Krise in Ägypten:Die Kinder des 6. April und der Tag der Entscheidung

Sie sind jung, gut ausgebildet und wütend: Die Jugend Ägyptens marschiert gegen das greise Regime von Hosni Mubarak. Zehntausende sammeln sich hinter der "Jugendbewegung des 6. April", die ihren Kampf für eine demokratische Wende im Internet begann - und dem Protest eine neue Dimension verleihen will.

Lena Jakat

Ob Omar Hamposha Omar, Mohamed Seddik oder Abdulla Hasan: Die Menschen hinter den Protesten in Ägypten haben keine Gesichter. Zumindest nicht auf Facebook. Auf den Seiten des sozialen Netzwerks organisiert sich die größte Protestbewegung des Landes, die Jugendbewegung des 6. April.

Anti Government Protesters Take To The Streets In Cairo

Am vergangenen Dienstag begannen die Proteste gegen das Regime von Präsident Hosni Mubarak in Ägypten mit dem "Tag des Zorns"; eine Woche später will die Jugendbewegung des 6. April eine Million Menschen auf die Straße holen.

(Foto: Getty Images)

Insgesamt 87.516 Mitglieder zählt die Gruppe auf Facebook am siebten Tag der Proteste, die meisten von ihnen geben in ihren Profilen kaum etwas preis, außer der Uni und vielleicht der Lieblingssängerin - wohl auch aus Vorsicht vor den Sicherheitsdiensten. Denn die Jugendbewegung des 6. April war es, die am vergangenen Dienstag gemeinsam mit der Gruppe "We are all Khaled Said" den "Tag des Zorns" ausrief und die ersten Proteste in Ägypten organisierte. Allen Repressalien des Regimes Mubarak zum Trotz hat das Aktionsbündnis für den morgigen Dienstag zu "Megaprotesten" aufgerufen. Mehr als eine Million Menschen will die Protestgruppe auf die Straße bringen, angeblich ist ein Marsch Richtung Präsidentenpalast geplant. Seit Freitag allerdings sind die digitalen Kommunikationswege der Protestierenden auf weite Strecken blockiert: Es gibt kein Internet und auch SMS konnten zwischenzeitlich keine verschickt werden. "We want our Internet back", schrieb der Blogger Wael Abbas per Mobiltelefon am Montagmorgen auf dem Microblogging-Dienst Twitter. In Großbuchstaben.

Ein Drittel der 80 Millionen Ägypter ist zwischen 15 und 29 Jahre alt und gehört somit der "Generation Mubarak" an: Sie alle haben niemals einen anderen Präsidenten erlebt als den 82-Jährigen. Lange galt die ägyptische Jugend als unpolitisch - eine Studie von 2004 zeigte, dass sich zwei Drittel der jungen Menschen nicht für die Wahlen registriert und 84 Prozent noch nie an einer öffentlichen Demonstration teilgenommen hatten.

Das hat sich dank des tunesischen Vorbilds geändert und Internet und Facebook erleichtern das Engagement. Die Jugendbewegung des 6. April besteht vor allem aus jungen, gut ausgebildeten Ägyptern, von denen viele bislang nichts mit Politik zu tun hatten. Die Gruppierung ist ihrer Eigendarstellung zufolge "unabhängig von politischen Richtungen oder politischen Trends". Ihre Mitglieder eint nur "die Liebe zu unserem Land und das Verlangen, es zu reformieren".

Erklärtes Ziel der Jugendbewegung des 6. April ist der grundlegende Wandel hin zu Demokratie. Die Gruppe fordert das Recht, Parteien gründen zu dürfen, das Ende der Notstandsgesetzgebung und eine neue, ideologiefreie Verfassung. Der Weg dorthin könne nur eine Koalition aller Oppositionsfraktionen sein, heißt es auf der Homepage der Bewegung. Man zeigt sich offen für Muslimbrüder und bekennt aber auch ihre Unterstützung für Mohamed ElBaradei, den früheren Chef der internationalen Atomenergiebehörde IAEA. Dieser hatte erst am Wochenende eine Regierung der nationalen Einheit unter seiner Führung gefordert.

Im Internet Aktionen koordiniert

Auf dem Online-Profil der Gruppe werden Videos der Proteste hochgeladen, die aktuellen Entwicklungen koordiniert. Das ist auch die Krux der Bewegung: "Der Geheimdienst freute sich bisher jeden Tag über Facebook", sagt Andreas Jacobs vom Auslandsbüro der Konrad-Adenauer-Stiftung in Kairo, "weil man dort genau sehen kann, wer was wo denkt." Seinem Eindruck nach war die Gruppe 6. April lange eine vor allem virtuelle. Bis jetzt.

"Die Bewegung ist glaubwürdig, weil es sich nicht an das Regime verkauft oder das pathetische, begrenzte Politikspiel mitspielt, das die Regierung veranstaltet", urteilte Samer Shetah, Dozent an der US-amerikanischen Georgetown Universität bereits vor zwei Jahren über das Aktionsbündnis. Damals protestierten die Anhänger gegen die israelische Bombadierung des Gaza-Streifens und schon damals richteten sich die Proteste erstmals auch direkt gegen den Herrscher Hosni Mubarak und seine Israel-Politik.

Gegründet wurde die Facebook-Gruppe bereits ein Jahr zuvor, im März 2008. Der Ingenieur Ahmed Maher und die Personalsachbearbeiterin Israa Abdel Fattah kannten sich aus dem Wahlkampf 2005. Damals keimte in Ägypten kurz die Hoffnung auf demokratische Reformen: Auf internationalen Druck hin hatte Präsident Mubarak auch Oppositionsparteien zur Wahl zugelassen - unter anderem die Al-Ghad-Partei von Ayman Nour. Maher und Fattah arbeiteten in der Parteizentrale von Al-Ghad (Der Morgen) mit. Die Wahl verlief weder frei noch demokratisch, Nour kam für vier Jahre in Haft und Maher und Fattah blieben von der konventionellen Politik enttäuscht zurück.

Im März 2008 beschlossen die beiden, einen für den 6. April geplanten Arbeiterstreik in der Stadt Mahalla al-Kubra zu unterstützen und gründeten unter dem Datum eine Facebook-Gruppe. Über das soziale Netzwerk riefen sie zu einem zeitgleichen Generalstreik gegen die steigenden Lebensmittelpreise auf. In kurzer Zeit hatte das Profil 76.000 Anhänger gewonnen.

Kritik am "Facebook-Mädchen"

Es folgten die bis dahin größten und gewaltsamsten Proteste in Ägypten seit Jahren: In Mahalla al-Kubra prügelte die Polizei auf Demonstranten ein, verletzte Dutzende und tötete mindestens zwei Menschen. Hunderte Aktivisten wurden verhaftet, unter ihnen die 29-jährige Fattah - weil sie auf Facebook zu Protesten aufgerufen hatte. Nach mehr als zwei Wochen wurde Fattah, die den Gewehren der Sicherheitskräfte mit Blumen entgegnen wollte, aus der Haft entlassen. Sie schwor dem politischen Aktivismus ab. Hätte sie gewusst, welche Folgen ihre Nachrichten haben würden, hätte sie es nicht getan, erklärte sie unter Tränen vor laufenden Kameras.

EGYPT-ECONOMY-STRIKE

Im März 2008 formierte sich die Jugendbewegung 6. April und rief für diesen Tag zu landesweiten Protesten auf - zeitgleich mit Streiks in der nordägyptischen Industriestadt Mahalla al-Kubra. Die Polizei ging mit aller Härte gegen Demonstranten und Dissidenten vor. 

(Foto: AFP)

Die Dissidentenszene reagierte empört auf Fattahs Rückzug. Missbilligend wird sie seitdem nur noch das "Facebook-Mädchen" genannt. Ihr früherer Mitstreiter Ahmed Maher übernahm die Koordination der Gruppe. Zweimal wurde der 29-Jährige noch 2008 verhaftet und gefoltert, musste mehrfach untertauchen.

Zu Gesprächen in Washington

Doch die Jugendbewegung 6. April war im Netz - und in der Welt. Längst hat sie jede Naivität abgelegt und wirkt verstärkend bei den aktuellen Protesten in Ägypten. "Unsere Hauptaufgabe besteht darin, die Menschen über ihre Rechte aufzuklären, so dass sie wissen, wie sie ihre Handschellen aufbrechen und ihre Fußfesseln lösen können", sagte Mitgründer Maher im Mai 2008 der Washington Post.

Die Reformideen der Bewegung 6. April kannte von Beginn an auch das US-Außenministerium. Das enthüllt eine diplomatische Depesche der amerikanischen Botschaft in Kairo, die auf der Enthüllungsplattform Wikileaks veröffentlicht und von der britischen Zeitung The Telegraph ausgegraben wurde. Demzufolge wurde ein Aktivist, namentlich nicht genannt, der Gruppe 6. April Ende 2008 in die Vereinigten Staaten zu einer Konferenz junger Aktivisten eingeladen, sprach dort mit Regierungsvertretern und Think Tanks. Auch nach seiner Rückkehr soll der junge Dissident in engem Kontakt mit den US-amerikanischen Behörden geblieben sein.

Der Depesche zufolge sprach der Aktivist davon, dass sich mehrere Oppositionsgruppen zusammengeschlossen hatten und einen "Plan für einen Übergang zu einer parlamentarischer Demokratie" unterstützten. Das Oppositionsbündnis plane den Regimewechsel noch vor den Präsidentschaftswahlen 2011. Die US-Botschafterin in Kairo bezeichnete den Erfolg dieser Pläne in ihrem Bericht als "äußerst unwahrscheinlich."

Zwei Jahre später scheint für die Aktivisten des 6. April in Ägypten alles wieder möglich.

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