Massive Aufrüstung im Syrien-Konflikt:"Man kann mit einer Kalaschnikow keine Panzer abschießen"

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Sowohl an die Opposition, als auch an das Assad-Regime sollen hoch entwickelte Waffen illegal aus dem Ausland geliefert worden sein. Alle Beteiligten streiten ihre Verwicklung zwar ab. Die Gräben in der Weltgemeinschaft werden jedoch immer tiefer - und der Ton schärfer.

In Syrien wird massiv aufgerüstet. Dabei sollen sowohl an das Assad-Regime als auch an die Aufständischen Waffenlieferungen aus dem Ausland gegangen sein. Die Beschuldigten: Russland und die Golf-Staaten Katar und Saudi-Arabien.

Bisher nur mit Maschinengewehren, nun anscheinend mit schwereren Waffen ausgerüstet: Kämpfer der Freien Syrischen Armee in Aleppo. (Foto: AP)

Die Rebellenkämpfer haben angeblich vermehrt Regierungstruppen in den Grenzgebieten zu der Türkei, dem Irak und dem Libanon angegriffen und erfolgreich Panzer und Truppentransporter zerstört. Solche Angriffe sind laut Einschätzung von Militärexperten jedoch nur mit hoch entwickelten Waffen durchführbar, über die die Rebellen bisher nicht verfügt haben.

"Es gibt keinen Zweifel, dass die syrischen Rebellen in den vergangenen Wochen Lieferungen von hoch entwickelten Waffen erhalten haben, sonst könnten sie solche Schläge nicht durchführen", sagt der Militärexperte und pensionierte libanesische General Hischam Jaber. "Man kann mit einer Kalaschnikow keine Panzer abschießen", meint er.

Die Waffen sollen aus Saudi-Arabien und Katar stammen und über die Türkei auf Schmuggelwegen in die Hände der Rebellen gelangen, behaupten sowohl ein ehemaliger Offizier der syrischen Armee als auch ein westlicher Diplomat in Beirut, die beide nicht namentlich genannt werden wollen. Man habe Geheimdienstinformationen, dass zwei Schiffe mit leichten und Mittelstreckenwaffen, darunter auch Granatwerfer, in einem türkischen Hafen angelegt hätten, so der Diplomat.

Ankara bestreitet jegliche Waffenlieferungen an syrische Rebellen. "Wir geben niemandem und nirgendwo Waffen, auch nicht nach Syrien. Und wir erlauben auch nicht, dass von anderer Seite Waffen über die Türkei nach Syrien transportiert werden", sagte ein türkischer Regierungsvertreter. "Das ist ein Propagandakrieg" Die Unterstützung der Türkei sei rein humanitärer Art, heißt es.

Auch Walid al-Buni, Mitglied des syrischen Oppositionsrats SNC, will sich nicht direkt zu den angeblichen Lieferungen aus Saudi Arabien und Katar äußern. Er besteht darauf, dass die meisten Waffen der FSA aus Angriffen auf Munitionsdepots der Regierung stammen. "Wir haben zwei Quellen für Waffen", erklärt der im Exil in Europa lebende Al-Buni. "Eine ist von außen. Aber das ist eine oft sehr schwierige Mission, die Leben kosten kann. Die andere ist einfacher - wir beschlagnahmen nach unseren Angriffen auf Armeedepots die Waffen."

Von Syriens Nachbarländern Libanon, Türkei und Irak gibt es nach Al-Bunis Worten keine Unterstützung. "Die Waffen werden auf sehr gefährlichen, illegalen Wegen ins Land gebracht", sagt Al-Buni.

Derweil entwickelte sich rund um den Syrien-Konflikt ein immer tieferer Streit zwischen Russland und den USA. Lawrow wies bei einem Besuch im Iran Vorwürfe der USA zurück, Russland beliefere Syrien mit Kampfhubschraubern. "Wir liefern weder nach Syrien noch anderswohin Dinge, die im Kampf gegen friedliche Demonstranten eingesetzt werden könnten", sagte Lawrow laut einem Bericht der russischen Nachrichtenagentur Interfax und setzte nach: "Anders als die USA, die solche speziellen Mittel regelmäßig in diese Region liefern." Erst kürzlich habe es eine solche Lieferung in ein Land der Golfregion gegeben, sagte er, und die USA fänden das "aus unbestimmten Gründen ganz in Ordnung".

Das syrische Außenministerium reagierte mit "Erstaunen" auf die Einstufung als Bürgerkrieg. (Foto: REUTERS)

Zuvor hatte US-Außenministerin Hillary Clinton Russland vorgeworfen, die Ausrüstung der syrischen Regierung mit Kampfhubschraubern könne "den Konflikt ziemlich dramatisch eskalieren lassen". Die neuen Waffenlieferungen stünden im Widerspruch zu Beteuerungen Moskaus, dessen Militärexporte an Syrien könnten "nicht gegen Zivilisten eingesetzt werden", erklärte Außenamtssprecherin Victoria Nuland.

Das Dementi Moskaus folgte umgehend: Alle von Russland gelieferten Waffen könnten nur zu Verteidigungszwecken eingesetzt werden. Aus der Erklärung ging jedoch nicht hervor, um welche Abwehrwaffen es sich handelt - es könnte sich sowohl um Luftabwehrraketen, als auch um Minen bis zu Handgranaten handeln.

Nach Angaben des Stockholmer Friedensforschungsinstituts (SIPRI) soll Syrien in den Jahren 2007-2011 sechsmal so viele Waffen importiert haben als in den fünf vorhergehenden Jahren. 72 Prozent stammten aus Russland. Diplomaten und politische Beobachter warnen, dass eine Politik des Kräfteausgleichs zwischen den Rebellen und der Regierung Syriens Abgleiten in einen Bürgerkrieg beschleunigen werde.

Nachdem der oberste Friedenshüter der Vereinten Nationen, Hervé Ladsous, den Syrien-Konflikt als Bürgerkrieg eingestuft hat, teilt nun auch Frankreich diese Ansicht: "Wenn man es nicht Bürgerkrieg nennen kann, dann gibt es keine Worte, um es zu beschreiben", sagte Frankreichs Außenminister Laurent Fabius in Paris.

Das syrische Außenministerium reagierte mit "Erstaunen" auf die Einstufung als Bürgerkrieg. Ladsous' Erklärung mangele es an "Objektivität", sie sei inakkurat und "weit von der Realität entfernt", teilte das Ministerium mit. "Syrien erlebt keinen Bürgerkrieg, sondern einen bewaffneten Konflikt" im Kampf gegen Terrorismus, Tötungen und Entführungen, hieß es weiter.

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