Linken-Fraktionschef in Moskau:Gysis kleine Ostpolitik

Lesezeit: 2 min

Unterwegs für den Weltfrieden: Gregor Gysi (links) trifft den Duma-Vorsitzenden Sergej Naryschkin. (Foto: Yuri Kochetkov/dpa)

In der Ukraine-Krise sind viele deutsche Politiker unterwegs, aber keiner wird so herzlich empfangen in Moskau wie Gregor Gysi. Der Chef der Linksfraktion sucht Putin und äußert Kritik. Er findet andere Russen - und seine Vorwürfe werden erwidert.

Von Constanze von Bullion und Julian Hans, Berlin

Es fehlt in diesen Tagen nicht an Deutschen, die aufbrechen, um in der Ukraine irgendetwas zu bewegen. Die Betonung liegt auf irgendetwas. Denn wer da zu wessen Nutzen unterwegs ist, das ist nicht immer gleich zu ergründen.

Am Dienstag zum Beispiel ist die grüne Bundestagsabgeordnete Marieluise Beck nach Odessa gereist. Sie wolle sich nach den Auseinandersetzungen der letzten Tage "ein Bild von der Lage vor Ort" machen, hieß es. Nun ist die Menschenrechtlerin Beck ja nicht zum ersten Mal in der Ukraine, sie war schon beim Aufstand auf dem Maidan dabei. Diesmal werde sie die jüdische Gemeinde Odessas besuchen, mit Menschenrechtlern und "Aktivisten" reden, ließ sie wissen.

Ein zweifellos ernst gemeintes Anliegen ist das. Aber eben auch geeignet, einem anderen, selbst ernannten Emissär einen Seitenhieb zu verpassen.

Putin hielt ein Treffen mit Gysi für verzichtbar

Denn für den Weltfrieden unterwegs war bis Dienstag auch der Fraktionschef der Linken im Bundestag, Gregor Gysi. Er wolle sich für eine "Deeskalation" in der Ukraine einsetzen, hatte er am Sonntag verkündet und war nach Moskau geflogen. Anders als Beck wollte Gysi dort keine Menschenrechtler treffen, sondern den russischen Präsidenten Wladimir Putin. Was dieser jedoch für verzichtbar hielt.

MeinungUkraine-Krise
:Putin, das Zwitterwesen

Bringt ein Runder Tisch die Lösung der Ukraine-Krise? Dialog ist grundsätzlich eine gute Idee. Doch gegen Wladimir Putins Widerstand wird es nicht funktionieren.

Ein Kommentar von Daniel Brössler

Immerhin, der stellvertretende Außenminister Wladimir Titow nimmt sich am Dienstag Zeit für den Herrn aus Deutschland, am Tag davor empfängt ihn der Duma-Vorsitzende Sergej Naryschkin. Beide gehören nicht zu denen, die irgendetwas entscheiden in Moskau, aber protokollarisch sind sie von hohem Rang. Naryschkin gehört zu Wladimir Putins Sankt Petersburger Netzwerk, die beiden sollen sich während der Spion-Ausbildung beim sowjetischen Geheimdienst KGB kennengelernt haben.

Seit mehr als zehn Jahren gehört Naryschkin zu denen, die Putins Macht absichern - erst in der Regierung, dann als Leiter der Präsidialverwaltung, inzwischen als Sprecher der Duma. Weil er in dieser Funktion dafür gesorgt hat, dass das Unterhaus Putin im Schnellverfahren freie Hand für einen Militäreinsatz gegen die Ukraine gab, steht sein Name auf der Sanktionsliste der EU - sowie, was nur für wenige gilt, auf der Nein-Danke-Liste der USA.

Er darf also nicht einreisen. Gregor Gysi kann das nicht schrecken, am Montag tritt er mit Naryschkin vor die Presse und erklärt, die Lage in der Ukraine sei so verfahren, dass Deeskalation nur noch möglich sei, "wenn sich alle Parteien bewegen". Gysi spart sich bei diesem Auftritt nicht die Bemerkung, die Annexion der Krim sei völkerrechtswidrig. Aber auch der Westen habe Völkerrecht gebrochen, in Kosovo und auf Zypern und "schwerwiegende Fehler" bei der Nato-Osterweiterung gemacht.

Für den Völkerrechtsbruch revanchiert sich Naryschkin mit der Bemerkung, Russland habe die deutsche Wiedervereinigung unterstützt, "obwohl es in der DDR anders als auf der Krim kein Referendum gab, sondern nur einen Beschluss des sogenannten Parlaments".

Auch in Moskau weiß man Gysis Visite zu benutzen

Am Dienstag dann trifft Gysi Vize-Außenminister Wladimir Titow. Er ist für die Beziehungen zur EU zuständig und öffentlich eher wenig bekannt. Als die Ukrainer im Dezember auf dem Maidan demonstrierten, erklärte Titow, habe Russland angeboten, mit der EU über eine Lösung zu verhandeln. Leider habe die EU "kein Interesse daran gezeigt". Ob Gysi Titow bei seinem Besuch vom Gegenteil überzeugt, von der Gesprächsbereitschaft der Europäer, ist nicht bekannt. Man habe einen "konstruktiven Dialog" geführt, hieß es.

Referendum in der Ostukraine
:"Was für eine Farce"

Importierte Wähler und Blitz-Auszählung: Auf Twitter sammeln Nutzer Hinweise auf Wahlbetrug während des Referendums in der Ostukraine.

Als der deutsche Oppositionsführer am Dienstag die Heimreise antritt, ist er dem Vernehmen nach zufrieden mit sich. "Es war sinnvoll, die Reise zu machen, um Positionen im Detail kennenzulernen und deren Hintergründe einzuschätzen", sagt sein Sprecher. Aber auch in Moskau weiß man die Visite zu schätzen und zu nutzen.

Seit Wochen zeigt das russische Staatsfernsehen Gysis Auftritte, gern mit der Bemerkung "im deutschen Bundestag" habe man Verständnis für die Position Russlands. Auch dem Moskaubesuch widmen sich die russischen Medien, vor allem Gysis Kritik an EU und Nato. Und sein Hinweis auf den Völkerrechtsbruch auf der Krim? Spielt in der Berichterstattung keine Rolle.

© SZ vom 14.05.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: