Mecklenburg-Vorpommern:Flüchtlinge in den Zentralen des braunen Sumpfs

Der enge Raum, das ewige Warten - es ist nirgendwo einfach, ein Flüchtling zu sein. Aber an manchen Orten in Mecklenburg-Vorpommern ist es ein Martyrium. Jeden Tag.

Von Thomas Hahn, Anklam

In Güstrow fahren Polizeiautos vor, weil die Rechtsradikalen einen Fackelmarsch angemeldet haben gegen das, was sie Asylmissbrauch nennen. Gleichzeitig sitzen Abdoulaye Mbodji und Sherif Barry in der Begegnungsstätte Villa Kunterbündnis am Pferdemarkt und wundern sich über die Atmosphäre in dieser Stadt, in die sie nach ihrer Flucht aus Mauretanien hineingeraten sind.

"Wenn wir rausgehen, zeigen uns die Leute den Mittelfinger oder machen uns sonstwie an", sagt Mbodji. "Mir haben die Leute mal 'Ebola' zugerufen", sagt Barry. Sie haben auch schon freundliche Orte in Deutschland erlebt, aber hier in Güstrow, Mecklenburg-Vorpommern, wo sie im Flüchtlingsheim wohnen, schlagen ihnen Wellen der Ablehnung entgegen.

"Wenn man alleine rausgeht, vor allem nachts, kann man schon Angst bekommen", sagt Barry. Und auch Mbodji kann seinen Zuhörern nicht den Gefallen tun, den Güstrower Alltagsrassismus kleinzuspielen. Jedes Mal, wenn sie rausgehen, gibt es Anfeindungen? "Jedes Mal."

Es ist nirgendwo einfach, ein Flüchtling zu sein. Aber an manchen Orten in Deutschland ist es besonders schwer, darauf hat die Amadeu-Antonio-Stiftung für demokratische Kultur aufmerksam machen wollen, als sie am Samstag Politiker und Presse durch Mecklenburg-Vorpommerns Hinterland führte.

Keine Tradition der Vielfalt

Vielerorts ist Ausländerfeindlichkeit ein Randphänomen, das ein aufgeklärtes Bürgertum leicht überspielen kann. Gerade in den großen Städten, in denen viele Zugewanderte leben, ist Vielfalt ein gewachsenes Gut. Dort empfangen Flüchtlinge von der Bevölkerung meistens jenes Verständnis, das ihnen nach den bitteren Erfahrungen in ihrer Heimat mit Krieg oder politischer Schikane zusteht.

Aber es gibt eben auch die kleinen Zentralen des braunen Sumpfs. In der strukturschwachen Provinz sind rechtsextreme Parteien wie die NPD stark, kulturelle Vielfalt dagegen hat hier keine Tradition. Sie kommt vielen Einheimischen vor wie eine neue Erfindung, die ihre Umwelt kaputtmacht. "Wenn man nichts weiß über die verschiedenen Menschen, dann fehlt einfach die Empathie", sagt Ulrike Seemann-Katz vom Flüchtlingsrat Mecklenburg-Vorpommern.

Trotzdem reichen die Arme des wachsenden Zuwandererstroms auch dorthin, was eigentlich eine Chance im Kampf gegen Vorurteile ist. Was die betroffenen Flüchtlinge aber in Wahrheit einem besonderen Martyrium aussetzt. In Städten wie Güstrow oder Anklam stecken sie fest in einer Atmosphäre aus Feindseligkeit.

Flüchtlingsdiskriminierung mit Hakenkreuz

BESTPIX New Refugee Center Draws Controversy In Wolgast

Vor Krieg und Gewalt ist dieser afghanische Junge geflohen, doch in Deutschland können Flüchtlinge wie er nicht immer auf Verständnis hoffen.

(Foto: Sean Gallup/Getty Images)

Mecklenburg-Vorpommern kann auch anders. In Rostock betreibt der Verein Ökohaus mit Rückhalt aus der Bürgerschaft und ausgebildeten Sozialpädagogen eine gelobte Gemeinschaftsunterkunft. Ulrike Seemann-Katz spricht von Fortschritten in der Politik: von mehr Verständnis dafür, dass Integration von Flüchtlingen nicht bedeutet, sie fern der Einheimischen im Wald oder am Stadtrand unterzubringen.

Und nicht überall klagen die Flüchtlinge über Anfeindungen, sie nehmen allenfalls eine gewisse Gleichgültigkeit wahr. "Die Leute sind alle gut", sagt Morteza Rahimi aus Afghanistan, der mit seinen Eltern in der Gemeinschaftsunterkunft in Ludwigslust lebt, "wir haben keinen Kontakt."

Enger Raum, ewiges Warten

Er und seine Mitbewohner haben andere Beschwerden: der enge Raum, die wenigen, vernachlässigten Duschen, die Kakerlaken. Und das ewige Warten auf die Entscheidungen der Behörden macht die Menschen krank. Arif Agai aus Afghanistan ist seit fünf Jahren in Ludwigslust. Er zeigt seine Atteste. Depressionen? Er nickt.

Auf einer Tour durch die Flüchtlingsunterkünfte hört man viele bedrückende Geschichten. Aber besonders bedrückend sind die Berichte von den Anfeindungen. In Anklam und Güstrow beschreiben die Flüchtlinge die Stimmung in der Stadt als "beängstigend", "unfreundlich" und "abweisend".

Eine Mutter aus Syrien erzählt mithilfe eines Dolmetschers, dass sie eines Morgens ihren jüngeren Sohn zum Kindergarten bringen wollte. Sie sei Leuten begegnet, sie habe sie schimpfen gehört, und dann habe einer mit Kreide ein Hakenkreuz auf die Straße gemalt. "Ich schließe nicht aus, dass es gute Leute gibt in Deutschland", sagt die Mutter, "aber ich habe das nicht gesehen."

Abdoulaye Mbodji und Sherif Barry rätseln auch über dieses Deutschland, das sie in Güstrow kennenlernen. Mbodji ist Geologe, aus Mauretanien ging er weg, weil er als Kritiker der autoritären Regierung dort keinen Job mehr bekam. Barry ist Schweißer, er flüchtete aus den gleichen Gründen.

Mbodji lächelt nachsichtig über die Welt, die um ihn herum ist, und sagt: "Integration ist schwierig hier." Barry wirkt aufgewühlter. Aber beide sagen, dass sie sich nicht provozieren lassen von den braunen Schreihälsen, die nur ihr eigenes schiefes Weltbild kennen. Die beiden Mauretanier sind klüger als sie.

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