Militärübungen Russlands und der Nato:Proben für den Krieg

Übung Noble Jump

Auch deutsche Soldaten, hier im Schützenpanzer Marder, sind an den Übungen der Nato beteiligt.

(Foto: Kay Nietfeld/dpa)
  • Im Rahmen der Nato wurden 2014 doppelt so viele Militärübungen durchgeführt wie ursprünglich geplant. Auch Russland hat die Zahl der Manöver deutlich erhöht.
  • Verteidungsexperten befürchten, dass die Militärübungen einen Krieg in Europa wahrscheinlicher machen.
  • Die Nato hält die Anzahl der Übungen für legitim, da diese für Sicherheit und Stabilität in Europa sorgten.

Von Daniel Brössler, Brüssel

Birdman hatte keine Chance. Die Nato bot F-16-Kampfflugzeuge auf und moderne Hubschrauber, brachte Panzer in Stellung und setzte Spezialeinheiten ein. Nach längerer Schlacht konnten die vom feindlichen Bothnien kontrollierten Separatisten unschädlich, ihr Anführer mit dem seltsamen Namen wurde gefangen genommen. Das war das fiktive Szenario der Nato-Übung Noble Jump (Edler Sprung), die Mitte Juni auf dem Truppenübungsplatz Żagań in Polen kulminierte. Ähnlichkeiten mit der realen Welt waren, wie üblich, nicht zufällig. Im Falle von Noble Jump stand die blitzartige Inbesitznahme der Krim durch russische Truppen wohl ebenso Pate wie der Krieg im Osten der Ukraine. Die neu geschaffene "Speerspitze" sollte zeigen, wie sie einem Nato-Staat im Fall eines Falles helfen würde.

Doppelt so viele Militärübungen wie ursprünglich geplant

Russland wie auch die Nato haben in jüngster Zeit die Zahl ihrer Manöver erheblich erhöht, woraus beide Seiten kein Geheimnis machen. Das russische Verteidigungsministerium gibt für das Jahr 2015 insgesamt 4000 Übungen an, wobei diese Zahl auch kleinste Bereitschaftsübungen einschließt und insofern wenig aussagekräftig ist. Im Rahmen der Nato wurden 2014 nach offiziellen Angaben 162 Übungen veranstaltet, doppelt so viele wie ursprünglich geplant. Für 2015 hat General Jean-Paul Paloméros, Chef des Nato-Oberkommandos "Transformation" in Norfolk, 270 Übungen "unter dem Nato-Schirm" angekündigt, die Hälfte davon zur Rückversicherung der östlichen Verbündeten.

Die zunehmende Manöverdichte sei Ausdruck des "neuen und gefährlichen Sicherheitsumfelds in Europa", heißt es in einem Papier des European Leadership Networks (ELN) von Verteidigungsexperten, Ex-Politikern und Diplomaten. Das Papier trägt den dramatischen Titel "Vorbereiten auf das Schlimmste: Machen die Militärübungen Russlands und der Nato einen Krieg in Europa wahrscheinlicher?" Die Autoren sind der Auffassung, zumindest das Problembewusstsein müsse gestärkt werden. "Russland bereitet sich auf einen Konflikt mit der Nato vor, die Nato bereitet sich auf eine mögliche Konfrontation mit Russland vor", schreiben sie. Man unterstelle keiner Seite eine Kriegsabsicht und auch nicht, dass ein Krieg unausweichlich sei, stelle aber fest, dass das "veränderte Profil der Übungen" zum Klima der Spannungen in Europa beitrage.

Übungen simulieren einen möglichen Krieg

Sorge bereiten den Autoren auf russischer Seite die snap exercises, Ad-hoc-Übungen, bei denen aus dem Stand riesige Truppenteile mobilisiert werden. Im März 2015 seien an einer solchen Übung 80 000 Soldaten beteiligt gewesen. Das Manöver habe im hohen Norden begonnen und sei schließlich auf das ganze Land ausgeweitet worden. "Das Ausmaß dieser Übung wie auch ihre geografische Ausdehnung bedeuten, dass es nur um einen simulierten Krieg mit einer von den USA geführten Nato gehen konnte", urteilen die Autoren. Auf Nato-Seite erwähnen sie die Übungsreihe Allied Shield (Vereinter Schild), zu der auch das Manöver Noble Jump mit dem Birdman-Szenario gehörte. Die Übungen an der östlichen Nato-Flanke mit 15 000 Soldaten hätten Operationen "im Zusammenhang mit einer militärischen Krise oder Konfrontation mit Russland irgendwo in der baltischen Region" simuliert. Wiewohl beide Seiten die defensive Natur ihrer Übungen betonten, drohe ein Teufelskreis aus Aktion und Reaktion.

Die Nato hält dieses Bild für schief. Nato-Übungen machten einen Krieg nicht wahrscheinlicher, versichert eine Sprecherin. Sie beabsichtigten "genau den gegenteiligen Effekt: die Sicherheit und Stabilität in Europa in Reaktion auf die wachsende russische Aggression zu stärken". Alle Nato-Aktivitäten seien "verhältnismäßig, defensiv und in vollem Einklang mit internationalen Verpflichtungen". Russland lasse hingegen jede Transparenz vermissen und übertreffe die Zahl der Nato-Übungen um ein Vielfaches. Trident Juncture, mit 36 000 Soldaten die größte Nato-Übung seit Jahren, werde im Herbst überdies weit weg von Russland entfernt stattfinden - in Spanien, Italien und Portugal.

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