erarbeiten soll. So weit ist es noch nicht: Das Parlament in Paris beschloss am Dienstag nur, ein Gremium einzurichten, das sich mit dem Thema Verhüllung befassen soll. Man wolle darüber nachdenken, aber niemanden stigmatisieren, sagte der Fraktionschef des Regierungsbündnisses UMP, Bernard Accoyer.

Der Abgeordnete André Gérin, Bürgermeister des Lyoner Vororts Vénissieux, ist ein Gegner der Verhüllung. "Wir haben Probleme mit Identitätskarten, mit Pässen, ja sogar bei Eheschließungen", sagt er. Wenn er eine Trauung vornimmt, dann blickt er in seinem Amtsraum auf die Büste der Marianne - die Symbolfigur der Republik. Marianne aber trägt eine Jakobinermütze und ein freies Décolleté. Als Bürgermeister musste Gérin hingegen gelegentlich eine Braut mahnen, wenigstens ihr Gesicht zu zeigen - gegen den Protest des Bräutigams. Es habe schon Fälle gegeben, sagt der Bürgermeister, dass Frauen die Einbürgerung verweigert wurde, weil sie ihr Gesicht nicht enthüllen wollten.

Gleichwohl gehen die Meinungen auseinander, ob ein offizielles Verhüllungsverbot angebracht ist. Zwei Regierungsmitglieder - beide selbst Immigranten-Töchter - treten dafür ein: Fadela Amara, als Städteministerin für die Vorstädte zuständig, ist sich sicher, dass die betroffenen Frauen, die sich angeblich selbst für die Burka entscheiden, "keine freie Wahl haben". In der islamischen Parallelgesellschaft bestimmt der Mann.

Sarkozy enttäuscht die muslimische Minderheit

Auch die junge Staatssekretärin Rama Yade ist für ein Verbot, wenn dies die Frauen schützt. Hingegen warnt Immigrationsminister Luc Besson, ein ehemaliger Sozialist, vor einem Gesetz. "Wir müssen die Ausbreitung der Burka verhindern," sagt Besson, "aber das muss durch Aufklärung, Pädagogik und Dialog passieren". Auch die Grünen sehen eine gesetzlichen Regelung mit Skepsis. Die Abgeordnete Cécile Duflot sieht die Gefahr, dass bei einem Burka-Verbot die Frauen ganz weggesperrt würden. Die Linke ist sich wie gewöhnlich nicht einig.

Der Präsident hat die Burka in seiner Rede sehr prominent behandelt. Er entschied sich, eine muslimische Minderheit zu enttäuschen, dafür aber seine rechten Wähler und die Verfechter der laizistischen Staatsidee zu beruhigen. Den Widerspruch muslimischer Würdenträger nimmt Sarkozy hin.

Der Conseil français du Culte musulman hat erwartungsgemäß gegen die "erneute Stigmatisierung des Islam" protestiert. Nur der Rektor der Moschee von Paris, Dalil Boubaceur, der sich stets um die Integration der muslimischen Minderheit bemüht, wich ab: Die Burka sei weder im Koran vorgeschrieben noch in der maghrebinischen Tradition verankert, sagt er.

© SZ vom 24.06.2009/woja - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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