Kolumne:Digitalregenten

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Norbert Frei ist Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Jena und leitet das Jena Center Geschichte des 20. Jahrhunderts. (Foto: N/A)

Donald Trump twittert, Emmanuel Macron hält dagegen. Gemessen daran wirkt die Rhetorik der deutschen politischen Klasse nach wie vor erfreulich nüchtern.

Von Norbert Frei

Wenn Frankreich politisch aufregende Zeiten erlebt, fließt Nichtfranzosen das Wort von der Französischen Revolution leicht aus der Feder. Das war seit 1789 immer mal wieder der Fall, so zum Beispiel im Pariser Mai 1968, als der Spiegel den barrikadenbauenden Studenten ein entsprechendes Titelbild widmete. Seit ein paar Wochen nun spielen die Medien erneut mit der historischen Analogie: angesichts einer Serie von vier fulminanten Wahlsiegen, die den jungen Emmanuel Macron in das Amt des Staatspräsidenten und am vergangenen Sonntag seine noch viel jüngere, erst vor einem halben Jahr gegründete Bewegung En Marche zur absoluten Mehrheit in der Nationalversammlung führte. Ob aus diesem Umsturz des französischen Parteiensystems tatsächlich eine politische Revolution wird, ist offen. Eine rhetorische Revolution allerdings hat der neue Präsident bereits hingelegt.

Der amerikanische und der französische Präsident twittern, als lägen sie im Wettstreit

" Make our planet great again", lautete der letzte Satz jener raffinierten Rede, mit der Macron unlängst auf Donald Trump replizierte, kaum dass dieser den Ausstieg der Vereinigten Staaten aus dem Pariser Klimaschutzabkommen verkündet hatte. Es gehe um das Wohl unseres Planeten, so Macron. Wer es hören wollte, der hörte in diesen Worten auch: Es gehe eben nicht um "Amerika zuerst".

Überraschend an Macrons Auftritt war nicht nur, wie schnell und scheinbar spontan er zustande kam; die eigentliche Pointe setzte der Präsident, als er zum Ende hin die Sprache wechselte - und in knapp drei Minuten höchstpersönlich auf Englisch resümierte, was er seinen Landsleuten zuvor doppelt so lange auf Französisch erläutert hatte. Macron warf damit zwar alle sprachpolitischen Gepflogenheiten der Fünften Republik über den Haufen, namentlich die von vielen Intellektuellen geteilte Aversion gegen die Allgegenwart des Englischen und die Ausbreitung von Anglizismen. Aber direkter als mit seinem jungenhaft-sympathischen und zugleich präsidial-pathetischen Videoclip aus dem Élysée hätte er das launische Kind im Weißen Haus nicht treffen können.

Doch auch sonst verfehlte der mediale Coup seine Wirkung nicht. Statt in holpernder Synchronübersetzung erfuhren die Amerikaner nun aus erster Hand, dass Frankreichs Präsident ihren am Kampf gegen den Klimawandel beteiligten Wissenschaftlern und Ingenieuren eine neue Heimat offeriert. Hunderttausende, wenn nicht Millionen sahen den englischen Schlussteil von Macrons Rede außerdem auf Youtube oder auf Nachrichtenportalen im World Wide Web. Was viele dabei zunächst als bloße Rhetorik verstanden haben dürften, war eine Woche später immerhin Netzrealität: " Makeourplanetgreatagain.fr" heißt seitdem eine mit dem Wappen des Präsidentenpalasts geschmückte Website, die "verantwortungsbewusste Bürger" aus aller Welt einlädt: " Come to France". Wer weiterklickt, dem eröffnet ein elektronischer Fragebogen die Möglichkeit, sich für einen Arbeitsaufenthalt in Frankreich zu bewerben. Gefragt sind, unter Verweis auf bestehende Förderprogramme: Klimaforscher, Aktivisten, Unternehmer und Studenten - Antwort in weniger als einem Monat garantiert.

Parallel zu diesem Remmidemmi im Netz, auf das natürlich auch die präsidiale Homepage verlinkt, twittert Emmanuel Macron in einer Frequenz, als befinde er sich in einem Schnellschreibwettbewerb mit Donald Trump. Unterstellt, dass die Texte tatsächlich von demjenigen stammen, in dessen Namen sie abgesetzt werden - Trump zumindest behauptet das von seinen Tweets - drängt sich die Frage auf, wann diese Digitalregenten eigentlich noch zu konzentrierter Lektüre kommen, wann sie in aller Ruhe Gespräche führen und unabgelenkt Entscheidungen treffen.

Nachdem Trump unter sengender Sonne vor glücklich schwitzenden Claqueuren die Zustimmung der USA zum Pariser Abkommen zurückgezogen hatte, meldete sich selbstverständlich auch Angela Merkel zu Wort. Gemessen an der üblichen kommunikativen Effizienz der Kanzlerin, die mit ihrem inzwischen hoffentlich abhörsicheren Mobiltelefon zwar gerne per SMS regiert, das Twittern aber ihrem ebenfalls nicht sonderlich redseligen Regierungssprecher überlässt, kam ihr abschließender Hinweis auf den notwendigen Schutz von "Mutter Erde" fast schon einem Gefühlsausbruch gleich.

Mit ihrer Scheu vor jeglichem Pathos und ihrem überschaubaren Talent als Rednerin befindet sich die Kanzlerin innerhalb der deutschen politischen Klasse in vertrauter Gesellschaft. Es betreibt kein Standort-Deutschland-Bashing, wer die Zahl der rhetorischen Begabungen hierzulande für begrenzt hält. Jedenfalls erlaubt die nach wie vor erstaunlich kurze Liste deutscher Nachkriegskanzler - zweifellos ein Zeichen politischer Stabilität - den Schluss, dass glanzvolle Reden kein Erfordernis für lange Regierungszeiten sind. Fast scheint es, als habe Frau Merkel auch in dieser Hinsicht von den beiden Dauerkanzlern vor ihr gelernt: von Konrad Adenauer und von Rekordhalter Helmut Kohl, den sie womöglich noch hinter sich lässt.

Helmut Kohl, dem Ziehvater Merkels, der in ein paar Tagen mit vollem Recht als großer Europäer zu Grabe getragen werden wird, schien politische Rhetorik wenig zu bedeuten, und niemand hat darüber seinerzeit so vernichtend geurteilt wie sein Generationsgenosse Karl Heinz Bohrer in der Zeitschrift Merkur ("fettprangender" Provinzialismus). Aber auch für einen Großteil meiner Generation war Kohls bäurische Eloquenz in den Achtzigerjahren oft Anlass und ironisch begrüßte Gelegenheit zum Fremdschämen für einen Koloss, der seinerseits zu provozieren wusste. Doch das ist lange her, und in Zeiten populistischer Stimmungsmache sehen das mittlerweile selbst die lautesten der einstigen Kohl-Verächter in milderem Licht.

Auch wenn es die AfD nicht glauben mag: Volltönende Demagogen kommen in Deutschland nach wie vor nicht an. Sie liegen quer zu der nach 1945 gewachsenen, rational-zivilen politischen Kultur der Bundesrepublik. Es wäre gut, bliebe uns diese "erfundene Tradition" auch in Zeiten gesteigerten Netzkrawalls erhalten.

© SZ vom 24.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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