Michelle Obama in Berlin:Mehr als eine First Lady

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Michelle Obama an der Gedenkstätte der Berliner Mauer. (Foto: Getty Images)

Nicht alle Berliner sind von Barack Obama begeistert, doch die Frau des US-Präsidenten wird mit offenen Armen empfangen. Entspannt schlendert Michelle Obama also durch die Hauptstadt. Die Rede ihres Mannes vor dem Brandenburger Tor verpasst sie. Bewusst.

Von Judith Liere, Berlin und Reymer Klüver

Man kann dem Besuch der amerikanischen Präsidentenfamilie in Berlin auf verschiedene Arten begegnen: begeistert, genervt, ehrfürchtig oder ablehnend. Spricht man am Dienstag Menschen in der Stadt an und fragt nach, verteilen sich all diese Reaktionen gleichmäßig. Anders ist das an der Bernauer Straße: Dort fehlt die Ablehnung. Denn hier, an der Gedenkstätte Berliner Mauer, sind nur Michelle Obama und die beiden Töchter zu Besuch. Der Präsident selbst, gegen den sich auch einige Demonstrationen richteten, ist da gerade im Bundeskanzleramt und muss sich kritischen Fragen zu den Themen Drohnen, Prism und Guantanamo stellen. Seine Frau hingegen muss sich in Berlin keiner Kritik aussetzen. Michelle Obama, so sind sich zumindest die Schaulustigen an der Gedenkstätte an der Bernauer Straße einig, ist "eine tolle Frau".

Auch in Amerika ist Michelle Obama ein Star, eine Sympathieträgerin, weitaus mehr als ihr Mann, der auf dieser Seite des großen Ozeans trotz Guantanamo und Datenspionage noch immer populär ist, zu Hause aber schon lange das Land spaltet, fast so wie einst sein viel geschmähter Vorgänger George W. Bush. Michelle Obama indes hat nichts von der Popularität eingebüßt, die sie schon im Wahlkampf 2008 erworben hatte, sozusagen als Erste Unterstützerin ihres Mannes. Zwei Drittel aller Amerikaner finden ihre First Lady heute richtig gut. Bis weit ins Lager der Republikaner hinein reicht ihre Beliebtheit. Und der Prozentsatz, der richtiggehend beeindruckt ist von der Frau im Weißen Haus nimmt in den Umfragen kontinuierlich zu.

Das mag natürlich daran liegen, dass sie in der Mediengesellschaft Amerikas praktisch unübersehbar ist. Erst vor ein paar Monaten war sie auf dem Titelbild der Frauenzeitschrift Vogue. Sie ist regelmäßig zu Gast bei der beliebten Frauen-TV-Talkrunde The View. Sie tritt mit Big Bird auf, wie der Sesamstraßen-Vogel Bibo in den USA heißt, tanzt mit dem Comedy-Star Jimmy Fallon auf der Bühne (das Video wurde auf YouTube bisher fast 16 Millionen Mal angeklickt). Und bei der letzten Oscar-Verleihung ließ sie sich aus dem Weißen Haus per Satellit zur Zeremonie nach Hollywood schalten und präsentierte im silbern gleißenden Glitzer-Kleid mit vier US-Soldaten in Paradeuniform (politisch korrekt zwei Frauen, zwei Männer) hinter ihr den Gewinner in der Kategorie "Bester Film". Das war großes Kino.

Das ist natürlich auch in Deutschland nicht unbemerkt geblieben. Zur Fraktion der Begeisterten gehört auch ein Ehepaar aus Hessen, das extra wegen der Präsidentenfamilie in die Hauptstadt gekommen ist. Am Montagabend warteten sie lange vor dem Hotel am Potsdamer Platz, bekamen aber niemanden zu Gesicht, die Familie ging wohl durch den Hintereingang hinein. Dann aber nutzten sie ihre einzige Chance und folgten Michelle Obama und den Töchtern auf deren Stationen im Rahmen des Sonderprogramms. Am Mittwochmorgen stand eine Besichtigung des Holocaust-Mahnmals auf dem Plan, aber weil das nah am Brandenburger Tor und damit an der Sicherheitszone liegt, hatten Schaulustige hier keine Chance.

Auch die Mauer-Gedenkstätte wurde von Polizei und Secret Service abgeriegelt, aber man kam endlich nahe genug heran, um Michelle, Sasha, Malia und Baracks Halbschwester Auma Obama gemeinsam mit Angela Merkels Mann Joachim Sauer auf dem Rasen zu sehen. Wäre der Präsident dabei gewesen, man hätte wohl nicht in Sichtweite heran gedurft. Seine Frau und die Kinder aber haben eine niedrigere Sicherheitsstufe. Auch wenn bei diesen Abschirmmaßnahmen nicht die Rede sein kann von einem Kontakt zum Volk oder einem Bad in der Menge - die First Lady und ihre Töchter haben den menschelnden Teil des Besuchs übernommen.

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:Berlin in 25 Stunden

Bellevue, Brandenburger Tor, Schloss Charlottenburg: Der Terminkalender des US-Präsidenten ist eng getaktet. Und dann ist da noch diese Hitze. Obamas Tag im Fototicker.

Den öffentlichen Auftritt hat Michelle Obama noch nie gescheut. Aber in letzter Zeit scheint sie richtig Spaß an ihrer Rolle als Erste Repräsentantin Amerikas gefunden zu haben. Eines Amerikas, dessen Werte sie nun selbst mitbestimmen kann. Und in dem man eben auch mal ruhig ein bisschen Vergnügen haben kann. "Michelle Obama ist die First Lady des Spaßes geworden", witzelte der Medienkritiker Howard Kurtz, was durchaus anerkennend gemeint war, aber natürlich nicht alle so sahen. Mäkler auf Seiten der Republikaner geißelten den Live-Auftritt bei der Oscar-Verleihung vielmehr als seicht und unangemessen. Übrigens in seltener Übereinstimmung mit den Tugendwächtern in Iran, die ihr Silberkleid offenkundig als zu gewagt empfanden und die Bilder digital bearbeiteten.

Doch man würde ihr unrecht tun, würde man Michelle Obamas Beliebtheit allein ihrer zweifellos von ihrem Stab im Weißen Haus sorgsam durchgeplanten medialen Omnipräsenz zuschreiben. Es sind vielmehr die spontanen, die kleinen, die menschlichen Gesten, mit denen sie die Herzen der Amerikaner - und, wie in Berlin zu sehen, eben nicht nur die - erobert hat. Das war schon im Wahlkampf so, als sie auf unzähligen kleinen Terminen sprach - meist von Frau zu Frau, von Mutter zu Mutter. Sie wirkte stets wie die Nachbarin von nebenan, der man alles anvertrauen kann.

Post von Michelle

Oder jetzt im Mai, als sie Caroline Hoy Myers einen drei Seiten langen Brief nach Lawrence in Kansas schickte und ihr handschriftlich auf privatem Briefpapier ihre persönliche Anteilnahme ausdrückte: Die junge Mutter hatte ihre Tochter verloren und in ihrer Verzweiflung dem Weißen Haus geschrieben. Michelle Obama antwortete.

In ihren ersten vier Jahren im Weißen Haus hat sie sich stets auf die traditionelle Rolle einer First Lady beschränkt. Sie gab durchaus aus vollem Herzen die First Mom der Nation und erklärte schon vor ihrem Einzug ins Weiße Haus, dass es ihr wichtigstes Anliegen sei, ihren Töchter trotz des Personals im Weißen Haus und der allgegenwärtigen Secret-Service-Leute eine halbwegs normale Jugend und Schulzeit zu ermöglichen. Womit sie offenkundig bisher ziemlich erfolgreich gewesen sein dürfte, nicht zuletzt, wenn man sieht, wie entspannt Mutter und Töchter am Mittwoch auf Sightseeing-Tour durch Berlin waren.

Dass diese Art der Entspanntheit nicht bei allen Berlinern gleichermaßen ankam, war fast zu erwarten. Der echte Berliner hat schließlich auch einem Ruf zu verlieren, und der bedeutet, dass er durchaus auch mal motzen muss. "Muss das denn sein", motzte ein Mann, dem die Polizisten den Durchgang verbaten. "Das ist ja nicht mal er selber." Der Mann hatte einen Arzttermin und fand die Absperrungen übertrieben. "Was ist denn, wenn einer jetzt dringend Medikamente braucht", sagte er vorwurfsvoll. Auf die Frage, was er denn von Michelle Obama halte, antwortete er versöhnlich: "Die macht das schon gut. Bei ihm weiß man ja immer nicht, ob er nicht ein bisschen falsch ist, aber sie ist 'ne Nette."

