Bundestag:Der Bundestag wird wieder zum Parlament

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Abgeordnete des 19. Deutschen Bundestages unterhalten sich. (Foto: dpa)

Die Ödnis im hohen Haus ist gleich zu Beginn weggeblasen. Es wird diskutiert und gestritten. Über den AfD-Abgeordneten Albrecht Glaser zum Beispiel. Dieser Streit ist gut.

Kommentar von Heribert Prantl

Weihevoll war die erste Sitzung nicht; sie war nicht Andacht und nicht Hochamt; sie war eine gute Einstimmung auf streitbare Zeiten: Sie war zünftig, spannungsgeladen und aufmerksamkeitsheischend. In der Sitzung waren Schwung, Süffisanz und Aggression, Hitze, Hitzigkeit und Gelassenheit. Es gab Mahnungen und Warnungen, Getöse und Geklapper; nur Langeweile gab es nicht. Man sah und hörte zu - erstaunt, irritiert, verwundert: Der Bundestag erlebte seine Rückverwandlung in ein Parlament, eine Besinnung auf den Ursprung dieses Wortes: reden, streiten, diskutieren!

Die Ödnis, die im hohen Haus zuletzt zu oft Hausrecht hatte, war weggeblasen - trotz der hölzernen Eröffnungsrede des Alterspräsidenten Hermann Otto Solms, der sich seine persönliche Vorbemerkung hätte verkneifen sollen, in der er seiner Freude über den Wiedereintritt seiner FDP in den Bundestag sperrigen Ausdruck gab. Aber auch diese fehlende Überparteilichkeit zum Entree war bezeichnend für die neue Tonalität; mit dem Einzug der AfD in den Bundestag fehlt dort der alte Comment, und der neue ist noch nicht gefunden. Aber es zeichnen sich im Bundestag schon die Konturen der neuen Regierungskoalition ab; und die SPD rappelt sich hinein in die Opposition; dem Parlament tut das gut.

Missachtung der AfD? Selbstachtung der Volksvertretung!

Das Parlament wird als Herz der Demokratie bezeichnet; Wolfgang Schäuble, der neue Bundestagspräsident, sprach davon. Herz? Man sollte das Parlament mit einer Großküche vergleichen: Es ist heiß dort, es siedet und qualmt, manchmal spritzt das Fett, manchmal fehlen auch die Zutaten. Dort kann gutes Essen gelingen; manchmal verkocht oder verbrennt es auch. Schäuble hielt eine Einstandsrede, welche die Regeln für gutes Gelingen schön formulierte. Man spürte die gelassene und gediegene Erfahrung des Seniorissimus. Die Wahl der Bundestags-Vizepräsidenten war und ist eine erste Probe.

Der AfD steht nach den Regularien ein Vizepräsidenten-Amt zu. Es ist üblich, dass die anderen Fraktionen den Vorgeschlagenen mitwählen; Pflicht ist es nicht. Es gehört sich aber, dass man hier auch in den sauren Apfel beißt: Diese Wahl bedeutet ja nicht, die Politik des zu Wählenden zu goutieren; sie anerkennt aber, dass das Präsidium des Bundestags das ganze Plenum zu repräsentieren hat. In einen Apfel, den er für giftig hält, muss der Bundestag gleichwohl nicht beißen - also nicht einen Vizepräsidenten wählen, der Unfrieden schürt. Früher waren bei einer Vizepräsidenten-Wahl (es ging zuletzt um die PDS) die anderen Fraktionen zu wählerisch; das heißt nicht, dass sie nun wahllos sein müssen.

Albrecht Glaser, der AfD-Kandidat, ist ein Islamfeind. Abgeordnete sollen Vertreter des ganzen Volkes sein, auch der Deutschen mit islamischer Religion. Glaser hat sie ausgegrenzt. Wenn es Widerstand dagegen gibt, dass ein solcher Ausgrenzer den Bundestag repräsentieren soll, ist das verständlich und richtig. Es geht nicht um Missachtung der AfD, sondern um Selbstachtung des Parlaments. Die AfD muss einen anderen Kandidaten präsentieren.

© SZ vom 25.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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