Koalitionsstreit um grüne Gentechnik:"0,0 Prozent soll 0,0 Prozent bleiben"

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Die Frage nach dem Aus der Nulltoleranz entzweit die schwarz-gelbe Koalition: Wortstark wehrt sich Ilse Aigner gegen das Vorhaben der EU, die Regeln für Gentechnik in Lebensmitteln aufzuweichen - und weiß die Mehrheit der Verbraucher auf ihrer Seite. Doch innerhalb der Bundesregierung wächst der Druck auf die CSU-Ministerin.

Daniela Kuhr und Silvia Liebrich

Umfragen bestätigen es immer wieder: Anders als in anderen Teilen der Welt lehnen die Verbraucher in Europa die grüne Gentechnik mehrheitlich ab. Die einen aus Sorge um ihre Gesundheit, andere aus Sorge um die Umwelt und wieder andere, weil sie derartige Eingriffe in die Natur für unethisch halten. Während auf immer mehr Feldern in Nord- und Südamerika und auch Asien gentechnisch veränderte Pflanzensorten angebaut werden, entzweit hierzulande die Diskussion über diese Technologie nicht nur Konsumenten, Wissenschaftler und Umweltschützer - sondern zunehmend auch die schwarz-gelbe Koalition. Das wurde am Montag deutlich, ausgelöst durch Äußerungen von Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner.

Bisher dürfen Lebensmittel in Europa nicht einmal den Hauch von gentechnisch veränderten Pflanzen enthalten. Die EU will die strengen Regeln aufweichen - Ministerin Aigner und der Verbraucherschutz halten dagegen. (Foto: dpa)

Die CSU-Ministerin hatte deutlich gemacht, dass sie Pläne der EU-Kommission ablehnt, nach denen die strengen Regeln für Gentechnik in Lebensmitteln aufgeweicht werden sollen. Bislang dürfen Lebensmittel in Europa nicht einmal den Hauch von gentechnisch veränderten Pflanzen enthalten, die in der EU noch nicht zugelassen sind. EU-Verbraucherkommissar John Dalli hält dieses Nulltoleranz-Prinzip für zu streng und will künftig einen Schwellenwert von 0,1 Prozent einführen. Aigner stellt sich mit ihrem Veto nicht nur gegen Dalli, sondern riskiert damit auch einen Krach in der schwarz-gelben Koalition, weil FDP und CDU Dallis Vorschlag unterstützen.

"Die Verbraucher haben keinen Vorteil"

Verbraucherschützer zeigen sich empört, sie stehen hinter Aigner. Denn die geplante Lockerung der Regeln hätte weitreichende Konsequenzen für Konsumenten. Sie könnten gentechnisch veränderte Lebensmittel wie Pflanzenöl aus Raps- oder Maissorten untergeschoben bekommen, die bislang in der EU grundsätzlich verboten waren. Aber vor allem: Sie würden das noch nicht einmal erfahren, weil eine Kennzeichnung erst ab 0,9 Prozent vorgeschrieben ist. "Die Verbraucher haben keinen Vorteil, sie tragen nur die Risiken einer solchen Politik", sagt Matthias Wolfschmidt, stellvertretender Geschäftsführer von Foodwatch. Welche Auswirkungen gentechnisch veränderte Lebensmittel auf die Gesundheit hätten, sei völlig unklar. "Es gibt keine unabhängigen Langzeitstudien", kritisiert er, obwohl Tierversuche gezeigt hätten, dass gentechnisch verändertes Futter Allergien auslösen kann.

Der Druck, die Nulltoleranz-Regel aufzuweichen, kommt aus der Industrie. Vor allem große Agrarkonzerne und Gentechnikhersteller wie Monsanto, Syngenta, BASF und Bayer, aber auch internationale Rohstoffhändler wie Bunge oder Toepfer International sehen sich durch die strengen EU-Regeln benachteiligt. Während Gentech-Pflanzen wie Soja, Mais, Raps und Baumwolle weltweit mittlerweile auf 148 Millionen Hektar angebaut werden, wurden in Deutschland im vergangenen Jahr gerade mal zwei Hektar mit der Gentech-Kartoffel Amflora bepflanzt. Doch nicht nur der Anbau, auch der Import ist begrenzt: Bislang darf ein Großteil der Gentech-Erzeugnisse in Europa gar nicht oder nur eingeschränkt verkauft werden.

Von dem Aus der Nulltoleranz profitiert die Industrie

Auch die Betreiber von Ölmühlen und andere Lebensmittelhersteller könnten von gelockerten Regeln profitieren. Derzeit müssen sie strenge Qualitätskontrollen durchführen, um die Produktion sauber zu halten. Kommt es trotzdem zu einer Panne, kann dies viel Geld kosten. So mussten Reisproduzenten in Deutschland vor einigen Jahren Waren im Wert von mehreren Millionen Euro aus dem Handel nehmen, weil sie geringe Spuren von Gentech-Reis enthielten.

Von einem Aus für die Nulltoleranz würde allein die Agrarindustrie profitieren, warnt Heike Moldenhauer vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Sie sieht in Dallis Vorschlag ein fatales Signal. "Wenn Händler von Agrarrohstoffen wissen, dass die Regeln gelockert sind, schafft dies auch Anreize, schlampiger zu arbeiten." Die Umweltschützerin hofft, dass das Veto der Verbraucherministerin den Vorschlag aus Brüssel zum Scheitern bringt. "Aigners Stimme hat Gewicht unter den anderen Mitgliedsländern."

Innerhalb der Bundesregierung wächst jedoch der Druck auf Aigner, einzulenken. Die FDP hatte schon mehrmals deutlich gemacht, dass sie das Anliegen unterstützt. Der derzeitige Zustand sei "untragbar", sagte die ernährungspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, Christel Happach-Kasan, am Montag. Denn weltweit würden immer mehr Gentech-Pflanzen zum Anbau zugelassen, in Europa dagegen sei das Zulassungsverfahren sehr zeitaufwendig. Happach-Kasan hält es für "nahezu unvermeidbar", dass sich beispielsweise in Lagerhallen, Tanks oder auf Schiffen auch mal ein paar Körner von in der EU noch nicht zugelassenen Gentech-Pflanzen unter die Ladung mischen. "Solche Beimengungen mindern die Qualität der Produkte in keiner Weise", sagte sie - zumal die Pflanzen nach den Plänen von Dalli zumindest in ihrem Herkunftsland zugelassen sein müssen. Dennoch müsse betroffene Ware komplett zurückgerufen werden. Dadurch entstünden enorme Kosten, die nicht zuletzt der Verbraucher trage.

"Es geht hier um pure Ideologie"

"Mit ihrer Haltung verstößt Frau Aigner klar gegen die Vereinbarungen im Koalitionsvertrag", sagte Happach-Kasan. "Es geht hier nicht um die Abwehr gesundheitlicher Gefahren, sondern um pure Ideologie." Union und FDP hatten im Koalitionsvertrag die Biotechnologie als "wichtige Zukunftsbranche" eingestuft. Man wolle die "verantwortbaren Potenziale der grünen Gentechnik nutzen" und "für effiziente Zulassungsverfahren von gentechnisch veränderten Organismen auf EU-Ebene" eintreten. Anders als die FDP oder auch Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU) hat Aigner bislang allerdings eher gebremst, wenn es um Gentechnik ging - unter anderem, indem sie 2009 ein Anbauverbot für die Maissorte Mon 810 aussprach, die bis dahin die einzige Gentech-Sorte war, die in Europa für den kommerziellen Anbau zugelassen war.

Auch jetzt tritt Aigner wieder auf die Bremse. "0,0 Prozent soll 0,0 Prozent bleiben", sagte ihr Sprecher am Montag. Dallis Vorstoß würde dem Ziel der Transparenz widersprechen und "den Verbrauchern, die Gentechnik mehrheitlich ablehnen, die Wahlfreiheit nehmen".

© SZ vom 12.06.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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