Das Programm der First Lady wurde in der Berliner Presse vorher groß thematisiert. Michelle Obama hatte sich für eine kurze historische Stadtführung entschieden, und das kam gut an. Wie gut, zeigte die Reaktion einer Frau, die mit dem Fahrrad zur Bernauer Straße zum Schauen gekommen war. "Ich bin 1981 nach Ostberlin gezogen", sagte sie bewegt, "wenn mir damals einer gesagt hätte, dass ich einmal hier, an dieser Stelle, wo früher der Grenzstreifen war, auf eine amerikanische Präsidentengattin warten würde, dann hätte ich ihn für verrückt erklärt." Es sei wichtig, dass Michelle Obama hier sei. "Außerdem ist die Frau einfach fantastisch, sie hat eine tolle, natürliche Ausstrahlung, und sie ist klug - noch klüger als ihr Mann."

Die Klugheit gebot Michelle Obama wohl auch, sich am Anfang von Obamas Regierungszeit nur für unpolitische, allgemein akzeptierte soziale Belange zu engagieren. Sie hatte die Erfahrung Hillary Clintons warnend vor Augen. Clinton hatte als First Lady Politik machen wollen und vom Weißen Haus aus die Gesundheitsreform ihres Mannes durchsetzen wollen. Sie scheiterte kläglich. Michelle Obama orientierte sich eher an Laura Bush, der Frau des konservativen Vorgängers ihres Mannes. Die gelernte Bibliothekarin hatte als First Lady eine Kampagne gestartet, die amerikanische Schulkinder zum Lesen anhielt. Ähnlich rief Michelle Obama eine Kampagne gegen die epidemische Fettsucht bei US-Kids ins Leben: Sie legte einen Gemüsegarten vor dem Weißen Haus an (denn Amerikas Kinder sollen mehr Grünzeug statt Pommes essen). Und sie gab den Fitness-Guru mit öffentlichen Tanzeinlagen (weil sich Amerikas Kinder zu wenig bewegen). Für ihre Let's-Move-Kampagne hat sie inzwischen Dutzende Stars gewinnen können. Ein Viertel aller Kids in den USA ist übergewichtig - da ist ihr Engagement unumstritten.

Doch seit ein paar Wochen mischt sich Michelle Obama eindeutig mehr in die Politik ein. Im April warb sie für schärfere Waffengesetze, die gerade im US-Kongress beraten wurden. In einer emotionsgeladenen Rede erzählte sie vom Tod eines jungen Mädchens, das wie sie und ihre Kinder in der Southside Chicagos aufgewachsen war. Anfang des Jahres wurde der Teenager Opfer einer Schießerei zwischen Gangs. Ihre Familie, sagte Michelle Obama, "unterscheidet sich in nichts von meiner Familie".

Einmischung ins Washingtoner Politgefecht

Die Waffengesetze bekamen keine Mehrheit, doch notierten die politischen Beobachter aufmerksam, dass sich seit Hillary Clinton keine Präsidentengattin so sehr ins Washingtoner Politgefecht gewagt habe. Seitdem hat sie in aller Öffentlichkeit für die Gleichstellung von Schwulen und Lesben geworben und tritt als Wahlkampfhelferin für demokratische Kandidaten auf.

Das alles dürfte kein Zufall sein, sagt Anita McBride, Stabschefin zu Laura Bushs Zeiten. In der zweiten Amtszeit seien die Frauen der Präsidenten von einem Druck befreit: In jedem Fall würden sie die Wiederwahl ihrer Männer nicht mehr gefährden. "Natürlich fühlen sie sich nun in ihrer Rolle wohler." Manche sehen darin schon erste Anzeichen, dass Michelle Obama für die Zeit nach dem Weißen Haus plant. Und nehmen eine kämpferische Äußerung als Bestätigung ihrer Spekulationen. Vor ein paar Monaten hatte sie vor Journalisten über die Versuche von Republikanern gesprochen, das Abtreibungsrecht in den USA weiter zu beschränken. "Das werde ich nicht zulassen", sagte Michelle Obama, "ob ich nun im Weißen Haus bin oder nicht."

Zu weit in die Politik indes will sich Michelle Obama offenkundig doch nicht begeben. Jedenfalls nicht in Berlin. Beim großen Auftritt ihres Mannes vorm Brandenburger Tor ist sie nicht dabei. Michelle und die Kinder, sagt Barack Obama zur Entschuldigung an diesem sonnenverwöhnten Nachmittag, hätten einfach keine Lust gehabt.

Bloß nicht noch eine Rede von ihm.

© SZ vom 20.06.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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