Kolumne:Bleiben

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Die Menschen sollten alles dafür tun, den eigenen Planeten zu bewahren und nicht aberwitzige Summen für die Suche nach einem neuen ausgeben.

Von Karl-Markus Gauß

Wer es vorher nicht wusste, musste es spätestens am 21. Juli 1969 erkannt haben, als Neil Armstrong seine ersten vorsichtigen Schritte in die Wüste des Mondes setzte und die Bilder im Fernsehen liefen: dass die Erde kein unwirtlicher Ort ist, steinig, staubig und kahl wie ihr Trabant, sondern die wunderbare gemeinsame Heimat der Menschheit. Gesegnet mit einer schier unglaublichen Vielfalt an pflanzlichem und tierischem Leben und voller Reichtümer, die es allen Erdenbürgern ermöglichen könnten, ein Leben frei von Bedrängnis zu führen, erstrahlte die Erde, vom kalten Weltall aus besehen, für die ergriffenen Astronauten als "blauer Planet".

In den bald fünfzig Jahren seither sind die Ozeane weiter verschmutzt, riesige Flächen des Regenwalds zerstört und unfassbare Mengen an Giften in die Luft geblasen worden oder in die Böden versickert. Und erst all die Kriege, von denen kein Jahr frei war, das angehäufte Arsenal atomarer Waffen, der Klimawandel. Es gibt so vieles zu preisen an unserer Erde und gerade deshalb so vieles zu beklagen.

Stephen Hawkings Utopie kommt aus dem Geist der Apokalypse

Sind die sozialen Utopien einmal als Hirngespinste abgetan, blühen irrwitzige Hirngespinste als technologische Utopien auf. Vor einigen Wochen ließ der berühmte Astrophysiker Stephen Hawking verlauten, die Menschheit möge sich darauf einstellen, ihren Heimatplaneten in hundert Jahren zu räumen. Warum? Weil die Umweltverschmutzung bis dahin aus ihm einen unbewohnbaren Ort gemacht haben werde, weil irgendwann irgendwo aus der atomaren Bedrohung ein Ernstfall geworden sein wird, weil die gewohnheitsmäßige Überdosierung mit Antibiotika uns schutzlos Viren und Krankheiten ausliefert, die wir noch gar nicht kennen, weil die Erderwärmung den ganzen Planeten überhitzt. Kurz, weil die Erde ökologisch so gründlich ruiniert sein wird, dass sie nicht mehr dazu taugt, ihren Bewohnern das Überleben zu sichern.

Ich empfehle, die Gedanken eines der bedeutendsten Naturwissenschaftler unserer Zeit nicht aus seinem Geist der Apokalypse, sondern mit abwägender Skepsis zu bedenken: Alle technische Intelligenz, das gesamte unermessliche Vermögen der Welt, jedwede militärische und zivile Forschung, alles, was die Menschen an wissenschaftlicher Leistung und sozialer Anstrengung aufzubieten vermögen, muss laut Hawking dafür eingesetzt werden, den Exodus der Menschheit von dem Planeten zu bewerkstelligen, der ihr zugeteilt wurde oder zugefallen ist. Was für eine unvorstellbare Anstrengung, Milliarden Menschen auf ferne Planeten und dort in künstliche Biotope zu verfrachten, wo sie neue Zivilisationen begründen sollen.

Wäre es nicht wesentlich einfacher und sinnvoller, so viel Hirnschmalz und Herzblut statt für die Abwanderung von unserem Planeten für das Verbleiben auf diesem einzusetzen? Hawking hat offenbar die Hoffnung längst aufgegeben, dass die Menschen ihren sensationellen Erfindergeist, ihre kühne Fantasie und ihre Vernunft auch dafür nutzen könnten, die Erde nicht weiter wie bisher zu traktieren, sondern dafür zu sorgen, dass sie bewohnbar bleibe, mehr noch, jener Ort werde, der für alle genug zu bieten hätte. Das Allerschwierigste kann der geniale Naturwissenschaftler sich vorstellen - neue Lebensräume für die Erdbewohner in den Weiten des Alls zu erschaffen; das Naheliegende zieht er hingegen gar nicht mehr in Betracht - dass nämlich niemand uns zwingt, uns selbst zu vertreiben. Lieber in die Weiten des Alls aufbrechen und die Wüsten des Mars kultivieren, als unsere sozialen Verhältnisse so zu gestalten, dass wir das All getrost weiterhin von der Erde aus betrachten können.

Hawking steht mit seiner Obsession, die Apokalypse ließe sich einzig technologisch noch abwenden, keineswegs alleine. Es scheint sogar ein bevorzugtes Hobby einiger Milliardäre geworden zu sein, ein wenig von dem Geld, das sie als Beteiligte an der Zerstörung der Erde verdienen, in die Forschung nach neuem Lebensraum im Nirgendwo des Universums zu stecken. Seitdem auch Jeff Bezos in die Eroberung des Alls eingestiegen ist, kann man ermessen, dass es dabei nicht nur um die Rettung der Menschheit geht, sondern auch darum, mit dieser einen Haufen Geld zu verdienen. Bezos, der sein immenses Vermögen durchaus nicht der Humanisierung der Welt verdankt, hat bei seinen Unternehmungen rein kommerzielle Ziele im Auge. Was er mit seiner schon im Jahr 2000 gegründeten Firma Blue Origin anstrebt, ist eine Art von Tourismus für die Allerreichsten, die sich nicht mehr nach den unberührten exotischen Regionen auf Erden sehnen, sondern zum Mond, um diesen herum und wieder zurück gebracht werden wollen. Damit der extraterrestrische Amazon-Versanddienst tatsächlich profitabel funktioniert, ist es allerdings nötig, einen neuen Typus von Rakete zu entwickeln, die nicht nur einmal verwendet werden kann, und deswegen steckt Bezos gewaltige Summen in die für nachhaltig erklärte Technologie eines wiederverwertbaren Raketensystems.

Mit ungleich höheren Ansprüchen als er geht es Elon Musk an, der charismatische Gründer zahlloser Firmen in Silicon Valley, der mit seinem Weltraumprogramm Space-X bereits vom nächsten Jahr an ein paar Leute, denen der Kitzel nach solchen Reisen steht, zum Mond und wieder zurück befördern möchte. Längst aber plant er, den Mars als Destination in sein Programm aufzunehmen, zu dem die Reise freilich viele Monate dauert. Aber auch der Mars ist ihm nur eine Zwischenstation, und der Tourismus nur das Einstiegsgeschäft. Was er, die triste ökologische Situation auf Erden vor Augen, anstrebt, ist nichts anderes, als unser ganzes Sonnensystem auszukundschaften nach Planeten und deren Monden, auf denen sich die aus ihrem Heimatplaneten exilierte Menschheit dereinst wird niederlassen können. Da drängt sich dem Liebhaber der alten Mutter Erde die Frage auf: Wie lange werden die Exilierten brauchen, um ihre neuen Planeten zu zerstören? Denn der Geist, der zu deren Kolonisierung ruft, ist ja derselbe, der zum Untergang des unseren führt.

© SZ vom 03.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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