Migranten bei der AfD:Die Deutschenversteher

Ngakisali Katarina M. im und vor dem MTZ, Münchener Technologiezentrum.

Katarina M. findet, gut ausgebildete Migranten sollten in ihre Heimat zurückkehren.

(Foto: Florian Peljak)
  • Auch in der AfD gibt es Mitglieder mit Migrationshintergrund. Meist stammen sie aus dem akademischen Mittelstand und haben kein Problem mit der harten Zuwanderungspolitik ihrer Partei.
  • Daran ändern auch Aussagen, wie die des Vizevorsitzenden Alexander Gauland, der die Partei als "natürlichen Verbündeten" der Pegida-Bewegung sieht, nichts.

Von Roland Preuß

Katarina M.* war "Referentin für Frauen- und Lesbenpolitik" an der Uni Mainz. Sie hat zwei Kinder von zwei Männern und sie redet darüber ganz offen. Dem konservativ-traditionellen Familienbild wird sie damit nicht ganz gerecht. Über ihrem hellbraunen Gesicht erhebt sich ein schwarzer Lockenturm. Man sieht, dass ihr Vater aus Afrika stammt, aus Tansania. Dass M. in der Alternative für Deutschland (AfD) ist, vermutet man eher nicht. Eine Migrantin in einer Partei, die für eine harte Zuwanderungspolitik steht, in denen Führungskräfte mit Sprüchen gegen Migranten rechtes Publikum einfangen? Ja, sagt M., gerade wegen der Zuwanderungspolitik arbeite sie nun in der AfD mit. Allerdings gerade mit "großen Schmerzen". Denn es gibt Grenzen, was sie noch mittragen kann.

Asylbewerber als sozialer Bodensatz? Diese Aussagen nennt M. "unglücklich"

Mit Mitte dreißig saß M. noch bei den Grünen. Die waren freundlich zu ihr, eine Art ausgleichende Gerechtigkeit für die Widrigkeiten da draußen in der vorurteilsbeladenen Welt. "Nett waren die alle", sagt sie. Doch überzeugt haben sie M. letztlich nicht. Denn die offenen Arme für Einwanderer erfuhr sie als bloße Theorie, ihre Kinder schickten diese Grünen lieber nicht auf Schulen, wo viele Migranten hingingen. Sie sagten das bloß nicht. Zehn Jahre später klickte sich M. durch die Internetseiten der AfD. Die erschien ihr nüchterner, realistischer. Sie wolle, dass man Zuwanderung vernünftig steuert und sie wolle Asylbewerber arbeiten lassen, sagt M.. "Ich fand es klasse, dass die sich trauen, das Thema anzufassen." Und natürlich zweifelte sie, dass es mit dem Euro so weitergehen kann. Die AfD-Unterstützerliste mit allerlei Professoren darauf tat ein übriges: Im Mai 2013 trat sie bei.

Man kann sagen, dass M. selbst reichlich Praxiserfahrung gesammelt hat zum Thema Migration. Sie stammt aus Ostdeutschland, zu DDR-Zeiten lernte die Mutter ihren späteren Vater kennen, er war Gaststudent aus Ostafrika. In der DDR war sie das "Negerpüppchen". Die Familie zog zum Vater nach Tansania, da war sie neun Jahre alt. Mit 19 ging es zurück ins frisch vereinigte Deutschland. Sie betrachtet das Thema auch von der anderen Seite. "Stärkt diese Länder", sagt sie mit Blick auf Afrika. "Denn was passiert mit den Ländern, wenn die oft gut ausgebildeten Auswanderer alle weg sind? Man könnte sie herkommen lassen, gefördert durch Stipendien, aber nach dem Studium wieder zurückschicken, damit sie ihre Heimatländer mit aufbauen."

Der schärfste Konkurrent des Migranten ist der neue Migrant

Migranten sind nicht automatisch die Freunde anderer Migranten, ganz im Gegenteil. Die einen grenzen sich gegen andere ab, viele sind dagegen, dass noch mehr Migranten kommen. Das hat einen handfesten Hintergrund: der schärfste Konkurrent des Zuwanderers auf dem Arbeitsmarkt ist der neue Zuwanderer, der womöglich für (noch) weniger Geld arbeitet. Alteingesessene Deutsche werden kaum verdrängt. Warum sollten da Einwanderer selbstloser sein als andere Menschen?

M. passt aus einem weiteren Grund in die AfD. Die studierte Übersetzerin arbeitet in einer Münchner Unternehmensberatung. Sie ist akademischer Mittelstand, wie so viele in der Partei. Von Asylbewerbern oder Tagelöhnern aus Bulgarien trennen sie Welten. Man trifft sich mit ihr in einem bayerischen Restaurant, sie bestellt Gulasch mit Knödeln. M. ist Stammkundin. Die bayerische AfD schickte nach der Anfrage eine ganze Liste von Mitgliedern aus allen Erdteilen, Ingenieure, Anwälte. Das ist die weltoffene Seite der Partei.

In der AfD-Parteispitze sympathisiert man mit Pegida

Doch es gibt auch eine andere. Man findet sie in Äußerungen von Führungskräften wie Martin Sichert, dem Nürnberger Kreisvorsitzenden. "Warum sind es immer die Türken, die Kanakensprache sprechen", soll er im Internet verbreitet haben. Ein Parteiausschlussverfahren gegen ihn scheiterte aus formalen Gründen. In Brandenburg stimmte die AfD-Fraktion im Kreistag Dahme-Spreewald ausgerechnet mit der NPD zusammen für die "konsequente Abschiebung" von Asylbewerbern.

Auch die Stoßrichtung der Parteispitze ist klar, etwa vom Vizevorsitzenden Alexander Gauland, der mit den Islamgegnern der Pegida-Märsche sympathisiert: "Wir sind die ganz natürlichen Verbündeten dieser Bewegung", sagt er. Parteichef Bernd Lucke grenzt sich von Rechtsextremen ab, er fordert eine Fachkräftezuwanderung nach kanadischem Vorbild. Aber er spricht von bestimmten Zuwanderern auch als eine Art "sozialer Bodensatz, der lebenslang in unseren Sozialsystemen verharrt".

Hält man das aus als Migrant?

"Luckes Aussage war unglücklich", sagt M.. Aber im Grundsatz stimmt sie seiner Linie zu. Sie will das Asylrecht nicht verschärfen. "Es gibt aber Menschen, die hier keiner haben will." Von Pegida hält sie wenig. "Ich verdamme diese Demonstranten nicht, aber die meisten sind vermutlich von Angst und Ressentiments getrieben." Sätze wie die von Sichert hält sie für "gefährlich", das Verhalten der Brandenburger Parteifreunde für "politisch total ungeschickt". Diese Probleme habe die Partei vor allem in Ostdeutschland, in Bayern dagegen ist sie nie angefeindet worden wegen Herkunft und Hautfarbe. Sicher, auf ihrem ersten Parteitag im Mai 2013 in Ingolstadt staunten die vielen grauhaarigen Herren. "Die haben befremdet gekuckt, aber gesagt hat keiner was." Aber ansonsten? "Große Offenheit", sagt M..

"Zuerst hat man mich schief angeschaut", sagt Tuncay Deniz über sein erstes Parteitreffen. Da ging es dem Deutsch-Türken so wie M., trotz aller Unterschiede. Mit sieben Jahren kam er nach Deutschland, heute ist er Ingenieur am Münchner Flughafen, seine Frau aus der Türkei arbeitet bei der Allianz. Man trifft sich in einem schicken Café am Flughafen, Deniz trägt einen grauen Anzug und Pastell-Krawatte zum silbergrauen Haar. Früher hat er mal die Grünen gewählt, mal SPD, zuletzt FDP. Was treibt ihn zur AfD? Die Wut auf die Merkel-Regierung, sagt Tuncay. Die Probleme im Land würden totgeschwiegen, die Eurokrise, die Armut von Alten und Kindern, der Geldmangel an den Schulen. Es sei wie bei einem lausigen Fußballspiel gewesen. Die unzufriedenen Zuschauer stürmen den Platz, greifen sich den Trainer - und merken erst dann, wer da alles steht: der Anwalt, der Facharbeiter und eben auch der Ingenieur mit türkischen Wurzeln. Entscheidend ist, dass sie gegen den Trainer, also die Regierung Merkel sind, nicht wo sie herkommen, meint Deniz.

"Ich habe mich nie integrieren müssen. Ich habe mich einfach angestrengt"

Das ändert nichts daran, dass da einige Parteimitglieder manche Mitstreiter gar nicht erst auf dem Platz sehen wollen. "Natürlich stört mich das", sagt Deniz. Aber seine Erfahrung in der Partei ist eine andere: Die AfD wählte ihn vor der Bundestagswahl zum Direktkandidaten für München-Ost, ein Wahlkampf-Flyer zeigt ihn auf der einen Seite, auf der anderen lächelt Parteivize Hans Olaf Henkel. Für Deniz ist die AfD eine Partei der "ökonomischen Vernunft". Bald danach kommt die Zuwanderungspolitik. "Mich stört, dass viele Migranten immer noch nicht in der Lage sind, richtig Deutsch zu sprechen", sagt Deniz. Überhaupt, die Migranten und die Integration. Viel anfangen kann er damit nicht. "Als Migrant habe ich mich nie gefühlt, ich hab mich nie integrieren müssen, ich habe mich einfach angestrengt." Das erwartet er von anderen auch. Weshalb er sich von Lucke gut vertreten fühlt. Und die Bürger versteht, wenn sie Menschen, die aus wirtschaftlicher Not kommen, ablehnen.

Beim Thema Zuwanderung drehen Tuncay und M. die Debatte um. Sie fordern nicht mehr Verständnis für Zuwanderer, sondern mehr Verständnis für die, die schon da sind. Es sind Deutschenversteher. "Die Leute haben Angst, sie fühlen sich in ihrer deutschen Identität bedroht. Das nicht ernst zu nehmen, finde ich arrogant", sagt M.. Sie will weitermachen in der AfD, im Presseteam des Landesverbands, und sie bewirbt sich für den Landesausschuss zur Außen- und Sicherheitspolitik. Fühlt sie sich da wirklich wohl? "Es variiert", sagt M.. "Ich trete sofort aus, wenn die AfD offiziell festschreibt, dass wir gegen die Gleichstellung von Schwulen und Lesben sind." Das ist ihre Grenze. So viel ist allemal übrig geblieben von ihrer linken Vergangenheit.

*Anmerkung der Redaktion: In der ursprünglichen Version des Artikels wurde der vollständige Name von Katarina M. genannt. Wir haben sie auf ihren ausdrücklichen Wunsch hin anonymisiert, weil sie mit der AfD nicht mehr in Zusammenhang gebracht werden will.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: