Krim-Krise:Teufelskreis nach Putins Geschmack

Krim-Krise: Szene auf der Krim: Die Eskalation auf der Halbinsel schürt weltweit Kriegsängste.

Szene auf der Krim: Die Eskalation auf der Halbinsel schürt weltweit Kriegsängste.

(Foto: AFP)

Der aggressive Kurs Moskaus sorgt weltweit für Schock, die Übergangsregierung der Ukraine wehrt sich verzweifelt. Viel Zeit hat sie nicht mehr: Russlands Präsident Putin will das Land wirtschaftlich destabilisieren - und in dieser Hinsicht steht es schon am Abgrund.

Von Cathrin Kahlweit

Der Moderator im russischen Fernsehen bricht in Gelächter aus - ungewöhnlich genug für eine ernsthafte Diskussionssendung. Andererseits: Das, was der Experte von der Staatlichen Universität Moskau da gerade gesagt hat, ist ja auch zu lächerlich: Der Westen stoppt die Vorbereitungen auf den G-8-Gipfel in Sotschi, und das soll Wladimir Putin beeindrucken? "Wo doch Putin selbst schon einen G-8-Gipfel geschwänzt hat, weil er ihm nicht wichtig war?" Nein, dieser Westen, der eine Regierung von Putschisten in Kiew unterstütze, sei erkennbar schwach auf der Brust, wenn er nach Sanktionen rufe. Da werde, die Runde ist sich einig, wenig kommen, was wirklich weh tut.

Der Wissenschaftler aus Moskau wird dann noch gefragt, warum Putin überhaupt ein Zeichen der Stärke auf der Krim setze. "Nun", antwortet der bärtige Wissenschaftler bedächtig, "der Staatsstreich in Kiew war eben ein Regimewechsel zu viel."

Es ist unbestreitbar, dass diese Unterhaltung auf Russia Today einen wahren Kern hat: EU, USA, Nato, OSZE - alle sind sie schockiert, dass im Jahr 2014, mehr als 20 Jahre nach dem Fall der Mauer, all die schönen Gesprächsforen und diplomatischen Instrumente, all die gemeinsamen Arbeitsgruppen und zivilisierten Regelwerke nichts nützen, wenn ein Staat findet, in seinem Vorhof habe es "einen Regimewechsel zu viel" gegeben. Und der Schock hat noch zugenommen, seitdem klar ist, dass auch im Sicherheitsrat der UN einmal mehr die alten Lager paktieren: China, das gern und viel über das Ideal der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Länder spricht, hat Moskau demonstrativ den Rücken gestärkt bei seinem Vorgehen auf der Krim.

Wozu braucht Moskau so viele Soldaten auf der Krim?

Und Wladimir Putin schafft weiter Fakten. Während seine Militärs, ohne einen Schuss abgegeben zu haben, die Krim unter ihre Kontrolle gebracht haben, stehen jenseits der schmalen Meerenge an der Straße von Kertsch Militärfahrzeuge und Panzer bereit zum Übersetzen. Russische Flugzeuge sind nach Angaben des ukrainischen Verteidigungsministeriums in der Nacht in den ukrainischen Luftraum eingedrungen, am Montag wurden dann zehn Kampfhubschrauber und acht Transportflugzeuge auf die Krim geflogen. Zeitgleich verkündete der russische Premierminister Dmitrij Medwedjew, dass die lange geplante Brücke über die Meerenge bei Kertsch jetzt gebaut werde. Symbolpolitik pur: Eine Brücke als steinernes Monument, das die Bevölkerung der Krim in Zukunft mit dem einstigen und neuen Vaterland verbinden soll.

Nur: Wozu braucht Moskau so viele Soldaten und so viel zusätzliches Material auf der Krim? Was sich dort abspielt, seitdem Moskau seine Truppenstärke erhöht und de facto das Kommando übernommen hat, gleicht schließlich einem "Phantom-Krieg", wie die New York Times schreibt: "Bewaffnete Männer konfrontieren einen unsichtbaren Feind". Es gebe einige eher bescheidene Operationen von russischer Seite, zahlreiche Soldaten mit und ohne Abzeichen langweilten sich vor ukrainischen Stützpunkten, hier und da seien prorussische Aktivisten zu beobachten, die sich auf die Verteidigung ihrer Städte vor dem zu erwartenden Angriff ukrainischer Extremisten und Faschisten vorbereiteten.

Eine Farce? Keineswegs. Der sicherheitspolitische Experte der Bundeswehr-Universität in München, Carlo Masala, sieht drei taktische Gründe im russischen Vorgehen. Neben der eher symbolischen Demonstration von Stärke könnten die Moskauer Militärstrategen schließlich nicht ausschließen, dass die Regierung in Kiew rot sehe und Truppen in Marsch setze - auch wenn diese gegen die Russen wenig ausrichten könnten. Vor allem aber, so Masala, sei ja nicht nur die Krim im Visier des Kremls: Sollte Russland auch im Osten der Ukraine einmarschieren, so könnten die Russen mit den Truppen, die bereits auf der Krim sind, eine Zangenbewegung aus dem Süden und dem Osten vollziehen.

Hilflose Übergangsregierung in Kiew

Gruselige Szenarien, die man indes in Kiew nicht für abwegig hält. Schließlich kommen immer mehr beunruhigende Meldungen von der Ostgrenze des Landes: In Donezk haben prorussische Demonstranten mit Unterstützung lokaler Polizisten das Gebäude der Regionalverwaltung besetzt. In Charkow ist die Stimmung zum Zerreißen gespannt, dort gibt es offenbar ein Machtvakuum, weil der von Ex-Präsident Janukowitsch berufene Gouverneur abgesetzt und kein Nachfolger ernannt wurde. In Odessa, im Süden, wurden offenbar auch Verwaltungsgebäude gestürmt.

Während sich in der proeuropäischen Zivilgesellschaft nicht nur der Ärger über den Westen, sondern auch über die Hilflosigkeit der neuen Regierung breitmacht, versucht diese, mit martialischer Rhetorik und Appellen an Ost und West, aber auch mit einer zweifelhaften Personalpolitik zu retten, was zu retten ist. Übergangspräsident Turtschinow setzte im zerfallenden Osten zwei Oligarchen an die Stelle jener Gouverneure, die mit Ex-Präsident Viktor Janukowitsch sympathisiert hatten. Der Stahlmagnat Sergej Taruta, einer der zehn reichsten Männer der Ukraine, wurde per Dekret in Donezk installiert; der Miteigentümer einer der größten Banken im Land, Igor Kolomojsky, wurde Gouverneur in Dnjepropetrowsk.

Die Idee dahinter: Diese Milliardäre sollen, wie vor ihnen schon die reichsten Männer des Landes, Rinat Achmetow und Dmitrij Firtasch, dazu beitragen, die wirtschaftlichen Bande zu den Geschäftspartnern in Russland nicht abreißen zu lassen. Janukowitsch-Freund Achmetow hatte zuletzt gemahnt, die territoriale Integrität der Ukraine zu erhalten, Firtasch hatte am Wochenende den russischen Industriellenverband gebeten, sich für eine friedliche Lösung der Krise einzusetzen.

Auch Russlands Börse regiert auf die Kriegsängste

All das zielt darauf, den Plan Moskaus zu untergraben, per Kriegsdrohung die antirussische Regierung in Kiew einzuschüchtern und das Land mitten in der größten Wirtschaftskrise seit der Unabhängigkeit auch ökonomisch weiter zu destabilisieren. Denn Leidtragende sind - auch - die Russen: Die Börse in Moskau brach ein, der Rubel stürzte ab, die Zentralbank sah sich genötigt, die Zinsen radikal zu erhöhen. Börsen überall auf der Welt reagieren hysterisch auf Kriegsängste, da macht die russische keine Ausnahme. Der Kurs von Gazprom ist ebenfalls in die Knie gegangen, nachdem der Konzern, parallel zum militärischen Druck, auch den finanziellen Druck auf die Ukraine zu erhöhen gedroht hatte: Angesichts der Schulden, die Kiew bei Gazprom habe, müsse man leider die kürzlich verabredeten Preissenkungen überdenken.

Gleichzeitig aber kündigte Christine Lagarde, die Chefin des Internationalen Währungsfonds, am Montag an, man werde schon an diesem Dienstag in Kiew Verhandlungen über eine schnelle finanzielle Unterstützung des Landes aufnehmen. Das ist auch bitter nötig, denn nicht nur die Vorbereitungen für einen Waffengang, den niemand in der Ukraine riskieren will, kosten Geld - Geld, das im Staatshaushalt bitter fehlt. Aus Deutschland kommen Meldungen, man überlege, Kiew bei der Begleichung seiner Gazprom-Schulden unter die Arme zu greifen. Allerdings soll es das Geld vom IWF nur geben, wenn es auch grundlegende Reformen gibt; auf der Liste aus Washington stand dabei immer eine Erhöhung der Gaspreise für die Bevölkerung.

Hier allerdings kommt nun wieder das Putin-Szenario ins Spiel: die politische und ökonomische Destabilisierung der Ukraine - und die Schwächung der antirussischen Eliten. Eine Regierung, die um ihr Überleben kämpft, die gerade verzweifelt versucht, eine Verhandlungsmission für Gespräche mit dem Feind zusammenzustellen, eine solche Regierung soll gleich mal die Energiepreise erhöhen? Tut sie es, sind all jene empört, die den Neuen eine Chance geben wollten, ohne sie aktiv zu unterstützen, mithin die Mehrheit der Bevölkerung. Tut sie es nicht, bekommt sie womöglich kein Geld aus dem Westen. Ein Teufelskreis, ganz nach dem Geschmack des Wladimir Putin.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: