Libyen: Nato-Luftschlag:Gaddafi wittert Verrat

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Der Luftangriff, bei dem offenbar ein Gaddafi-Sohn umgekommen ist, zeigt: Die Nato scheint erstaunlich gut über die Aufenthaltsorte von Libyens Machthaber informiert zu sein. Selbst Gaddafis Regierungssprecher räumt ein: Es seien Informationen "durchgesickert".

Tomas Avenarius

Für Muammar al-Gaddafi wiederholte sich ein Erlebnis, das für ihn ebenso glücklich wie tragisch endete: Nato-Jets bombardierten am Samstagabend das Privathaus eines seiner Söhne, weil bekannt war, dass der libysche Machthaber sich dort gerade aufhielt. Gaddafi und seine Ehefrau Safia überlebten den Einschlag von mindestens drei Raketen auf dem Gelände der Residenz Bab al-Aisisija.

Bild der Zerstörung: Bombardierte Residenz, in der angeblich Gaddafi-Sohn Saif al-Arab starb (Foto: AFP)

Aber ihr zweitjüngster Sohn Saif al-Arab und drei Enkelkinder der Gaddafis starben offenbar. 1986 hatten US-Jets, während des Höhepunkts einer früheren Libyen-Krise, die Gaddafi-Residenz angreifen lassen. Auch damals war der libysche Oberst unverletzt davongekommen. Getötet wurde eine Adoptivtochter.

Die Nato macht Jagd auf Gaddafi: Das Bündnis bestätigte den Tod des Gaddafi-Sohnes bisher zwar nicht. Sie bestritt, es auf den Diktator persönlich abgesehen gehabt zu haben. Sie spricht lieber von einem "Präzisionsangriff" auf ein "militärisches Kommandozentrum".

Dennoch ist es offensichtlich: Die Jets der westlichen Allianz, die unter einem UN-Mandat zum Schutz libyscher Zivilisten fliegen, wollen den Machthaber und seinen Führungszirkel treffen. Damit ist eingetreten, was ein US-Senator jüngst gefordert hatte: "Gaddafi soll jeden Abend fürchten, dass der nächste Tag sein letzter sein wird."

Gaddafis Sprecher Musa Ibrahim sagte nach dem Angriff: "Das hier ist das Gesetz des Dschungels." Die Nato-Attacke habe mit dem Schutz von Zivilisten nichts zu tun. Der Staatschef, der nach libyscher Sprachregelung offiziell weder Staatschef ist, noch eine andere offizielle Funktion innehat, sei aber "unverletzt und bei guter Gesundheit".

Die staatliche Propagandamaschine versuchte am Morgen danach, das Beste aus dem Angriff zu machen. Sie brachte Busse voller ausländischer Journalisten - die sich in Tripolis nicht frei bewegen dürften - in die zerstörte Villa des Gaddafi-Sohns.

Dort sahen sie ein Sofa unbeschädigt in einem zusammengefallenen Wohnzimmer, im Garten stand dazu ein Tischfußballspiel. Ein Sprecher sagte zwischen den Ruinen: "Saif al-Arab war Zivilist und Student. Er spielte mit seinen Kindern und sprach mit seinem Vater und seinen Verwandten, als er angegriffen und getötet wurde."

Alle Gaddafi-Söhne sind Teil des Regimes und haben teilweise offizielle Funktionen inne. Aber auch wenn Saif al-Arab mit Ausbruch des Aufstands eine militärische Funktion übernommen hatte, war er der sicher am wenigsten wichtigste unter ihnen. Und der Nato-Angriff wirkt umso fragwürdiger, als Gaddafi dem Bündnis vor zwei Tagen Gespräche über ein Ende des Konflikts angeboten hatte. Die Allianz lehnte mit der Begründung ab, der Oberst habe auch frühere Waffenstillstandsversprechen sofort gebrochen.

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Beunruhigen muss Gaddafi, dass die Nato so genau über seinen Aufenthaltsort informiert gewesen ist. Regierungssprecher Ibrahim sagte, Informationen seien "durchgesickert". Das heißt, dass es in seinem engsten Kreis Verräter gibt. Keine 24 Stunden zuvor war schon ein Fernsehgebäude angegriffen worden, in dem Gaddafi eine Ansprache hielt.

Abschied vom Gaddafi-Spross: Das libysche Staatsfernsehen zeigt, wie Würdenträger verschiedener Religionsgemeinschaften Saif al-Arab al-Gaddafi die letzte Ehre erwiesen. Ob es sich tatsächlich um den Sohn des Machthabers handelt, ist nach wie vor nicht gesichert. Möglicherweise ist auch ein weiterer Sohn Gaddafis bereits tot: Gerüchten zufolge wurde al-Khamis tödlich verletzt, als ein Kampfjet in das Gebäude stürzte, in dem er sich befand. (Foto: AFP)

Die Familie des Machthabers - er hat mindestens zwei Frauen, sieben Söhne und eine Tochter - kann sich nun nirgendwo in Libyen mehr sicher fühlen. Zumindest gelegentlich dürfte Gaddafi selbst sich in oder nahe seiner Residenz Bab al-Asisija aufhalten. Die ähnelt einer Festung, verfügt über zahlreiche Bunker und Geheimgänge. Der Revolutionsführer wechselt ständig seinen Aufenthaltsort und wird zahlreiche andere Verstecke in oder außerhalb von Tripolis haben.

Ebenso gefährdet wie der libysche Diktator selbst sind die verbleibenden sechs Söhne, die wie der Vater untergetaucht sind und kaum noch öffentlich auftreten.

Der politische Kopf ist Saif al-Islam. Lange Zeit galt der 39-Jährige im Westen als Reformkraft und wahrscheinlicher Thronerbe. Mit einer politischen Stiftung gab er vor, die Zivilgesellschaft im Land stärken zu wollen: Saif al-Islam hatte an der britischen Edeluniversität London School of Economics promoviert, hielt in aller Welt Vorträge vor auserlesenem Publikum, wurde von Staatsmännern empfangen.

Mit dem Ausbruch der Revolte im Februar 2011 erwies sich der vermeintlich demokratische Reformer als brutaler Hardliner. Er drohte den Rebellen die Vernichtung an und ist ihnen fast so verhasst wie sein Vater.

Eine politische Rolle hat auch Aischa übernommen, Gaddafis einzige Tochter, sein Lieblingskind: Als Anwältin gehörte die 35-Jährige 2004 zum Verteidiger-Team des irakischen Diktators Saddam Hussein. 2009 wurde sie zur "Botschafterin des guten Willens" im Auftrag der UN - ein Ehrentitel, mit dem sie sich dem Kampf gegen Aids widmen sollte und der ihr nun entzogen worden ist.

Die anderen Söhne, al-Khamis, Hannibal, al-Motassim Bilah und al-Saadi, sind berüchtigt als Kommandeure verschiedener Milizen und zudem bekannt als Randalierer. Der bei dem Nato-Angriff getötete Saif al-Arab etwa war der Justiz in München wegen unerlaubtem Waffenbesitz aufgefallen. Sein Bruder Hannibal schlägerte in Schweizer Luxus-Absteigen und verprügelte eine Freundin, die er später heiratete.

Der 38-jährige Saadi kommandiert die libyschen Spezialeinheiten und war bekannt geworden als Profi-Fußballer: Weil er gedopt haben soll, beendete er ein Kurzzeitengagement beim italienischen Fußballclub Perugia Calcio.

Fast schon seriös wirkt Muhammed, der älteste. Seine Mutter ist die erste Gaddafi-Frau; als Geschäftsmann kontrolliert er dank des Namens seines Vaters die beiden Mobiltelefonnetze des Landes. Gefährdet jedenfalls sind sie nun alle ebenso wie der Vater.

© SZ vom 02.05.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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